Drag-Kings
Die Geburt einer neuen Spezies


Baella van Baden-Babelsberg und Diane Torr. Ein Gespräch in drei Teilen.


Baella: Willkommen im Kulturhaus. Seit meinem Gespräch mit Stefanie Gras gesellt sich zu meiner schon immer latent vorhandenen Angst, in Fettnäpfchen zu treten ein unbestimmter Ekel, in Schubladen zu greifen. Zu Interview-Terminen über Multi-Identität gehe ich deshalb nur noch mit Handschuhen, die natürlich immer farblich auf das jeweilige Kostüm abgestimmt sind. Schwierig wird es, wenn die Aussentemperaturen über das erträgliche Maß hinausklettern und Handschuhe auch rein ästhetisch betrachtet eigentlich keinen Sinn mehr machen. So gesehen hatte meine Begegnung mit Diane Torr an einem heißen Tag im August eine durchaus therapeutische Wirkung. Die Torr hat nicht nur keine Probleme mit Schubladen, sie versteht sich geradezu meisterhaft auf das Jonglieren mit ihnen. Ängste und Handschuhe konnte ich schnell fallen lassen.
Ich muß allerdings zugeben, dass unser Gespräch in höchster Anspannung begann. Es war hinter dem Kunsthaus Tacheles, in einem von Bauarbeiten und Sommerdürre schwer gebeutelten Garten, als mich ein junger Mann von der Seite ansprach. Stimme und Tonfall waren mir nicht gerade sympathisch.

Diane: I'm Danny King. I'm von Pittsborough, Pennsylvania. I've married, I've got three kids, five, eleven and fifteen. I'm working in a men's department store and I'm here in Germany and I'm looking what kind of stuff you've here. Last I've heard is that you've that hunting motive... my wife ... you should come to Pennsylvania, it's God's country.

Danny King in action
       


Herzlich willkommen im virtuellen Kulturhaus "Ernst Meibeck".

In diesen und in den kommenden Monaten werde ich hier Gespräche mit multiidentischen Persönlichkeiten des kulturellen Lebens führen, denen ich auf meinen Fahrten durch den Berliner Untergrund begegnet bin.

Gute Fahrt!





               Und gute Reise!

   

Baella: Es stellte sich heraus, dass wir verabredet waren. Mr. King's streng nach hinten gekämmten Haare und der schnurgerade Oberlippenbart bildeten nicht gerade den Typ von Mann ab, der mich in Erregung versetzt. Aber das war ja nicht der Grund unseres Treffens. Danny's wache Augen gefielen mir. Sie blickten mich so spitzbübisch und herausfordernd an, dass ich reagieren musste. Die Hitze des Tages hatte zudem begonnen, seine geschlechtsspezifischen Konturen ein wenig zu derangieren. Diane Torr zwinkerte mir durch das herbe Männergesicht zu. Sie bevorzugt kühlere Regionen.

Diane: Ich bin im Norden Schottlands aufgewachsen, in Aberdeen. Schon als junges Mädchen habe ich immer aufgepasst, dass sich meine zwei Brüder nicht gegen mich verbünden und mich schlagen. Dadurch habe ich schon sehr früh ein Bewusstsein für die Unterschiedlichkeit der Geschlechter entwickelt und für die Tatsache, dass meine Brüder einfach stärker als ich waren. Mit der Zeit wurde mir immer klarer, dass sie als Jungs Privilegien besaßen, und ich habe mich immer mit ihnen gemessen, wie das Kinder nun mal so tun. Wer bekommt das größte Stück Kuchen, wer muss morgens zuerst aufstehen. Kinder haben ein starkes Bewusstsein dafür, was Diskriminierung bedeutet.

Baella: Erwachsen geworden haben sich die meisten diese Diskriminierung wie einen schlechten Rock angezogen, in dem sie dann auch noch brillieren. Wer nicht rechtzeitig flüchtet, verpasst das Leben. Du bist sicher nicht lang in Schottland geblieben, oder?

Diane: Ich ging nach London und studierte später an der Kunst-Hochschule die Freien Künste. Dort habe ich 1968, als die Frauen-Bewegung schon einige Jahre existierte, eine eigene Gruppe ins Leben gerufen, mit einer Bücherei über feministische Literatur. Wir haben z.B. erreicht, dass sich die Frauen, die das College reinigten, zu einer Interessensgruppe zusammenschlossen. Ich war also sowohl Schauspielerin, Tänzerin als auch politische Aktivistin. Aber England um 1976 war nicht gerade sehr interessant. Nach dem Ende meines Studiums ging ich sofort nach New York. Ich wollte eine internationale Künstlerin werden. Als marxistische Feministin zählte ich auf die amerikanischen Künstlerinnen, die ein Klassenbewusstsein besaßen. In New York bin ich dann John Cage begegnet. Von ihm habe ich gelernt, dass Performance nicht nur auf der Bühne stattfindet, sondern im täglichen Leben und dass gerade darin eine große Chance besteht, wenn ich etwas verändern will.

Hi yours, I am Diane Torr

Baella: Schottland, England, Amerika. Mit all den Hutschachteln im Gepäck, meine Göttin. Oder bist Du damals schon als Mann gereist?

Diane: Das erste Mal als Drag-King trat ich 1982 in New York City auf. Ich sollte in einer Performance in der St.Mark's Church den Gegenpart zu einer Frau spielen. Das war zuerst sehr fremd. Ich merkte, dass ich, nur wenn ich eine andere Sprache spreche, in die männliche Rolle schlüpfen konnte. Ich sprach französisch und wurde Jean-Paul Belmondo. Ich wollte als Mann auch sexy sein. Damals begann ich mich auch mit Fragen zu beschäftigen, was Erotik ist. Ich arbeitete auch als GoGo-Dancer in Bars in New York und New Jersey. Ich studierte weibliche Erotik und experimentierte mit Erfindungen neuer erotischer Muster. Darauf legte ich in den Achtzigern mehr und mehr meinen Schwerpunkt. Was ist Pornografie und wie funktioniert Heuchelei? Als Reagan an die Macht kam, hatte mich das sehr beschäftigt. Dieser Erfolg mit der Heuchelei.

Baella: Pornografie und Heuchelei. Eine interessante Kombination.

Diane: 1989 lud mich Anni Sprinkle zu einem Photo-Shoot ein, in dem sie Johnny Science interviewte...

Baella: ... einen Frau-zu-mann-transsexuellen.

Diane: Sie bat mich, das zu illustrieren und fotografierte mich, wie ich immer wieder meine Geschlechterrollen tauschte. Am Ende eines Foto-Shoots ging ich mit einem Freund auf eine Party bei Whitneys. Ich war noch als drag und als wir in dem Museum ankamen verloren wir uns. Die Leute sahen mich sehr verwundert an. Obwohl ich innerlich noch Diane war, reagierten die Leute nicht auf Diane. An diesem Abend war ich ein Mann in Entwicklung. Ich sagte mir irgendwann, o.k. jetzt bin ich ein Mann, lehnte mich an die Wand und beobachtete die Leute. So wie es Männer ja immer machen, sie sind die Beobachter. Plötzlich laberte mich eine Frau an und ich dachte "oh Gott" und gab ihr zu verstehen, dass ich überhaupt nicht interessiert an ihr war, sie ließ aber nicht locker. Das Problem war, dass ich nicht reden konnte, sonst hätte sie mich als Frau erkannt. Ich ging also in einen anderen Teil des Museums, wo weniger Leute waren, aber sie folgte mir. Oh Gott, das war schon ziemlich verwirrend als wir da so standen als seien wir ein Paar. Ich konnte zuletzt nur noch auf die Männertoilette verschwinden. Das war das erste Mal, dass ich auf eine Männertoilette ging, sicher nicht das letzte Mal. - Es war so erniedrigend, zu sehen, wie sie ihre Techniken erfolglos anzuwenden versuchte. Sie lag auf einem Teppich und sagte: "Hier bin ich, nimm mich".

Baella: Ich meine, Johnny Science gab damals auch schon Workshops, allerdings nur für Transsexuelle.

Diane: Ja, aber er brachte seinen Leuten nur bei, wie man sich richtig schminkt. In meinen Female-to-male-Workshops geht es um viel mehr als nur um richtiges Schminken. Es ist in erster Linie Charakterarbeit. Die männliche Rolle, die du einnimmst, darf nicht aufgesetzt sein. Am Ende eines jeden Workshops gehen wir nach draussen und probieren unsere neue Identität aus. Damals, 1989, als ich mit Johnny Science die ersten gemeinsamen Workshops machte, prägte er den Begriff "Drag- King". Vorher gab es ihn noch nicht. Und von da an entwickelte sich auch die Drag-King-Kultur, mit Wettbewerben in Bars. Als wir den Begriff das erste Mal 1991 dann in einer TV-Show hörten, hat uns das ziemlich aufgebaut. 1996 etablierte sich die Drag-King-Szene dann so richtig in dem neuen Club Casanova.

Baella: Die Drag-Kings waren geboren. Nun wissen Sie es, liebe Kulturhaus-BesucherInnen, wann und wie das geschah. "Drag-King", das ist ja genau genommen ein Widerspruch, der sich nicht wirklich auflösen lässt . "A king dressed as a girl is a woman dressed as a boy". Wollen Sie das wirklich verstehen? Dann folgen Sie uns doch zum zweiten Teil unseres Gesprächs, in dem die Torr über ihre Workshops berichtet. Damit ist sie ja schließlich erst so richtig bekannt geworden. Washington Post, Chicago Tribune, Boston Globe, Village Voice, San Francisco Chronicle, die BBC, ja selbst die BILD haben berichtet. The whole world will change its sex.
And you're proudly invited.

Queen Elizabeth II: Diane Torr gilt offiziell auch als "drag king ambassador to the world". Dieser Titel wurde ihr so weit ich weiß in unserem Land vergeben.  look here
paula zucker: liebe baella, deine ernst meibeck ecke finde ich super, der neue artikel hat mich sehr glücklich beim lesen gemacht. grüße aus hh  
der_duke: Nur als kleiner Tip: "drag" kann auch "dressed as a Guy" bedeuten (also nix mit "draB" *g*) - Ansonsten: Ein super Interview! Danke! Und die Handschuhe nicht vergessen! ;-)  
Swenja: Frauen sind auch nur Männer!