Gemeinsamer Rundgang der stellvertretenden Kulturhausleiterin und des Künstlers zur Ausstellung:
Queere Computer, what’s queer? and what’s fiction? (Teil 1)


stellvertretende Kulturhausleiterin: Weshalb ist ihre Ausstellung so klein?

Künstler: Die Größe tut es nicht allein, sonst holt die Kuh den Hasen ein, sagte Brigitte Mira mal in einem Interview mit Heidi Kabel anläßlich der Eröffnung des Berliner Hasenstübchens. Eine Lebensweisheit, auf die ich manchmal höre.

stellvertretende Kulturhausleiterin: Und Computer, diese unerotischen Plaste-Elaste-Metall-Gemische, daran soll es eine sexuelle Orientierung oder gar Identität geben?

Künstler: Beinah hätte ich gesagt, olle Ost ... , aber ich reiße mich zusammen.

stellvertretende Kulturhausleiterin: Sagen sie’s ruhig!

Künstler: Nein, ehm ... ja kommen sie doch erst mal mit, nicht die Metallgehäuse sind queer, sondern die Geschichten, die dran kleben. Die Geschichte des Computers ist die Geschichte der Zahlen. Babylonier und Ägypter hatten erste vollständige Zahlensysteme vor 5000 Jahren. Der Abakus, ein bis heute vor allem in einigen asiatischen Gebieten noch genutzter mechanischen Rechner, stammt aus dieser Zeit. Und wer geübt ist, ist damit immer noch schneller, als Sie ihre Finger auf die Tastatur eines Taschenrechners gepatscht kriegen. Und wenn sie jetzt eine dieser modernen Enzyklopädien aufschlagen bzw. anklicken, werden ihnen Namen in unterschiedlicher Wichtigkeit runtergerasselt: da Vinci, Riese, ... 1675: Wilhelm v. Leibniz benutzt "Integral f(x) dx", die Schreibweise für die Produktregel der Differentation. Seine Rechenmaschine, die durch wiederholte Addition multipliziert, wird vorgestellt. Doch erst mehr als 200 Jahre später soll sie richtig funktionieren, erst dann war die Feinmechanik soweit. So, jetzt noch schnell Charles Babbage, Herman Hollerith erwähnt, um zum großen Schlag auszuholen oder mit der Computergeschichte erst anzufangen: 1941 stellt Konrad Zuse den ersten frei programmierbaren Computer der Welt vor, den Z3, der elektomechanisch arbeitet. Der Speicher besteht aus 1400 Relais, die Steuerung der Arithmetik aus 600 Relais und weitere 600 Relais werden für andere Zwecke eingesetzt. Für eine Multiplikation benötigt der Z3 ganze drei Sekunden.

Und dann wird immer einer vergessen, der wurde schon früher vergessen, hier kriegt er einen ganzen Raum, nicht weil er schwul war, sondern weil man ihn als Mathematiker bewundert und als Schwulen weggestossen hat. Raum 1:
für Alan Turing


Hitlers Seehand war Dönitz. Und die ihm unterstellte U-Boot Flotte konnte mit Hilfe der Verschlüsselungsmaschine Enigma, mit der alle Funksprüche der Nazis verschlüsselt wurden, fast unangreifbar sämtliche feindlichen Schiffe versenken. Als Großbritannien alle zur Verfügung stehenden menschlichen Mathematiker-Hirne in Bletchley Park zusammenführte, war auch der schwule Alan dabei. Schüchtern und seine sexuelle Orientierung so gut wie akzeptiert habend, so wird er von Zeitzeugen beschrieben. 1940 entschlüsselte er erste Botschaften der Nazis. Mit "Colossus", einem Röhrencomputer, gelang ein Jahr später die Entschlüsselung des gesamten Codes. Als „Retter Englands gefeiert“ widmete sich Turing nach dem Krieg der künstlichen Intelligenz. Die Grundlage seiner Überlegungen ist die beliebte Frage: „Können Maschinen denken?“. Noch heute haben der Turing-Test und die Turing-Maschine in der Informatik Bedeutung. Das Interessante dabei: der Turing-Test setzt auf eine Geschlechterfrage auf, warum nur? Nein, Turing war nicht Magnus Hirschfeld, und auch nicht Leslie Feinberg! Das heitere Geschlechterraten ist nur die Basis für den Turing-Test:

Grundlage ist das sogenannte Imitationsspiel. Ein Fragesteller F muss herausfinden, wer von den beiden anderen Mitspielern A und B Frau und wer Mann ist. Der Fragesteller sieht und hört die beiden Mitspieler A und B nicht, das heißt, sie sind räumlich von einander getrennt, die Kommunikation erfolgt mit Hilfe von Zetteln. Spielaufgabe von A ist es, dem Fragesteller (F) möglichst auf die richtige Fährte zu führen, die Aufgabe von B: ihn möglichst auf die falsche.

Beim Turing-Test ist die Versuchsanordnung ähnlich, aber die Frage: Wer ist die Maschine? A wird dabei von einer Maschine ersetzt, und B soll weiterhin falsche Lösungen provozieren. F wird dabei jetzt mehrfach ersetzt. Turings Ansatz dabei: Ist es möglich eine Maschine zu konstruieren, die mit der gleichen Häufigkeit wahre und falsche Ergebnisse bei den Probanden (F) hervorruft , wie es beim heiteren Geschlechterraten der Fall wäre. Kann eine Maschine denken?



Wer die Ausstellung bis hier besucht hat, ist mindestens Student, und selbst die

stellvertretende Kulturhausleiterin zischt: Dieser Versuch ist nicht queer, und selbst wenn mein philosophisches Wissen von der Marx-Engels-Akademie einen sehr rationales wissenschaftliches Fundament hat, ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten. Aber Turing vermeidet die Begriffsbestimmung DENKEN, setzt die Erfüllung seiner Aufgabenstellung mit DENKEN gleich.

Künstler: Ja, Ja ... liebe Frau, das war vor 50 Jahren, das war die Grundlagenforschung. - Sie betrachten die Geschichte mit einer Designerbrille aus dem Jahre 2002. Schauen Sie dort (zeigt auf die letzte Wand):

1951: Nachdem bei Turing eingebrochen worden war, erstattete er Anzeige. Im Laufe der Ermittlung drehte sich der Spieß gegen Turing. Anklage: schwul! Und schließlich geben der Mathematiker und der Arbeiter Arnold Murray ihre sexuelle Orientierung und ihr Verhältnis zu. Homosexualität war verboten, die gesamte Gruselpalette von Hormonbehandlungen bis zu Elektroschocks bzw. Knast warteten auf beide. In feiner englischer Art, hielt sich Turings „Brötchengeber“ zurück. Dem Britischen Geheimdienst war es wohl ganz recht so. Mit dem alten neuen Feind Kommunismus, sah man ein Sicherheitsrisiko bei dem IT-Experten. Schwuler Lebenswandel als Sicherheitsrisiko? Jahre später wird man das gleiche bei Hetero-James Bond cool finden.

Turing wurde der Prozeß gemacht, Anklage: Schwul. Er „akzeptierte“ eine Hormonbehandlung mit Östrogen, um nicht in den Knast zu kommen. Das machte er ein Jahr, dann nahm er sich mit Zyankali das Leben.

Stellvertretende Kulturhausleiterin und Künstler betreten den nächsten Raum. (Lesen Sie beim nächsten Mal: Raum 2: Sexy Computer: Maschinen-SM mit HAL 9000 – wer befiehlt hier wem?)

Info zum Kulturhaus: Das Kulturhaus "Ernst Meibeck" (Wer war Ernst Meibeck?) eröffnete am 12.12.2001 anläßlich des ersten Geburtstags von etuxx. Wie der Name schon vermuten lässt, ist Kultur drin und wartet mit ständig wechselnden Veranstaltungen auf uns und Euch. Film, Musik, Internetseiten, Kneipenprojekte, Imbissstuben oder die billigste Trinkhalle, Kultur hat viele Gesichter. E-Mail an kulturhaus@etuxx.com, z.Bsp., was hier unbedingt besprochen werden müsste!

Der E.M.-Kulturkalender:
Dezember 2001: Bücher - bedrucktes Papier für die kalte Jahreszeit
Januar 2002: Film - der E.M.-Projektor zeigt: "Reise nach Kandahar"
Februar 2002: E.M.-Ausstellung: Queere Computer, what’s queer? and what’s fiction? (Teil 1)


Leo: Diese Variante der Herleitung des Turingtests ist mir neu. Hat Turing wirklich selbst ein Geschlechterspielchen abgewandelt oder ist das Deine persönliche Lieblingseselsbrücke? Soweit ich weiß, spielt beim Turingtest die Möglichkeit, daß der menschliche Proband sich "maschinenhaft" verhalten könnte, keine Rolle.  
Leo: Die Geschlechtervariante des Turingtests wie ich ihn kenne, bestünde darin, daß A und B behaupten, sie wären vom selben Geschlecht wie F und F muß herausfinden wer von beiden simuliert. Das Dilemma für F ist: Jedes Echtheitsmerkmal, das definierbar ist, ist auch simulierbar und damit als Echtheitsmerkmal ungeeignet. F steht also vor der Wahl, Entscheidungen entweder gar nicht oder metaphysisch zu begründen. -- Das Geschlechterraten wie Du es beschreibst ist trivial, da F die Information hat, wer von beiden die Wahrheit sagt (per def. immer A), muß F nur noch A direkt fragen.  
Kunst ist Waffe: und der Künstler schlägt zurück: Mein Gott, bist Du penibel. Nein, natürlich weiß F nicht welches Geschlecht A hat. Dieses "gar nicht oder metaphysisch zu begründen" ist Turings Ansatz. bzw. das zu simulieren. Und das als Denken zu verkaufen.  
suchmaschinen-finderIn: Seine erste Version "The imitation game" - Heintz nennt sie Geschlechterspiel - sieht als Spieler einen Mann und eine Frau vor, sowie einen Fragesteller beliebigen Geschlechtes. Der Fragesteller steht nur in schriftlichem Kontakt mit den beiden anderen Personen und soll ihnen aufgrund von Antworten das richtige Geschlecht zuordnen. Der Mann hat die Aufgabe, ihn zu einer Fehlidentifikation zu verleiten, die Frau soll dem Fragesteller helfen...  z.b. hier
suchmaschinen-finderIn: ... Interpretationen des Turingtextes, die diese erste Version übergehen, werfen auch ein Licht auf den Autor. Es scheint, so Heintz, als weichen sie vor den möglichen Folgerungen zurück. "Einer Maschine, die sich in ihrem Verhalten nicht von einem Menschen unterscheidet, werden menschliche Qualitäten attestiert; ein Mann, der weibliches Verhalten perfekt simuliert, bleibt immer noch ein Mann." (ebenda, S. 264). Oder müßten ihm nicht weibliche Eigenschaften zugesprochen werden? Dann aber ist die Grenzziehung zwischen männlich und weiblich keine Naturtatsache mehr.  
suchmaschinen-finderIn: Heintz, Bettina: Die Herrschaft der Regel. Zur Grundlagengeschichte des Computers. Frankfurt a. M. 1993.