von Nancy
Am Berliner U-Bahnhof Nollendorfplatz, mitten im schwulen Amüsierviertel Westberlins, hängt seit 1989 eine Gedenktafel. Ein Rosa Winkel aus Marmor trägt die Inschrift:
TOTGESCHLAGEN TOTGESCHWIEGEN
DEN HOMOSEXUELLEN OPFERN DES NATIONALSOZIALISMUS
und eine zweite Tafel gibt einen kurzen Erklärungstext. Seit 1993 arbeitet eine Initiativgruppe daran, die Idee eines größeren und stärker in der Öffentlichkeit verankerten Denkmals zu verbreiten. Sie gab 1995 eine Denkschrift heraus, veranstaltete 1996 ein Symposium (1) und wird mittlerweile von zahlreichen Prominenten unterstützt. Auch in diesem Jahr hat der Berliner CSD die Forderung übernommen. Bei der Verbreitung der Denkmalsidee konnte sich die Gruppe auf Forschungen über die "vergessenen" Opfer des NS und auf Debatten über die Gedenkpolitik der neuen Berliner Republik stützen.
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Nachdem aber der Bundestag das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas beschlossen hatte, gab es einen Eklat: Einige schwule Journalisten und Politiker (nicht die Initiativgruppe) griffen zu Vergleichen und Formulierungen, die von wenig historischer Sachkenntnis zeugten und — beabsichtigt oder nicht — antisemitisch waren. Sie argumentierten als Hinterbliebene einer als homogen vorgestellten Opfergruppe, der Homosexuellen, und verlangten einen repräsentativen Ort des Gedenkens. Dieses Projekt werde durch eine angeblich übergewichtete Erinnerung an die Jüdinnen und Juden verhindert. (Genaueres findet sich in "Beste Citylage" von Udo Badelt und Eike Stedefeldt, Gigi 03 (1999), S. 6-7 .
Solchen Entgleisungen begegnete der alternative Kreuzberger CSD 2000, indem er die die Idee eines Denkmals überhaupt verwarf. Es versteht sich von selbst, dass die scharfe Zurückweisung der antisemitischen Rhetorik richtig war — aber die Ablehnung des Denkmals ist falsch.
Die Initative entwirft das Monument als Ort des Gedenkens an die homosexuellen Opfer des NS. Bekanntlich wurden auch nach 1945 in beiden deutschen Staaten sexuelle Akte zwischen Männern verfolgt. In der DDR galt der Paragraph 175 bis 1968 in der Fassung der Weimarer Republik, in der BRD blieb bis 1969 die Nazi-Version gültig.Die von NS-Gerichten gefällten Urteile blieben rechtskräftig, nicht einmal ehemalige KZ-Häftlinge wurden entschädigt (2) — und es waren fast ausschließlich Homosexuelle, die an dieses Unrecht weiter erinnerten.
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Für die sich formierenden Schwulen- und Lesben-Bewegungen wurde die kollektive Erinnerung — symbolisiert in der Übernahme des Rosa Winkels — zum Gründungsmythos. Gelegentlich fanden auch Schwarze Winkel Verwendung, weil vermutet wurde, dass weibliche Homosexuelle bei den Nazis zur Kategorie "Asoziale und Arbeitsscheue" gehörten. Jedenfalls schienen alle Homosexuellen im Nationalsozialismus verfolgt, die meisten ermordet worden zu sein. Zu Recht kritisiert Stuart Marshall: "Dieser mythische Genozid versorgte uns mit einer Gruppenidentität, vergleichbar der der Juden und Jüdinnen. Der Rosa Winkel drückte unsere Gemeinsamkeit als Opfer aus; wir konnten unsere Gemeinschaft durch die Augen unserer Verfolger, der Nazis, erkennen." (3)
Mittlerweile haben zahlreiche Forschungen die Legende von einem "Homocaust" widerlegt.(4) Immer noch aber ist umstandslos die Rede von 'den' verfolgten Homosexuellen oder sogar 'Schwulen' und 'Lesben' (womit die NS-Opfer endgültig in heutige Identitäten heimgeholt werden). Jüngst wurde sogar die Forderung nach Entschädigung der NS-Opfer mit dem Vorschlag verknüpft, auch eine Kollektiventschädigung an die lesbisch-schwulen Communities zu zahlen. Das klingt vielleicht unproblematisch und mit dem Geld könnten auch nützliche Dinge finanziert werden (z.B. weitere Geschichtsforschungen). Wieder wird aber unterstellt, dass eine klar umreißbare Gruppe von Menschen existiert, deren Angehörige die Nachkommen einer fest umrissenen Gruppe von NS-Verfolgten sind und dass diese heute lebenden Lesben und Schwulen immer noch an der Verfolgung ihrer homosexuellen Vorfahren leiden — was dann die Entschädigung symbolisch ausgleichen würde.
Soll das Denkmal sich nahtlos in diese geschichtspolitische Linie einfügen? Soll es ein Ort werden, an dem eine Identitätsgemeinschaft sich ihrer identischen Vorfahren erinnert? Eine Community, die sich in Zeiten des konsumkulturellen Vergnügens in die verschiedensten Sub-Subkulturen differenziert und mit der falsch besetzten Erinnerung an einstiges Unglück vielleicht zusammengehalten werden könnte? Welche Aspekte historischer Wirklichkeit gingen in diesem Einsatz des Denkmals verloren?
Die Biografien der Menschen, an die das Denkmal erinnern soll, lassen sich nicht auf ein Wesensmerkmal Sexualität reduzieren. Viele von ihnen wurden nicht einmal wegen ihrer Sexualität verfolgt. Das Denkmal müsste also erkennbar machen, in welchem Zusammenhang heterosexistische Verfolgung im Nationalsozialismus zu anderen Vernichtungs- und Herrschaftspraxen stand. — Zu Zuchthausstrafen wurden nach §175 ausschließlich Männer verurteilt und auch die Rosa-Winkel-Häftlinge im KZ waren fast alle Männer. Dagegen wurden Frauen wegen homosexueller Akte vor allem familiärem Druck, Zwangsheiraten und Therapien ausgesetzt. Zumeist wurde Homosexualität bei Männern öffentlich skandalisiert und bei Frauen entnannt. Dieser unterschiedliche Zugriff auf die Sexualität hängt zusammen mit polarisierten geschlechtlichen Verhaltensnormen (soldatischer Mann und Heldenmutter).
Unter den wegen Homosexualität Verfolgten waren Mutige und Ängstliche, einige wenige WiderstandskämpferInnen, viele MitläuferInnen und sogar Täter (deren bekanntester wohl SA-Chef Röhm ist). Am schärfsten griff die Regulation der Sexualität innerhalb der Eliten und um so mehr, je höher die Beschuldigten standen.(5) Darin zeigt sich, wie tief das normative Geschlechtermodell in die Ideologie der Volksgemeinschaft eingelassen ist. Die naturalisierte Gemeinschaft braucht naturalisierte (also polare, heterosexuelle) Geschlechter. Unter anderem dadurch konnte der Vorwurf der Homosexualität auch zum Mittel der Abwertung politischer Gegner werden.
Ein Denkmal, das dieser komplexen historischen Wirklichkeit gerecht wird, kann wohl kaum ein Ort sein, der eine bruchlose Traditionslinie von Identitäten postuliert.
Vielmehr müsste an diesem Ort das Besondere des nationalsozialistischen Heterosexismus ebenso erkennbar sein, wie dessen Gemeinsamkeiten mit dem der bürgerlicher Gesellschaft. Das Denkmal wäre also ein Ort der aktiven Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus — und genau in dieser Auseinandersetzung kann eine queere Mobilisierung entstehen. Der Gegensatz beider Formen von Geschichtspolitik ist geradezu klassisch:
Auf der einen Seite die identitätspolitischen Versuche, Geschichte zu besetzen. Mit der Behauptung, eine fest umreißbare Personengruppe (und deren Vorfahren) zu vertreten, bleiben sie innerhalb der liberalen Matrix, in der alle sexuellen und geschlechtlichen Positionen heteronormativ festgelegt sind. Und wegen ihrer Fixierung auf lobbyistische Identitätspolitik sind sie sogar für rechte (im Fall antisemitische) Bedeutungsproduktionen offen.
Auf der anderen Seite könnte eine Bewegung ihre Kräfte sammeln, die nicht nur die nach rechts offene Flanke und die bisher lobbyistische Anlage des Projekts kritisiert, sondern eine eigene Auseinandersetzung mit der Geschichte führt. Eine Bewegung, die sich auch mit der Frage beschäftigt, wie in der Volksgemeinschaftsideologie der vernichtende Antisemitismus und das rigide heterosexistische Geschlechtermodell integriert waren. Diese Auseinandersetzung hätte zum Ziel, die Verschiedenheit und den Zusammenhang der einzelnen Herrschaftspraxen zu verstehen, um eine Koalition der in ihnen Unterworfenen zu begründen. In diesem Sinn kann das Homo-Monument tatsächlich ein linkes, sexualpolitisches Projekt sein.
(veränderter Auszug aus: Nancy Wagenknecht, "Queer gegen rechts?", in: "'Phänomen' Neonazi", hrsg. v. Jörg Fischer, erscheint Sept. 2002 im Alibri-Verlag, Aschaffenburg)
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