Drag-Kings
Über die Kunst des Gender-Crossing


Baella van Baden-Babelsberg im Gespräch mit Diane Torr. Zweiter Teil       
( Teil I)


Baella: Danny, my sweat-heart, eigentlich bist du ja ein "drab", I mean, you're dressed as boy". Werden mit diesen Verkleidungsarien nicht bestehende Rollenmuster zementiert? In deinen Workshops sollen Frauen lernen, sich wie Männer zu verhalten. Damit bleibst du doch in der klassischen Geschlechtertrennung.

Diane: Ich glaube, was du aus den Workshops mitnimmst, ist ein echter Gewinn für dein tägliches Leben. Zu Beginn ist es wirklich hart, ein Gefühl dafür zu bekommen, was es bedeutet ein Mann zu sein, aber einigen gelingt es, und sie sehen, dass es eine Menge Arbeit ist. Es ist keine Kleisterei, nicht nur einfach Make-up aufzutragen und Kleider anzuziehen. Es geht um einen komplexen Menschen. Wie im Aikido. Aikido mache ich schon seit 25 Jahren. Inzwischen habe ich den schwarzen Gürtel. Im Aikido sind wir geschlechtslose Wesen, physische Masse, Körper im Raum. Die Tatsache, dass Du Mann oder Frau bist, ist irrelevant, weil, wer auch immer da auf dich zukommt, es kommt darauf an, schnell zu reagieren. Wir sind alle physische Massen im Raum, kultiviert und trainiert auf ein bestimmtes Verhalten hin, auf einen Stereotyp von Mann und Frau, in den nicht alle hineinpassen.

Baella: Aber in deinen Workshops klopfst du die Rollenmuster doch fest, oder?.

Diane: Es gibt doch so viele Möglichkeiten, eine Frau oder ein Mann zu sein. Warum erforschen wir nicht all diese Möglichkeiten und erweitern unsere Möglichkeiten von dem, was wir als Menschen sein können? Es müsste doch eher darum gehen, sich zu entfalten als zu reduzieren. Ich habe viele unterschiedliche männliche Charaktere dargestellt, auch die schwuler Männlichkeit. Danny King ist derjenige, der auch die Workshops macht.

Baella: Wie reagieren die Leute auf Danny?

Diane: Für mich ist es nicht wirklich relevant, was die Leute über mich denken; wichtig ist, woher ich komme und was ich tue. An Orte gehen zu können, die mir fremd sind, die mir aber nicht mein Selbstvertrauen nehmen, sodass ich sie mir erschließen kann. Diese Welt ist meine Welt, ich gehöre zu ihr, es ist mein Planet. Ich glaube, Frauen haben damit Probleme. Ich weiß, dass das sehr allgemein klingt und dass es Frauen gibt, die damit keine Probleme haben; aber wenn Frauen in meinen Workshop kommen, fühlen sie sich meist neben sich stehend, in etwas gepresst, in das sie nicht hineinpassen. Es fehlt ihnen der Sinn für ihr eigenes Vertrauen und wohin sie gehören.

Baella: Kannst Du ein paar Beispiele nennen?

ein Workshop ist eine feine Sache

Diane: Letztens war eine Frau da, die als Sängerin Alte Musik singen möchte. Die Musikszene in Berlin, die Gruppen, die Alte Musik spielen, wird von Männern kontrolliert. Sie hat sich entschlossen, eine dieser Gruppen zu infiltrieren, weshalb dieser Workshop sehr ernst für sie war. Ich habe für sie so ein Szenario entworfen, eine Audition, wo sie uns etwas von Verdi vorsang. Ich schloss meine Augen und konnte mir sehr gut vorstellen, dass es ein Mann ist, der das singt, weil sie in der Stimmlage eines Kontratenors singt, genau in der Mitte, es war wunderschön. Wenn sie zu der Audition hingeht, will sie als Mann auftreten und singen. Daran habe ich mit ihr gearbeitet.

Eine andere Frau ist Ärztin. Mit ihren hellblonden lockigen Haaren hat sie einen schweren Stand in der Klinik. Die Patienten fragen sie manchmal nach dem Arzt. Sie bekommt nicht den gleichen Respekt wie ihre männlichen Kollegen. Sie will außerdem Chirurgin werden und nicht mit ihren Kollegen erst mal ins Bett gehen müssen. In diesem Workshop ist das ganze Dilemma zum Vorschein gekommen, aus dem sie heraus will. Hier hatte sie die Möglichkeit, mit anderen Frauen über Strategien zu reden. Ich glaube überhaupt, der größte Teil des Workshops geht über Geschlechter-Strategien. Eine männliche Strategie z.B. ist es, nicht viel zu reden, einfach zu warten und zu sehen, was andere zu sagen haben und dabei aber diesen Ausdruck persönlicher Gewichtigkeit zu haben, die andere unterwirft. Auch sich Raum zu nehmen, oder besser noch, Leute dazu zu bringen, dass sie dir Raum geben.

Transsexuelle, die den Workshop besuchen, erfahren meistens eine Bestätigung für sich, selbst Leute, die schon seit vier oder fünf Jahren operiert sind. Für viele dient der Workshop auch dazu ihre tiefsten inneren Wünsche nach außen zu bringen, sie selbst sehen zu lassen, was in ihnen und an ihnen sichtbar ist. Weil, wenn du in den Spiegel guckst, bist du plötzlich nicht mehr du selbst.

Baella: Dieses Gefühl, blöde angeglotzt zu werden, wenn ich mich außerhalb der Szene bewege, kenne ich durchaus. Ich kann es nur genießen, wenn ich mit Freundinnen unterwegs bin. Allein fühle auch ich mich schnell ausgezogen, irgendwie schutzlos.

Diane: Du brauchst dafür Strategien. In Istanbul z.B. habe ich einmal einen sechswöchigen Kurs mit schwul-lesbischen Transvestiten gemacht und eine Performance entwickelt. Mit dabei war eine MTF-Transsexuelle, die auch politische Aktivistin war. In ihrer Performance hatte sie die Gelegenheit darüber zu reden, in den Straßen von Istanbul nicht nur beobachtet zu werden, sondern ständig missbraucht und verlacht zu werden. Die Performance fand in einem Club namens Magma statt. Dort war das Club-Publikum eigentlich zum Tanzen gekommen. Bis dahin hatten wir mit unserer Performance eigentlich kaum Zuhörer, aber als diese Frau zu sprechen begann, wurden alle plötzlich sehr still; ich glaube, sie alle fühlten sich irgendwie schuldig, das auch schon mal mit Transen gemacht zu haben, sie anzustarren, sich über sie lustig zu machen. Sie war eine so starke Frau, die so viel unter der Istanbuler Polizei gelitten hatte; die Polizei dort schlägt die Transsexuellen. - Ich habe zwar kein Wort türkisch verstanden, aber ich wusste genau, was sie erzählte. In der Performance haben wir diese überdimensionalen Lupen als Ferngläser benutzt und damit ins Publikum geschaut; so dass die Leute einen Eindruck davon bekommen, wie es ist, angestarrt zu werden. Ich glaube, sie hat damit die Leute wirklich berührt, und genau darum geht es, aufzustehen und zu sagen, was eigentlich abgeht.

Baella: Ich gebe zu, dass ich diese Workshops bisher nicht so wirklich ernst genommen habe. Ich hielt sie mehr für Selbstbeschäftigung. Aber wenn es das öfter gäbe...

Diane: Es wäre doch großartig wenn es einen Unterricht für Cross-Dressing in High Schools gäbe, und wenn das jeder lernen könnte. Als ich über das "Gender-Mainstreaming" hörte, was eine Idee von der Europäischen Union ist (Stoppt Diskriminierung! Mehr Bewusstsein für Geschlechter-Fragen), dachte ich, was soll's. So lange darüber geredet wird, passiert nichts. Für die Leute muss etwas körperlich passieren, damit es wirklich wird. Das ist es genau, was die Leute in meinen Workshops immer wieder betonen, diese körperliche Erfahrung, ein Mann zu sein. Wie lange sie auch über Mannsein und Rollenverständnis gesprochen haben, es ist niemals die Erfahrung davon.

Baella: Wäre ja fast ein schönes Schlusswort. Gehen Sie hinaus in die Welt, meine Damen und Herren und gründen Sie Cross-Dressing-Schulen. Oder klingeln Sie bei Ihrer sympathischsten Nachbarin oder Ihrem süßen Nachbarn und verwandeln Sie sich gemeinsam, wenigstens für einen Abend. Das macht Spaß und hat den Vorteil, sich noch ein bisschen besser kennenzulernen. Wenn Sie die Torr noch ein bisschen besser kennenlernen wollen, lade ich Sie zum dritten und letzten Teil unseres Gesprächs ein.