Leben lernen im Neoliberalismus

Solidarität, die; -, kMz. 1. Zusammenhalt, Zusammenstehen, gemeinsames Eintreten für Interessen oder gegen Ungerechtigkeiten, gegenseitige Hilfe 2. Gemeinsinn, Übereinstimmung

Sagt Langenscheidts online-Fremdwörterbuch, wobei kMz. heißt keine Mehrzahl. -- Und damit hier nicht nur die bürgerliche Variante steht:

...grundlegendes Prinzip in der Politik und Ideologie der revolutionären Arbeiterbewegung und der marxistisch-leninistischen Parteien, in den Beziehungen zwischen den Staaten der sozialistischen Gemeinschaft, im praktischen Handeln und Bewußtsein des proletarischen Revolutionärs...

Wir blenden aus, eine Quellenangabe wäre peinlich. Sind wir jetzt schlauer? Ist Solidarität überhaupt wichtig? Ist sie unmodern geworden, vergangen? Und wie kann sie neu entstehen?

Diese Diskussion hat in etuxx_1.0 begonnen: Billy Elliot's One Way Ticket -- von New C


allein machen sie dich ein
Commander_Spatz: schrieb über Soldarität, Verantwortung, Politik und die Ewiggestrigen: Alles geht in Richtung Ego-Kult. Gefragt ist aber konstruktives Engagement und Solidarität sollte sich mit Genuss verbinden.  Lesen
Sascha Berlinskij: antwortete auf Commander Spatz: Der Begriff bleibt unscharf. Eine neue Solidarität ist zwar nicht in Sicht, wäre aber schön.  Text hier
New C: Wenn wir über neue Solidarität diskutieren, sollten wir klären, warum die alte verschwunden ist: Wirtschaftliche und politische Umwälzungen haben eine neue Art und Weise hervorgebracht, in der wir "wir selbst" sind. An Hand des Films "Billy Elliot" lassen sich diese Veränderungen im Ökonomischen und im Selbst gut verstehen. Jedenfalls wenn das Selbst männlich ist. - Der Text lässt sich lesen, ohne den Film gesehen zu haben. Aber Vorsicht, er ist lang.  Hier weiter.
Jens: Thema: männlich. Männerwirtschaft kann so schön sein. Die männlich/weibliche Brille, hast Du, NewC. Traust Du Männern keine Tränen zu? Ab ins Kino - und den Film nochmal geschaut - Billys Vater ist ganz Mann, und ganz weich, sorgt für alle, schau hin! Grob ist er, aber auch nur manchmal, für mich war er der Held, nicht Billy (der war auch gut). Versuche mal, den Film zu fühlen statt zu ökonomisieren!  
cracy-c: to jens: right. schade, dass oft so ein falsches männerbild in den köpfen der menschen ist. ein mann kann ohne weiteres gefühle und "weibliche" eigenschaften haben. er benötigt sie sogar. und sie stellen seine männlichkeit auch nicht in frage. ich wünsche den männern ohne weibliche eigenschaften viel glück.... (das brauchen sie...) ;)  just some funky stuff ;)
Jens: cracy-c, hast Du mich jetzt falsch verstanden oder ich dich, aber wir meinen doch das gleiche?  
cracy-c: irgendwie habe ich das gefühl, dass das leben mich lebt und nicht ich das leben, das ich doch eigentlich dominiere. vieleicht bin ich etwas undeutlich. ich meinte, dass es richtig ist, dass der vater der held ist. er zeigt seine gefühle und durchbricht die form des falschen mannbildes.  
new c: cracy-c: dass das leben dich lebt, klingt interessant. vielleicht ist es auch das, was ich meinte: dass wir nicht völlig "herren" unserer selbst sind, sondern von den bedingungen mitgestaltet werden, unter denen wir leben -- und zwar ohne das bis ins letzte zu merken. mir ging es um die veränderung dieser bedingungen. wann und wie wurden wir so, wie wir jetzt sind: leistungsbereit, individualistisch, ambivalent? (und seid ihr das überhaupt bzw. in welchem maß?) ich glaube übrigens nicht, dass man das nur durch die männlich/weibliche brille sehen kann, aber so ganz unwichtig ist die auch nicht...  
new c: jens, klar ist der vater eindrucksvoll (und der schauspieler sowieso gut). ich glaube aber, dass diese form von autoritär-verantwortungsvoller männlichkeit verschwindet und dass dieses verschwinden ursachen hat. schau dich um, wie viele siehst du, die noch so sind. das war in gewissen zügen die generation unserer väter (allerdings konnte man mit dem vater pech oder glück haben). vielleicht gefällt er dir sogar deshalb, weil er dich an deinen vater erinnert oder an einen vater, den du gern gehabt hättest?  
Jens: ja  
new c: :)  
b.k.: mir gefällt, wie im text der umgang der streikenden mit den streikbrechern als ein kampf um positionen in der männlichkeit beschrieben wird oder anders rum als ein kampf zur abwertung von formen von weiblichkeit. - was in der beschreibung (oder im film?) ein bisschen fehlt, finde ich, dass sich die männlichkeits-auseinandersetzungen aus der frage ergeben, wie der kampf oder konflikt der bereits abgewerteten arbeiter-körper-männlichkeit gegen die master-männlichkeit des kapitals zu führen wäre, die auf den arbeiterskörper schauen und auf ihn zählen und rechnen, die selbst aber wiederum bedroht sind, in deren augen als potentielle sissies abgewertet zu werden.  
b.k.: also: industrieparadigma, entsprechend: männlichkeit des geistes und der rationalität -- in direktem wettbewerb zu maskulinität des körpers. darin funktioniert 'weiblichkeit' sozusagen als dritter begriff, des anderen. - und ist dann irgendwie die position von billy als in einer weise 'resultat' aus diesen kämpfen zu lesen?  
b.k.: liest man nun 'männlichkeit' nicht als eine entität, sondern als eine sich verändernde kategorie - also nicht von der unausweichlichkeit, universalität und konstanz dessen auszugehen, was es bedeutet, 'ein mann zu sein' und nicht die kategorie männlichkeit per se signifikant setzen, sondern vielmehr die art und weise, wie diese kategorie möglicherweise verwirrende lebenserfahrungen normalisiert - auf der einen seite und auf der anderen seite den film als eine modernisierungserzählung, so werden natürlich vor allem die schlusssequenzen interessant:  
b.k.: wie wird der stolze, anerkennende blick des vaters auf den tanzenden billy beschrieben? hat der 'stolz' gerade etwas mit der sexuellen ambivalenz von billy zu tun? wie wird billy als eine 'männliche' position indentifizierbar, wenn er sich doch gerade 'weiblicher prinzipien' bedient, um um gesellschaftliche anerkennung zu ringen?. - WEIL er 'ringt' und weil er WIE gegenüber WEM damit 'ringt'? - also die frage wäre für mich auch, in welche art male bondings wird billy eingeschrieben und/oder schreibt er sich selbst ein? und ist es möglich, die anerkennung einer position wie derjenigen billys wirklich als phänomen der herausbildung neuer hegemonialität zu lesen, wie du dazu tendierst?  
b.k.: interessant könnte es auch sein, genau umgekehrt vorzugehen als du das machst und schauen, welche auslassungen die filmerzählung vornimmt, welche aspekte sie gerade nicht verfolgt...  
Lore: Billys Geschichte kann durch auch als männliche Schöpfungsgeschichte gelesen werde, ein ganzer Kerl, der weiß, was er will und sein Ding gegen alle Widerstände durchzieht und schließlich dafür mit Erfolg belohnt wird. Er tanzt als Schwan und springt in die Höhe (Achtung: Phallussymbol!!!).  
Lore: Deine Frage, b.k., wie denn ein kämpferischer Arbeiterkörper auszusehen hat, OHNE homophob, rassistisch und sexistisch zu sein, finde ich interessant. Aus dieser Abwertung von Arbeitermännlichkeit als politisch unkorrekt spricht ja oft genug bürgerliche Klassenarroganz.  
schwuler vater: es ist schwer, dem hirnschmalz zu folgen, doch ein versuch, eines schwulen vaters: wahrscheinlich habt keine kindern, sonst wäre euch stolz (auf die kinder, die man erzogen hat) nicht so fremd. fremd ist falsch, b.k. du deutest dinge hinein, die manchmal viel einfacher sind. ich gebe doch etwas weiter, an mein kind! selbst wenn ich selber unfähig bin, diese sachen zu machen, freu ich mich.  
Lore: Also so völlig fremd ist mri Stolz nicht. Im Deutschen ist der Begriff halt belastet. Man kann stolz sein auf eine Leistung und dann hat es noch was Diffuses mit Ehrgefühl oder Selbstachtung zu tun, was mir auch nicht fremd ist. Weiß aber nicht, was der Begriff hier so zur Sache tut, wo's doch um verschiedene Formen von Männlichkeit geht. Natürlich gibt's auch ne modernisierte neoliberale Variante des (Vater)stolzes.  
schwuler Vater: die Diskussion um deutschen Stolz verfolgen wir mal lieber bei anderen Medien, da diskutieren ja gerade Politiker, mir geht es um stolze, anerkennde Vaterblicke (b.K.), die ich nicht männerbildhaft diskutieren will. Was heißt will, ich finde, dass diese Gefühle unabhängig dieser Diskurse vorhanden sind. einem Kind die Mögilichkeit "seiner" Entwicklung gegeben haben, unsicher dabei gewesen zu sein, Fehler gemacht zu haben, Schadensbegrenzung organisiert zu haben, ... sich selbst darüber verändert zu haben.  
nu!c: warum soll der "stolze, anerkennende blick des vaters" nix mit männlichkeit zu tun haben bzw. nicht im zusammenhang damit diskutiert werden? ich glaube, er wird damit erst verständlich. wichtig ist z.b. die frage, wie die veränderung des vaters zu verstehen ist: ist er zuerst kein (richtiger, guter) vater und sieht das später ein? oder lernt er im laufe der zeit etwas dazu? und was? dass man männlich sein und trotzdem tanzen kann? (ich finde übrigens interessant, dass es hier so viel um den vater geht.)  
nu!c: b.k., wie billy als (werdender) 'mann' identifiziert wird, obwohl er sich 'weiblicher' strategien etc. bedient: diese frage stellt sich nicht. die unterscheidung mann/frau ist "immer schon" gefallen. nur wenn sie misslingt, gibt es ein problem (das sich in transfobie äußert). klar, 'männliche' und 'weibliche' eigenschaften gibt es nur als ideologie: ob eine beliebige eigenschaft einem 'mann' oder einer 'frau' zugeschrieben und ob sie als 'männlich' oder 'weiblich' etikettiert ist, reguliert das geschlecht der person, um die es gerade geht (z.b. billy). kurz: billy wird nicht weniger mann, sondern anders/neu mann. er widersetzt sich einigen alten anforderungen und genügt neuen.  
nu!c: interessant sind diese anforderungen: ausbruchsversuche gab es zu allen zeiten. an billys ausbruch ist spannend, dass er in die neuste form des kapitalismus hinein ausbricht. (überspitzt gesagt.)