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Queer Theory Radikaler Aufbruch oder linkes Ticket für die Reise nach Rechts? Ein unvollständiger Versuch einer kritischen Auseinandersetzung
Vorbemerkung: Dieser Text soll den unvollständigen Versuch darstellen, sich mit einer Theorie, der queer theory, auseinanderzusetzen, die gerade unter radikalen Linken, die sich gegen Heterosexismus engagieren, Zuspruch findet. Ich glaube weder, den Stein der Weisen gefunden zu haben, noch geht es mir um eine tiefgreifende (wissenschaftliche) Analyse. Deshalb werde ich hier auch auf Zitatnachweise u.ä. verzichten, sondern sehr subjektiv und unwissenschaftlich bleiben. In der Kürze der Zeit war mir dies auch nichts Anderes möglich. Sollte ich jedoch zu einer Debatte hier im T-Haus beigetragen können, würde mich dies sehr freuen.
Seit den 80er und v.a. 90er Jahren sind die Theorien des Postmodernismus und Poststrukturalismus sehr in Mode, treten diese doch mit dem durchaus radikalen Anspruch an, alte Gewissheiten der Moderne, wie Fortschrittsgläubigkeit, politische Machtapparate etc. teilweise radikal in Frage zu stellen. Viele der postmodernen TheoretikerInnen kommen selbst aus der radikalen Linken der 60er/70er Jahre (meist aus der maoistischen Ecke) und verstehen sich durchaus darauf, sich in blumigen Worten (die mensch erst nach 3, 4 mal Lesen versteht) radikal und kritisch zu gebärden.
Hier soll es aber schwerpunktmässig um queer theory gehen. In den 90er Jahren v.a. in den USA verbreitet, hat sie ihren Siegeszug auch längst diesseits des Atlantik angetreten, und (fast) jede bundesdeutsche Universität hast mittlerweile mindestens einen Lehrstuhl, der sich mit Geschlechterforschung und queer theory beschäftigt.
Radikal an queer theory ist v.a. ihre behauptete Andersartigkeit, ihr Anspruch, «kollektive Identitäten» (jeder Zusammenschluss von Menschen aufgrund einer gemeinsamen Herkunft/Überzeugung) radikal in Frage zu stellen, und somit (theoretische) Waffe im Kampf um Emanzipation zu sein.
Doch hier fängt das Problem schon an: Zwar ist es richtig, z.B. soziale Rollenverhalten, die angeblich spezifisch «männlich» oder «weiblich» sein sollen, zu bekämpfen, aber wie soll dies anders gehen als durch «kollektive Identitäten» - wie Bewegungen, Parteien, Initiativen u.a.? Nahezu alle modernen politischen und sozialen Errungenschaften wie der 8-Stunden-Tag, Bürgerechte von Schwulen und Lesben u.a. sind doch von Menschen mit einer «kollektiven Identität» erkämpft worden. Und ich kann auch partout nicht sehen, was daran schlimm sein soll, so eine «kollektive Identität» zu besitzen; auch wenn sie von der (kapitalistischen) Gesellschaft aufgezwungen ist, sind «kollektive Identitäten» doch notwendig, um Rechte gegen das Kapital durchzusetzen. Auch weiß ich nicht, was die queeren TheoretikerInnen denn als alternative Praxis anzubieten haben, wenn sie den politischen Kampf «kollektiver Identitäten» negieren.
Die «Praxis» vieler queerer TheoretikerInnen scheint doch eine rein diskursive, also sprachliche Praxis zu sein. Dies wird aber niemals etwas durchsetzen, denn «die Idee wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.» (Marx).
Will sagen: Ideen an sich sind ja was Nettes, nur braucht es Menschen, die diese durchsetzen. Mit einer rein gedanklichen "Praxis" wird niemand überzeugt.
Noch ein letztes: einige queere Theoretikerinnen halten große Stücke auf die «Individualität», die Unbestimmtheit und Ungebundenheit der von ihnen gewünschten emanzipierten queeren Wesen. Polemisch überspitzt könnte behauptet werden: Der Neoliberalismus will doch gerade dies: Das ungebundene, von «kollektiven Identitäten» (wie Gewerkschaften, Tarifverträgen) losgelöste Wesen, was nur auf sich allein gestellt ist und seine Arbeitskraft verkauft. Gerade in Zeiten von Hartz IV und zunehmender Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedinmgunden halte ich dies für sehr gefährlich: Heute Bandarbeiterin bei Opel, morgen Erwerbslosin, übermorgen?
Es fällt auch auf, dass die queer theory sehr wenig zu sozialen Fragen zu sagen hat, einige AutorInnen bestenfalls bei der (sozialdemokratischen) Vorstellung ankommen, so was wie ein Sozialstaat sei nötig.
Soweit erst mal. Wie gesagt, mir soll es hier nicht darum gehen, kritische, engagierte Menschen, die sich mit queer theory beschäftigen und sich teilweise auf sie beziehen, anzugreifen, sondern mir geht es v.a. darum, hier zu einer Debatte über die Perspektiven queerer/schwulesbiIscher emanzipativer Politik beizutragen. Ich hoffe, das ist mir mit meinen Einlassungen ein Stück weit gelungen.
von Stefan, Flensburg
Ganz schön queer, aber noch ohne Theorie
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Verehrte LeserInnenschaft:
Nach den erregten Debatten um Stalins Wiedereinführung der Strafbarkeit mann-männlichen Sexes in der Sowjetunion (T-Haus Nr. 1) geht es nun in der 2. Ausgabe um die Queer Theory.
Autorin Heinz-Jürgen Voß gibt einen Abriß verschiedener Aspekte dieser Theorie, und Stefan
aus Flensburg hat eine kritische Einleitung dazu geschrieben.
Ich meine, dass in der Queer Theory eine Reihe von Fragestellungen stecken, die fortschrittliche Schwule und Lesben beantworten müssen, um Fortschritte im Kampf gegen Heterosexismus erzielen zu können. Dazu gehört das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, und die daraus abgeleiteten Fragen nach kollektiver Identität und der Strategie.
Mir scheint, dass die Queer Theory zwar einzelne Probleme benennt, aber keinen Weg
zur Befreiung von sexueller, wirtschaftlicher und politischer Unterdrückung zeigen kann,
weil sie weitestgehend vom Klassencharakter der Gesellschaft und von der Frage der politischen Macht absieht.
Daß die Queer Theory vor allem vor dem Hintergrund der Fehler und Schwächen revolutionärer MarxistInnen Einfluß gewinnen konnte, zeigt Magaret Robinson in ihrem Aufsatz Why aren’t more queers buying marxism?, den wir hier mit freundlicher Genehmigung der Verfasserin als PDF-Datei online stellen. Leider fehlte mir die Zeit, diesen
wichtigen Text ins Deutsche zu übersetzen. Vielleicht möchte das ja jemand anderes tun?
An dieser Stelle danke unseren AutorInnen für die Mühen des Schreibens und bitte die hochverehrte LeserInnenschaft um die Mühen des Diskutierens.
Ganz der Eure,
Michael Hellmann
Margaret Robinson: Why aren't queers buying Marxism?
Homepage von Margaret Robinson
Die Verhältnisse zum Tanzen bringen, indem man ihnen ihre eigene Melodie vorspielt.
Im T-Haus möchte ich Ihnen Texte präsentieren, die Geschichte und Gegenwart
des Heterosexismus und des Kampfes dagegen beleuchten. Vergessene Originale, Fremdsprachiges in Übersetzung, nichts soll hier ausgespart werden, wenn es denn der Wahrheitsfindung dient.
Denn ohne Theorie wird die Praxis blind. Geschichtskenntnisse sind unverzichtbar bei der Veränderung der Gegenwart. Hier zur Erhellung beizutragen, nehmen ich mir vor.
Erster Schritt: Sonnenbrillen ab.
Zweiter Schritt: Rein in die Archive.
Dritter Schritt: Öffentlich machen!
Wer hier etwas beitragen und veröffentlichen möchte, möge sich mit mir in Verbindung setzen:
michael[at]etuxx.com
Und nun viel Spaß beim Tee trinkenden Theoretisieren.
Im T-Haus bereits erschienen:
zum T-Haus Nr. 1
8.3.1934 - Sowjetunion rekriminalisiert mann- männlichen Sex. Kommunist Harry Whyte ist dagegen.
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Queer Politics
zwischen kritischer Theorie und praktischer (Un)möglichkeit
«Queer» ist im Rahmen der queer theory und der daraus resultierenden bzw. zu Grunde liegenden Praxis nicht gleichbedeutend mit lesbisch oder schwul, wie es in Wörterbüchern häufig zu finden ist. Aus dem Englischsprachigen kommend (übersetzt heißt es soviel wie «merkwürdig», «komisch», «sonderbar» und erhält im Sprachgebrauch eine mit «Arschficker oder «Schlampe» vergleichbare Bedeutung) wurde der Begriff durch die Gruppe «Queer Nations» selbstbewusst aufgegriffen und erfuhr eine Umdeutung zu einer übergreifenden Bezeichnung, die Menschen aller Identitäten und Lebensweisen einschließt.
Queer Nations, Lesbian Nations, Bitch Nations
Ende der 1980er Jahre entwickelte sich «Queer Nations» in den USA als loser Zusammenschluss von Menschen, die aus der Gesellschaft ausgegrenzt und zu Außenseiterinnen gemacht wurden. Es entstand eine Sammelbewegung, die mit radikalen Aktionen und einer radikalen Sichtbarkeit den weißen mittelständischen heterosexuellen Mainstream angriff und Kritik an der ebenfalls diskriminierenden lesbischen und schwulen Community übte. Radikale Aktionen und Sichtbarkeit heißt das Eindringen in als vor Störungen sicher geglaubte weiß und heterosexuell normalisierte Räume, das Eindringen in die Konsumgesellschaft, das Eindringen und positive Besetzen des Mainstreams und das Aufgreifen patriotischer Aussagen und Symbole. Ein Haufen von 50 und mehr «Queers» ging schrill gekleidet und laut shoppen, ging gemeinsam in sonst weiß und heterosexuell dominierte Lokale, veranstaltete sit-ins, die-ins und kiss-ins... Es wurde ein schwarzer und ein mit queer-T-Shirt bekleideter Bart Simpson kreiert und die US-amerikanische Nationalflagge verfremdet mit rosa Dreiecken von nur mit der Fahne bekleideten Menschen durch die Straßen getragen. Ziel war, öffentliche Räume psychologisch unsicher (im Sinne der Mehrheitsmoral) zu machen und damit Normierungen aufzubrechen; öffentlicher Raum sollte mit Sexualität und politischer Identität besetzt werden.
Kritisch war der Umgang mit Nation und Patriotismus. Es gilt nicht als gesichert, dass «Queer Nations» einen ironischen Umgang durchgehalten hat oder auch positiv auf Nation und Patriotismus Bezug zu nahm. Ebenfalls als problematisch erwies sich das Nutzen von Nacktheit als Mittel der Öffentlichkeit, da Nacktheit von Männern und Frauen in der Öffentlichkeit unterschiedlich wahrgenommen wurde (und wird). Frauen wurden und werden mit zunehmender Nacktheit und erotischer Erscheinung rasch auf Körperlichkeiten reduziert und zu sexuellen Objekten gemacht. Als Resultat beider Problematiken entstanden Lesbian Nations und Bitch Nations, die als radikales Mittel politische Magazine herausgaben, in denen politische Veränderungen eingefordert wurden und auch postpatriarchale und postnationale Fantasien zu Wort kamen. queer theory knüpft an diese radikalen Fantasien an und entwickelt Ideen für gesellschaftliche Veränderungen.
Definition und Zuweisung als Mittel der Ausgrenzung und Unterdrückung
«Sowohl die explizite als auch die beiläufige Geschlechterforschung basieren auf dem Alltagswissen, da alle Forschung über Geschlechtsunterschiede die alltägliche Unterscheidung von zwei Geschlechtern schon voraussetzt. Um festzustellen, daß Männer diesen Testosteron-Wert und jene Chromosomenstruktur haben, und Frauen jene Werte und diese Chromosomen, müssen Männer und Frauen erst einmal unterschieden werden.» (Hirschauer, 1994)
Überall in unserer Gesellschaft sind Normen vorhanden. Wie von Hirschauer in dem vorangestellten Zitat zutreffend beschrieben, werden Menschen in Gruppen eingeteilt und werden diesen Menschen kollektive Merkmale zugewiesen. Mag es an einigen Stellen sinnvoll erscheinen, für sich selbst Einteilungen von Menschen an Hand bestimmter charakterlicher (vielleicht auch körperlicher) Merkmale vorzunehmen, so führt dies in der gesellschaftlichen Praxis zu Ausschlüssen und Vorurteilen. An dem Beispiel der Geschlechter wird dies vielleicht deutlicher: Menschen werden von Geburt an in «Jungen» und «Mädchen» unterschieden. Dies geschieht an Hand äußerlicher körperlicher Merkmale und führt zu bestimmten Anforderungen, die an das jeweilige «Geschlecht» gebunden werden. Jungen spielen mit Autos und tummeln sich auf dem Fußballplatz, Mädchen spielen mit Puppen und sind bei Handarbeiten besonders geschickt. Im Kindesalter beginnend, erstrecken sich diese Einteilungen in die Schule, wo Lehrpläne und Anforderungen «geschlechtsspezifisch» durch Ministerien und durch Lehrerinnen unterschiedlich gestaltet werden, und durchdringen alle gesellschaftlichen Bereiche. Berufe und Bezahlungen sind «geschlechtsspezifisch» noch immer höchst unterschiedlich, Kaufhäuser sind binär nach «Männern» und «Frauen» eingeteilt, Werbung zielt bewusst auf «Männer» und «Frauen» ab und spätestens vor der Toilette angekommen, muss mensch sich einem Geschlecht zuordnen. Dabei findet keine Berücksichtigung, dass es Menschen gibt, die sich nicht in dieses Schema einpassen wollen oder können und das diese pauschale Einteilung von Menschen sich an vielen Stellen als unzureichend oder sogar als falsch erweist. Durch die ständige Wiederholung dieser Einteilung und Übertragung auf immer neue gesellschaftliche Bereiche, verfestigt sich diese Einteilung und pflanzt sich immer weiter als «die Wahrheit» fort, ohne je wieder hinterfragt zu werden. Das spricht das Zitat von Hirschauer an. Denken wir uns an dieser Stelle für einen Moment die Einteilung nach «dem Geschlecht» weg, so fallen uns an vielen Stellen die ganz individuellen Fähigkeiten und Merkmale von Menschen auf...
queer theory dekonstruiert offenbart, hinterfragt und zerstört zum Teil Einteilungen und damit verbundene Benachteiligungen von Menschen. Einerseits beim bereits aufgezeigten Beispiel der gesellschaftlich definierten Zweigeschlechtlichkeit, darüber hinaus aber überall dort, wo es zu Gruppeneinteilungen kommt. Also bei der Einteilung in Homo- und Heterosexualität, in Schwarze und Weiße, Behinderte und Nichtbehinderte... Bei allen hier aufgeführten binären Paaren, wird neben einer «Mehrheit» eine «Minderheit» erzeugt, die diskriminiert wird und staatlich verankert diskriminiert werden darf. Ausgeblendet wird die Verschiedenheit von Menschen innerhalb der Gruppen und das es auch Überschneidungen zwischen den einzelnen Gruppen gibt (bspw. eine schwarze, heterosexuelle, behinderte Frau). Merkmale und Zugehörigkeiten, die ein Mensch für sich beschreibt, sind vielfältig und individuell.
Queer fasziniert mit der Magie der Offenheit, Unbestimmtheit und raschen Veränderung. Mit der Ablehnung von Hierarchien, Abhängigkeitsverhältnissen, Bevorteiligungen und Benachteiligungen von Menschen stellt queer eine Theorie dar, die zu einer radikalen Gesellschaftskritik taugt. Gleichzeitig kritisiert queer theory kollektive Identitäten, wie sie sich aber auch in jeder linken Gruppe finden, in denen ich Menschen zusammenfinden, um für bestimmte Anliegen als Gruppe zu agieren.
queer politics individuell gemeinsam handeln?
Mit Politik assoziiert mensch in der Bundesrepublik Deutschland meist zuerst parlamentarische Arbeit. Könnte die Übertragung von Bürgerinnenrechten auf bisher Diskriminierte ein Ansatz von queer politics sein. In dem Buch «Queering Demokratie» wird für diese Übertragung von (Staats)bürgerinnenrechten (citizenship) ein Dreistufenmodell vorgeschlagen: 1. Entkriminalisierung (bspw. durch Abschaffung von Sodomiegesetzen; Abschaffung des §175 1969 in der DDR, 1994 in der BRD), 2. Antidiskriminierungsgesetze, um Benachteiligungen von Menschen abzubauen und 3. Gleichberechtigung aller Menschen ermöglichen. Mit der dritten Stufe soll eine Anerkennung von Menschen verschiedener Identitäten, Sexualitäten, Lebensweisen, Herkünfte, Hautfarben erreicht werden und vielleicht auch dazu beigetragen werden, diese Einteilungen abzuschaffen. Grundsätzlich können damit Rechte erstritten werden, die bei gut gemachten Gesetzen für von Diskriminierungen Betroffene auch einklagbar werden. Fraglich ist aber, ob damit der Vielfalt und Individualität von Menschen und Lebensweisen Rechnung getragen werden kann; Probleme:
Heteronormalisierung anderer Lebensweisen: Grundsätzliches Problem bei diesem dreistufigen Ansatz ist, dass ihm das derzeitige Gesetzessystem zu Grunde liegt. Die gleichen Gesetze haben bisher dazu beigetragen, Normierungen zu fördern und aufrechtzuerhalten. Auf dieser Basis führt die Forderung nach «gleichen Rechten» zur Übertragung dieser Rechte auf andere Lebensweisen. Der bisherigen Norm nicht entsprechende Lebensweisen werden damit an eine bisher existierende Normalität angepasst, anders gesagt «normalisiert». Dies wird an einem Beispiel vielleicht deutlicher: Nehmen wir ein Gesetz an, dass es allen Menschen unabhängig ihrer Herkunft, Sexualität und Lebensweise gestattet, eine Ehe einzugehen, so bedeutet dies eine Anerkennung, dass die Ehe als Instrument notwendig ist und das sie zudem gut ist. Das Grundanliegen der Ehe, Zweigeschlechtlichkeit und Monogamie zu befördern, wird nicht angegriffen. Ignoriert werden die historische Herkunft und die Anmaßung von christlich-kirchlichen oder staatlichen Institutionen, die Lebensweise von Menschen festhalten und kartieren zu wollen.
Festschreiben von Differenzen: Die Eingetragene Lebenspartnerschaft will auf dem Weg der Gleichstellung einen Schritt gehen. Lesben und Schwulen werden darin aber nicht die vollen Rechte wie heterosexuellen ehelichen Paargemeinschaften zugestanden. Gesetzlich festgeschrieben wird, dass Lesben und Schwule Menschen zweiter Klasse sind. Letztlich wird damit, erstmals seit der Abschaffung des §175, wieder «Gleichgeschlechtlichkeit» gesetzlich verankert. Aus der Erfahrung der Schwerfälligkeit von Gesetzen werden «Zweigeschlechtlichkeit», «Hetero- und Homosexualität» für lange Zeit als notwendige Unterscheidungskriterien geschaffen und festgehalten (siehe auch den Abschnitt: Definition und Zuweisung als Mittel der Ausgrenzung und Unterdrückung). Gleiches gilt für das Transsexuellengesetz, dass einerseits derzeit notwendig ist, um eine Geschlechtsangleichung gesetzlich abzusichern (ggf. Finanzierung, Personenstandsänderung...), andererseits aber auch «Transsexuelle» in einer Zweigeschlechtlichkeit als Kategorie festschreibt, «Transsexuelle» damit stigmatisiert und Zweigeschlechtlichkeit festigt.
Gesetze sind in ihrer Leistungsfähigkeit beschränkt: Rechte für Minderheiten nach heutigem Verständnis basieren überwiegend auf gesetzlichen Regelungen. Gesetze können einen Rahmen schaffen, der elementare Rechte von Menschen sichert und ein gesellschaftliches Zusammenleben ermöglicht. Wichtig ist bei gesetzlichen Rahmenbedingungen, dass auch eine gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber diesen Regelungen besteht. Ohne breite Diskussion und ohne konkrete Aufklärungsprogramme und regionale Maßnahmen bleibt die Wirkung von Gesetzen beschränkt. Wie oben bereits ausgeführt, schaffen Gesetze auch neue Ausschlüsse, da sie «Minderheiten» definieren und für lange Zeit festschreiben. Vermeidet mensch eine solche positive oder negative Festschreibung von Subjekten können Gesetze, verbunden mit einer intensiven gesellschaftlichen Aktivität, auch Intoleranz und gesellschaftliche Normierungen aufbrechen helfen.
Migrantinnen werden ausgeschlossen: Die derzeitige EU-europäische Politik zeigt einen massiven Ausschluss von Einwanderungen von Menschen aus nicht EU-europäischen Ländern. Migrantinnen sollen bereits vor den Grenzen der Europäischen Union abgefangen und in die Herkunftsländer zurückgeschickt werden. Unabhängig der Bedrohung von Leib und Leben werden bereits in die EU eingewanderte Menschen abgeschoben. Die Zuweisung von Bürgerinnenrechten ignoriert diese Problematik, da Bürgerinnenrechte nur Staatsbürgerinnen betreffen und bspw. Migrantinnen ausgeschlossen bleiben. Normierungen, diesmal vielleicht hin zu einer weißen «pluralistischen» Gesellschaft, werden geduldet und verfestigt. In den «Auffanglagern» vor der EU-Europäischen «Insel der Glücksseligen» (bspw. in Nordafrika) gelten nicht einmal die bereits sehr mäßigen Rechte, die Asylbewerberinnen und Flüchtlinge derzeit in Ländern der Europäischen Union besitzen, Restriktionen und Übergriffe werden weiter verstärkt.
Kein Platz für «Unschönheit»: Doch auch auf dieser gedachten «Insel der Glücksseligen» werden neue Ausschlüsse produziert. Abgesehen von Restriktionen, die gegenüber Menschen nicht-weißer Hautfarbe oder sichtbar nicht-christlicher kultureller Herkunft zur Umsetzung restriktiver Abschiebepolitik geübt werden, zielt derzeitige Bürgerinnenrechtspolitik auf die Installation einer «schönen», «sauberen» Umgebung und Gesellschaft. Die Auswirkungen lassen sich bereits jetzt in ehemals grünen Vorzeigestädten, wie Göttingen, Freiburg oder Oldenburg erkennen. Obdachlose, Prostituierte, Stricherinnen, Fixerinnen und Freierinnen stören das Image einer neuen, toleranten Gesellschaft und werden an nicht-öffentliche Orte verbannt.
Gesamtgesellschaftlicher Abbau von Bürgerinnenrechten: Nicht zuletzt muss bei der Übertragung von Bürgerinnenrechten berücksichtigt werden, dass derzeit ein massiver Rückbau von Bürgerinnenrechten in der Bundesrepublik Deutschland stattfindet. Agenda 2010 und Hartz-Gesetze führen zum gesellschaftlichen Ausschluss finanziell Benachteiligter. Mit diesen «Reformen» geht eine Einschränkung der Berufsfreiheit, Chancengleichheit und der Möglichkeiten auf gesellschaftliche Teilhabe einher. Abhängigkeiten in «Bedarfsgemeinschaften» werden neu geschaffen und verstärkt. An anderer Stelle, und diesmal alle betreffend, werden im Namen der Terrorismusbekämpfung und der Bekämpfung des Rechtsextremismus Privatsphäre und elementare demokratische Rechte eingeschränkt. Videoüberwachung wird eingeführt, die nach dem Zweiten Weltkrieg installierte Trennung von Polizei und Bundesgrenzschutz wird aufgehoben, Rasterfahndung und das Abhören von Telefonaten (auch ohne richterliche Anordnung) werden ermöglicht... Letztlich werden insbesondere Menschen, die sich in irgendwelchen Merkmalen von der gesellschaftlichen Masse abheben, zuerst von Überwachungen und Verfolgungen betroffen.
Ein auf Bürgerinnenrechte ausgelegter Ansatz für queer politics muss all diese Punkte (und sicherlich einige mehr) berücksichtigen, um nicht eine entgegengesetzte Entwicklung zu erreichen. Letztlich muss ein so gesellschaftlich geschaffener Konsens immer wieder aufgelöst und neu gebildet werden, um Verfestigungen und neue Ausschlüsse von Menschen zu verhindern. Ob dies mit Gesetzen möglich ist und ob dies in Mehrheits-Minderheits-Systemen möglich ist, ist eine weitere Frage, deren abschließende Beurteilung mir nicht möglich ist.
Viva la alternativa
Alternativ zu diesem Ansatz der Übertragung von etablierten Rechten auf bisher diskriminierte Menschen, stehen Konzepte, die zunächst derzeitige Regelungen, Gesetze und Normierungen hinterfragen und ggf. auflösen wollen. Ein alternatives Gesellschaftsmodell muss die Abwägung zwischen Individualität und der Selbstdefinition jeder Einzelnen gewährleisten und gleichzeitig das Zusammenleben von vielen Menschen in begrenzten Räumen ermöglichen. Bisher greift eine gesellschaftliche Definitionsmacht sehr weit in individuelle Selbstbestimmungen ein. Ein Beispiel ist die Zuweisung von Geschlecht. Sobald ein Mensch auf die Straße tritt, wird er als «Mann» oder «Frau» wahrgenommen. Das tragen «gegengeschlechtlicher» Kleidung oder die Unmöglichkeit, sich einem der beiden Geschlechter deutlich zuordnen zu können, führt zu besonderer Aufmerksamkeit und ggf. Diskriminierung des betroffenen Menschen durch die umgebenden Menschen. Aber «betroffen» ist eigentlich der falsche Ausdruck. Der Mensch wird betroffen gemacht. Wozu ist es denn überhaupt dienlich, dass einem Menschen direkt vor der Tür ein Geschlecht zugewiesen wird? Im Umgang mit den meisten Menschen spielt das Geschlecht keine Rolle. Höchstens bei Liebe und Sexualität wird gemeinhin eine wichtige Bedeutung von Geschlecht festgemacht. Aber auch da haben uns feministische und queere Wissenschaften besseres gelehrt. Sie haben die Kopplung von Geschlecht, Sexualität und Fortpflanzung als heteronormative Machtmechanismen demaskiert, mit denen Sexualität auf Reproduktion eingeschränkt wird.
Über die Diskreditierung des Geschlechts als Kategorie hinausgehend, lassen sich weitere derzeit als notwendig betrachtete Institutionen und Unterscheidungen in Frage stellen. Wozu ist es dienlich Ehen durchzuführen (und vor allem zu fördern)? Warum wird zwischen homo- und heterosexuell unterschieden? (...oder wie Moby es ausdrückt: «Ich verliebe mich in einen Menschen, nicht in dessen Geschlecht.») Warum wird in Arbeit und Freizeit unterschieden? Warum haben Menschen auf Grund ihrer Herkunft unterschiedliche Rechte? Diese Aufzählung lässt sich unendlich fortsetzen und verdeutlicht Kategorisierungen und Benachteiligungen, die abgeschafft gehören.
Geht das Abschaffen dieser Kategorien in der derzeitigen Gesellschaft? Aus meiner Sicht nicht. Möglichkeiten radikaler Demokratie und der Dezentralisierung von Entscheidungen können auf dieses Ziel zuführen, letztlich bestehen aber Interessen von Menschen, die Privilegien genießen und diese für sich erhalten wollen. Gemeint sind hier jetzt nicht die «bösen Reichen», sondern auch Männer, Frauen, Heterosexuelle, Homosexuelle, Weiße, Noch-Erwerbsarbeitende, Fernseherbesitzerinnen... Ein kleiner Vorteil gegenüber Anderen wird zur Steigerung des eigenen Selbstwertes und zur Abwertung anderer Menschen genutzt. Bezeichnend und hinlänglich bekannt sind die patriarchale Selbstüberhöhung des Mannes, die Abwertung Nicht-Erwerbsarbeitender als «Sozialschmarotzer» und die Diskriminierung von Dicken, Tunten, HIV-Infizierten und Migrantinnen in lesbischen und schwulen Zusammenhängen.
In einem langen Prozess muss die Notwendigkeit der Selbstidentifikation in Abgrenzung zu Anderen, einer Selbstbestimmung und Selbstbestimmungshoheit weichen, die jeder Mensch für sich selbst hat. Ein Anfang ist die Abschaffung von Kategorien und Normen, die Andere über Dich oder mich treffen dürfen. Ein weiterer Anfang besteht in der Entscheidungsfindung auf lokalen Ebenen, so dass alle sich an Entscheidungsfindungen beteiligen können. Durch Konsensentscheidungen, bzw. das Aufteilen von Entscheidungen in kleine Einzelfragen, bei denen es für den einzelnen Menschen nicht sonderlich störend ist, wenn er auch mal zur «unterlegenen Minderheit» gehört, kann ein starres Mehrheits-Minderheits-Modell aufgebrochen werden. Einmal getroffene Entscheidungen dürfen nicht für ewig ausgelegt sein, sondern müssen immer wieder aufgelöst und neudiskutiert werden. Damit kann ein gesellschaftlicher Minimalkonsens, der für ein Zusammenleben von Menschen notwendig ist, mit breiter Beteiligung geschaffen und immer wieder aufgelöst werden, so dass keine Verhärtungen und neuen Ausschlüsse entstehen.
Dieser Text soll keine Antworten geben, sondern Fragen aufwerfen, Alternativlosigkeiten in Frage stellen und Diskussionen befördern. Eröffnend möchte ich dazu nicht wie sonst üblich auf ein Sachbuch, sondern auf den Social-fiction-Roman «Planet der Habenichtse» (U.K. Le Guin, München, 1976) verweisen, ein Buch, in dem eine Möglichkeit und viele kritische Punkte einer alternativen Gesellschaft unterhaltsam und gut lesbar beschrieben werden. Und: vielleicht hat ja nun auch die Eine oder Andere ebenfalls Lust bekommen, hier eigene Gedanken zu queer, queer theory, queer politics und alternativen Gesellschaftsmodellen vorzustellen und eine spannende Diskussion zu beginnen...
von Heinz-Jürgen Voß loxel[at]web.de
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