Bevor es laut wird.
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In Berlin soll es demnächst ein großes Mahnmal geben, das an die Verfolgung Homosexueller in der Nazi-Zeit erinnert. Spätestens wenn die ersten Entwürfe vorliegen, werden die Toten wieder auferstehen. Freilich nicht die, an die erinnert werden soll. Es sind die Geister, die heraufbeschworen und in Stein gegossen werden; der Zeit entsprechend größer, lauter, prominenter. Onan Onair nutzt die Gunst der Stille, in der noch fleißig im Verborgenen modelliert wird, einige Töne zu modulieren.
Dass Denk- oder Mahnmalen etwas Nekrofiles anhaftet, liegt in der Natur der Sache. Wie tote Ungetüme stehen sie hilflos in der Landschaft herum, wollen erinnern, auch mahnen, zuweilen sogar infomieren oder gar belehren. Bedeutungs- und inhaltsschwanger sind sie meist doch nichts anderes als Projektionsflächen für das je eigene persönliche Empfinden. Denn auch für sie gilt wie für alle Kunst: ihre Wahrheit entsteht im Auge des Betrachters. So gesehen ist jedes Denk- oder Mahnmal per se ein willkommener Anlass zu streiten. Und vielleicht liegt gerade darin sein eigentlicher, tieferer Sinn.
So weit so gut, könnte man sagen und sanft vor sich hinsinnend an so etwas vorüberziehen, wie an einem kunstvoll arrangierten Schaufenster, oder in einer mehr oder weniger interessant gestalteten Ausstellung. Den Streit den anderen überlassen, die einfach nicht sehen wollen, dass sie ja nur sich selbst meinen, wenn sie über das andere reden, es loben oder kritisieren. Doch Mahnmale stehen im Raum, manchmal quer und eckig, und wollen, indem sie den Weg versperren, das Gespräch aufzwingen, das Thema setzen, wo es gerade nicht Thema ist. Das macht ihre Wirkungsmacht aus, ihre Herrschaft im öffentlichen Raum. Dahinter stehen Menschen, die das bestimmt haben, den Ort und den Inhalt, vor allem aber die Größe und entsprechend dieser die Lautstärke, mit der gestritten wird.
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Der Winkel aus rosa Granit an der Mauer des U-Bahnhofes "Nollendorfplatz" in Berlin ist leise. Kaum hörbar erhebt er doch manchmal seine Stimme durch einen Strauß frischer Blumen, den jemand dort abgelegt hat. Die welkenden Blätter und hängenden Blüten könnten ein eindrucksvolles Bild zum Thema "Totgeschlagen und Totgeschwiegen" abgeben. Allein, der Winkel ist kaum wahrnehmbar, und wurde durch die Regenbogen-Stele, die vor ein paar Jahren in schüchterner Annäherung hinzudrapiert wurde, auch nicht lauter. Jetzt aber scheint das Mahnmal selbst totgesagt zu sein, denn - in Berlin soll es demnächst ein ganz großes geben.
Die Entscheidung dazu fiel im Dezember 2003 im Deutschen Bundestag, gegen die Stimmen der CDU (was übrigens von der LSU, den Lesben und Schwulen in der Union gern verschwiegen wird) und mit den Stimmen der FDP. Die immerhin knapp fünfhundertausend Euro, die dafür bereitgestellt werden sollen, und der prominente Ort am Brandenburger Tor lassen versprechen, dass die Diskussion darüber noch laut werden wird, spätestens dann, wenn es die ersten Entwürfe zu sehen gibt. So laut wird die Diskussion werden, dass ähnlich wie beim Holocaust-Mahnmal jeder Austausch über Sinn und Inhalt wohl eher wieder ein Lehrstück darüber wird, wie man aus Selbstschutz besser weghört, um eigene Hörschäden
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zu vermeiden. Denn wer hier über das Was und Wie seine Stimme erheben wird, wer hier offiziell sich Gehör verschaffen kann, wer hier am Ende seine Kunst sogar noch ausleben darf, der muss es - salopp gesagt - schon jetzt einfach nur drauf haben.
Zeit zum Üben bleibt ja bis dahin und das Getöse kündigt sich schon an. Es begann mit der Grundsatz-Diskussion um ein Homo-Mahnmal, die mit dem Bundestags-Beschluss längst nicht beendet ist. Nach wie vor mahnen Kritiker die Zersplitterung der Denkmal-Landschaft an, üben sich Konservative in altbewährter Ignoranz. Vor diesem Hintergrund einer weiter bestehenden argumentativen Unsicherheit wurden im April des Jahres in einem aufwändigen Verfahren 33 Künstler ausgewählt, einen Entwurf zum Homo-Mahnmal vorzulegen. Jetzt also ist auch die Kunstmaschinerie angelaufen. "Hochambitioniert und sehr kompliziert" sei das Verfahren gewesen, so Leonie Braun, eine der Jurorinnen von der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in der TAZ (7.4.) Am Ende wurden alle Künstler zu einem zweitägigen Kolloquium bestellt und auf einer Informations-Tour nach Sachsenhausen eingehend gebrieft, bevor sie an ihre Entwurfsarbeit gehen konnten.
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Damit kehrt erst einmal wieder Ruhe ein. Sie dürfte spätestens Anfang des kommenden Jahres beendet sein. Dann nämlich, schätzt Eberhard Zastrau von der Initiative "Der homosexuellen NS-Opfer gedenken" sei mit den ersten Entwürfen zu rechnen. Was also bleibt übrig als zwischenzeitlich schon mal die eigenen Stimmbänder zu trainieren und den Chor der Schreihälse allmählich aufzustellen, mal mehr oder weniger lautstark, noch mäßig, aber regelmäßig; allen voran hatte es Lea Rosh fürs Holocaust-Mahnmal damals ja vorgemacht. Nun hat vielleicht Jan Feddersen die besten Chancen, die Chorleitung zu übernehmen. Als Lea Rosh eines Homo-Mahnmal-Lobgesangs. Wer anders als der TAZ-Experte für das Homosexuelle hätte sich einen Tag nach Beschlusslage zu Wort melden können, um wie immer ganz besonders aufrichtig zu informieren: Das Homo-Mahnmal komme, sogar mit den Stimmen der FDP, aber es komme ohne die CDU. "Wie schlimm!" dachte sich da sicher so mancher. "Na ja, ist ja auch gut so!" In dieser gut bürgerlich verordneten Ruhe vor dem Sturm liegt ein vermeintlicher Konsens, der auch für sensible Ohren schwer zu ertragen ist. So leise soll es dann doch nicht sein!
Es könnte also mal wieder rumpeln und tatsächlich tut es das auch, wenn auch aus weiterer Ferne, dem Hintergrund der Bühne: "Schluss mit dem Mythos!" polterte schon wenige Tage nach Bekanntwerden der künstlerischen
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"Qualifizierungsmaßnahme" (Tina Hütl in der TAZ) das WHK in einer Erklärung, bei der noch zu prüfen wäre, ob das Komitee der radikalen Gegner - diesmal des Homo-Mahnmals - wirklich wissenschaftlich und humanitär argumentiert. Egal, im Vordergrund stand ja der Aufruf zum Boykott, der formgeschichtlich neben dem Offenen Brief noch immer das beste Mittel ist, öffentlich auf sich aufmerksam zu machen. Unangenehm nur, dass sich niemand dazu äußerte. Noch unangenehmer der Verdacht, das WHK könnte mit seinem Boykottaufruf in erster Linie wieder einmal seinen Erzgegner, den LSVD, treffen wollen, der die Homo-Mahnmal-Initiative unterstützt. Hauptargument für das WHK ist die Tatsache, dass Homos unter Hitler nicht nur Opfer, sondern auch Täter waren. Weshalb zu befürchten sei, dass eines Tages sogar rechtsextreme Röhm-Anhänger ihren Kranz am Mahnmal ablegen könnten.
Bei so viel Argument kann es schon einem die Stimme verschlagen. Allein die Vorstellung, dass es auch hier mal wieder nicht um die Sache geht und dass auf dem Rücken wehrloser Opfer ein Machtkampf verfeindeter Homo-Zirkel ausgetragen wird, ist ebenso schwer zu ertragen wie leider naheliegend. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass sich WHK und LSVD glücklos begegnen. Vielleicht hat deshalb Günter Grau, ein schwuler Historiker, der sich besonders auch mit der Geschichte der Homosexuellen in der Nazi-Zeit befasst hat, seine Antwort auf den Boykottaufruf wieder zurückgezogen. etuxx hatte ihn um eine Stellungnahme gebeten. Doch wem es die Stimme verschlägt, dem bleibt wohl nichts anderes übrig, als sie wiederzufinden - wenn er gehört werden möchte. Und wenn er nicht will, dass die Ruhe falsch interpretiert wird. In einer sachlichen Diskussion wäre dies wohl möglich, sachlich muss ja nicht heißen ohne Gefühl.
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Die Frage, ob nun ein Homo-Mahnmal sein muss oder nicht, ist da schon falsch. Die Verfolgung von Schwulen in der Nazi-Zeit war einer der schrecklichen Höhepunkte grassierender Homophobie, die bis heute latent vorhanden ist und wieder zunehmend offener zu Tage tritt. Neuere Entwicklungen zeigen das. Mit wachsendem Bewußtsein der homosexuellen Emanzipationsbewegung werden auch die Angriffe gegen Homosexuelle wieder hemmungsloser, frecher und gewalttätiger. Die jüngste Großdemonstration hunderttausender reaktionärer Spanier in Madrid gegen die Homo-Ehe und die Steinwürfe gegen den CSD in Warschau sind da nur zwei Beispiele. Ein Homo-Mahnmal würde da nicht nur an die Opfer der NS-Zeit erinnern, sondern den Brecht'schen Spruch in die Gegenwart tragen: "der Schoß ist fruchtbar noch".
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Bleibt nur die Frage, ob ein Homo-Mahnmal ebenso publikumsheischend daherkommen muss wie alles andere, was in Berlin zur Zeit so aus dem Boden wächst. Vielleicht ist das der Zeit geschuldet, in der das Lauter-Höher-Größer Konjuktur hat. In der selbst Eisenman für sein Mahnmal um Quadrat-Meter kämpfen musste, was doch nichts anderes hieß als: Geht es nicht doch ein bisschen leiser?
Vielleicht geht es nicht leiser. Schlimm nur der nahe liegende Verdacht, dass hinter allem die Befriedigung einiger weniger stehen könnte und vor allem der Versuch einer allgemeinen Befriedung. Denn vor dem Hintergrund jahrzehntelang versäumter Entschädigungszahlungen an die Opfer kann dieses Mahnmal nur ein winziges Feigenblatt sein. Wie laut es auch immer werden wird, die Scham ist so groß, daß es die Rufe der Toten (und wenigen noch Überlebenden) nicht übertönen kann. Beschämend noch immer, daß von den schätzungsweise 50-100.000 homosexuellen Opfern der NS-Diktatur kaum einer auch nur einen müden Cent gesehen hat. Nicht zuletzt der Streit, ob es sich bei ihnen um eine klar umrissene Opfergruppe handelt, hat ihre Anerkennung als Opfer bis heute verhindert. Beschämend, dass selbst ein Vorstoß des Landes Bremen da nicht weiterführen konnte. Beschämend auch, daß sechzig Jahre nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur immer noch keine verlässlichen Opferzahlen vorliegen, weil die Forschung diesbezüglich lange verhindert wurde. Und dass das Elend für Hunderttausende jahrzehntelang weiterging, sich teilweise sogar noch verschlimmerte.
Und eine Ironie der Geschichte, die mit der Wahl des Tiergartens als Standort nicht deutlicher ausgedrückt werden könnte. Auf einer Tafel, etwas weiter von dem Mahnmal entfernt müsste zu lesen sein:
"Homosexuelle konnten auf Grund ihrer Kriminalisierung ihre Sexualität lange Zeit nur versteckt ausleben, an Orten wie Toiletten und Parkanlagen. Im Laufe der Zeit haben sie aus dieser Not heraus eine eigene Tugend gemacht und einen Teil von Gegen-Kultur entwickelt, der heute immer weniger geduldet wird. Orte, an denen sich Homosexuelle in Parkanlagen treffen, werden neuerdings wieder befriedet und stehen unter besonderer Überwachung. Dafür steht auch dieses Mahnmal. Mit seiner Errichtung an dieser Stelle wurde ein solcher Ort eigener Homo-Kultur vernichtet. Berlin, im Jahr 2008."
Onan Onair
Zum Thema im Sommer 2002 auf etuxx erschienen: Queering Erinnerungspolitik
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