Integration fordern - Ausschluss fördern
von Horst Schmidt


Vorbemerkung der Redaktion
Die "Junge Welt" vom 28.03.06 linksymbolberichtete über ein "Migrationspolitisches Papier" des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland e. V. (LSVD), was eine Forumsdebatte auf etuxx auslöste.

Die hier redaktionell deutlich gekürzte Kritik unseres Autors ist auch in der linksymbolOriginalfassung verfügbar.















































































«Unsere» Leitkultur?


In aller Munde, vollkommen geschmacksneutral
Als am 1.1.2005 das Zuwanderungsgesetz für die BRD in Kraft trat, brachte es v. a. Konsequenzen aus dem Eingeständnis, eine Einwanderungsgesellschaft zu sein: Schon immer gibt es Menschen in Deutschland, die eingewandert oder Nachkommen von Eingewanderten sind bzw. im Rahmen des Familiennachzugs herziehen. Sie sind nicht «Gäste», ggf. aber «Deutsche» durch Einbürgerung oder Geburt. Eltern können sich nun nicht mehr aussuchen, ob ihr Neugeborenes die deutsche Staatsbürgerschaft haben soll - sie kommt von Amts wegen zum Kinde.

Eine Konsequenz in der Praxis sind «Integrationskurse», a) als staatliche Aufgabe und b) verpflichtend für alle Einwandernden. Dies gesetzliche «Grundangebot zur Integration» soll «Ausländer an die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutschland heranführen. Ausländer sollen dadurch mit den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet so weit vertraut werden, dass sie ohne die Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selbständig handeln können» linksymbol(§ 43, Abs. 2). «Der Integrationskurs umfasst einen Basis- und einen Aufbausprachkurs von jeweils gleicher Dauer zur Erlangung ausreichender Sprachkenntnisse sowie einen Orientierungskurs zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland.» (Abs. 3). Während «Integration» in aller Munde ist, gibt es in der BRD keine andere - gar verbindliche - Definition von «Integration».

Entscheidend ist, was hinten rauskommt
Dennoch verwendet das linksymbol«migrationspolitische Papier des LSVD» diese Worthülse laufend: «Integrationspolitik», «Integrationsprobleme», Kompositionen wie «Integrationsoffensive» und «Verweigerung von Integrationsbemühungen»; eine Arbeitsdefinition wird nicht geliefert.

Theorie …
Wie alles wurde, wie es ist, sollen wir im ersten Teil «Homosexualität und Migration» erfahren. Doch nicht um Lesben und Schwule und deren «Reiseimpressionen» geht es da, sondern um Einstellungen von (heterosexuellen) Migrant/innen in Deutschland gegenüber Homosexuellen. Die Analyse bietet uns zwei «Kulturkreise»: «Wir» und «Die».

Bei «uns» gab es den Nationalsozialismus und die Adenauer-Jahre, wo Homosexualität verfolgt bzw. kriminalisiert wurde. Dann aber gelang «ein großer gesellschaftlicher Wertewandel» und nun ist demokratischer Konsens, «dass (...) Art. 2 des Grundgesetzes (...) zu Respekt gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensweisen verpflichtet» und «wir» «heute so frei leben wie nie zuvor in unserem Land.»

Die Bilanz bei «denen» ist ungünstiger: Die Einwanderung hat zu einer Kultur der Vielfalt beigetragen, aber auch zu «Problemen» und «Konflikten». Diese seien teils staatlicher Förderung der Segregation geschuldet, teils einer «bewusste[n] Abschottung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft». Während «unsere» Verfassung in einem ihrer «Sitten»-Artikel die Rechte von Homosexuellen schütze, würden sie von «denen» massiv bedroht.

… und Praxis
Da Lesben- und Schwulenorganisationen nicht allein gegen all das angehen können, müssen gesamtgesellschaftliche Lösungen her - staatspolitisch heißt Abschnitt II «Respekt fördern und fordern».

Losungen und Lösungen
Politik und Verwaltung sollen «Respekt gegenüber Lesben und Schwulen einfordern» und dazu Lesben- und Schwulenorganisationen in die Migrationspolitik einbinden. Communities sollen die «Debatte über die Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen hineingetragen» bekommen. Religiösem Fundamentalismus soll entgegengewirkt werden, denn der ist, neben dem katholischen in Polen und dem protestantischen in den USA das Übel in Deutschland. Zielgruppenspezifische Aufklärungskampagnen und Aufklärungsveranstaltungen an Schulen und in Jugendzentren, Elternarbeit, Hilfe und Beratung für sowie die Selbstorganisation von homosexuellen Migrant/innen sollen intensiviert werden. Wer wegen Homosexualität verfolgt wird (auch wenn das nicht staatliche Politik ist), soll in der BRD ein Asyl- bzw. Schutzrecht genießen.

Und was soll daran nun falsch sein?
Während der Text nahelegt, dass die apostrophierten «Migranten» oder «Einwanderer/innen» Menschen aus mehrheitlich muslimischen Ländern oder deren Nachkommen seien, nennt das Papier stets eine andere, abstrakte Größe. So hohl die Rede von der «Integration» ist, so aufgebläht die benannte Gruppe. Denn es gibt nicht nur Türk/innen und Araber/innen in Deutschland - und auch sie sind nicht homogene, sondern vielschichtige Gruppen. Aber diese Details würden die Konzeption ethnisch-religiöser Parallelstrukturen stören. Die interne Diversität «der» Migrant/innen sichtbar zu machen, wäre der Argumentation des LSVD hinderlich, denn das als umfassende Bedrohung gezeichnete Feindbild würde relativiert: Gibt es nicht «die» Gruppe der Zuwandernden, verwischt auch das Ziel. Katholische, Jüdische, Orthodox-Christliche, Protestantische, Muslimische, Jezidische, Buddhistische und Nicht-Religiöse unter ihnen würden Analyse, Prävention und Intervention stärker herausfordern. Der LSVD bevorzugt trotzig den einfachen Weg: Die müssen sich uns stellen - tun sie es nicht, sind sie böse.

Interne Diversität ist aus zwei weiteren Gründen wichtig zu verschweigen. Zur schlüssigen Argumentation braucht das Papier «die» Deutschen, das «Wir» und «unser Land»: Der zentrale Kulturkreise-Diskurs zerbräche, würden «die Deutschen» nach ihren Einstellungen klassifiziert, z. B. zur Homosexualität.
(Mehr dazu in linksymbol"Das Parlament" oder bei linksymbol Wilhelm Heitmeyer u.a.)

Als single issue Organisation ist der LSVD ferner interessiert, von homogenen Bevölkerungsgruppen auszugehen. Sonst müsste er ja erwägen, dass schon der Koexistenz von Lesben und Schwulen immer ein erhebliches Asymmetrie-Potential innewohnt - und hier sind noch keine Transidenten, HIV-Positiven, Alten, Menschen mit Behinderung etc. mitgedacht. Ohne «die» Homosexuellen hätte eine solche Organisation keine Existenzberechtigung. Was liegt also näher, als homogene «andere» Communities zu identifizieren, gegen die man um staatliche Fördergelder spielen kann?

Die Vorstellung, der LSVD könne im Gespräch mit Migrant/innen- Organisationen die Agenda diktieren, zeugt von einem grundlegenden Missverständnis: Die haben nämlich gar keine Lust mehr auf «Dialoge», die nicht auf Augenhöhe geführt werden. Selbstkritisch sollte der LSVD angeben, welche Vereine und Verbände sich schon wieder von ihm abgewandt haben - und worauf er es zurückführt.

Dem Verständnis statischer und homogener «Blöcke» entsprechend erscheinen nur selten im Text Menschen, die sowohl homosexuell sind als auch Migrationshintergrund haben. Spricht der LSVD von «Homosexuellen», meint er v. a. weiße, deutsche, christliche bzw. post-christliche, spricht er von «Eingewanderten», handelt es sich (fast) ausschließlich um heterosexuelle, muslimische. Dass diese Zuschreibungen eine Lösung der zu Recht kritisierten Probleme behindern, ist dem LSVD offenbar auch nach Jahren des Betriebs seines Zentrums MILES nicht klar. MILES steht für «MIgranten, LEsben und Schwule». Dass «Migranten» und «Lesben und Schwule» hier Aufzählung bzw. Gegensatzpaar sind, gibt dem Projekt erst seinen Sinn… Interessanter Weise erscheinen Lesben und Schwulen mit Migratonshintergrund im Text allenfalls als Opfer ihrer Herkunftscommunities, wo sie noch schlechter behandelt werden als deutsche Homosexuelle. Wie sich lesbische und schwule Migrant/innen unter homosexuellen Deutschen fühlen, interessiert die Autor/innen nicht: «Wir sind die Guten!» Dass aber Menschen mit Mehrfachzugehörigkeit in allen involvierten Communities Probleme erfahren und dennoch bereichernd wirken, auch im Sinne einer Aufklärung über Borniertheiten, «entgeht» hier dem Blick.

Dass ein Papier zu Migration den Begriff Rassismus nicht kennt, ist verwunderlich. Stattdessen wird «Fremdenfeindlichkeit» bemüht, um zu verdeutlichen, dass es um «Andere» geht und wie wichtig die statische Konstruktion von «Eigenem» und «Fremdem» ist.

Dass der Begriff Gender nur ein einziges Mal vorkommt, erstaunt umso mehr, als es sich beim LSVD nominell um eine Lesben- und Schwulenorganisation handelt. So wenig Mainstreaming war nie…

Und das Hantieren mit dem kryptischen Wort «Integration» ist bezeichnend für den Diskurs über das, was «Homosexualität und Migration» genannt wird: «Die sind Migrant/innen, wir sind lesbisch/schwul.» Es fehlt die Debatte, was Rassismus sei, was Gender-Apekte wären oder wer welche Zugangschancen in die Kernbereiche der Gesellschaft hat. Wieder sollen die Kinder von Eingewanderten nur die deutsche Sprache lernen, um Überfremdungsängsten der Mehrheitsbevölkerung zu begegnen. Ein Blick nach Frankreich, wo die meisten maghrebinischen Kinder die französische Staatsbürgerschaft haben und nur Französisch sprechen, brächte erhellende Impulse für «Integrationsfetischisten» jeder Couleur.

Stattdessen starrt der LSVD ohne produktive Lösungsvorschläge auf eine verstrickte Ausgangslage, als müsse allein er Themen auf die Agenda setzen, die niemand interessieren, und suggeriert wie gewohnt, dass Probleme grundsätzlich die der anderen seien. Statt einer gesamtgesellschaftlichen Debatte zu veränderten Rahmenbedingungen der Einwanderungsgesellschaft will der LSVD, dass nur dazugehören darf, wer seinem als liberal und aufgeklärt halluzinierten «Wir» (weiß, deutsch) entspricht. Und dieses Wir, die Gesamtgesellschaft minus Eingewanderte, soll mobilisiert werden, um bitte, bitte die alten Identitäten zu retten.

Etwas mehr (Selbst-)Beschäftigung mit alltäglichem Rassismus, prekären Aufenthaltstiteln, ungleichem Zugang zu gesellschaftlichen Gütern und dem Arbeitsmarkt, etwas mehr Sensibilität für die Gewalt, der Nicht-Deutsche täglich ausgesetzt sind, und die täglich neu praktizierten und zementierten Ausschlüsse, wäre ein Moment näher an dem, was ein Verband beschließen sollte, der alle Homosexuellen vertreten möchte. Dann könnten auch Nicht-Homosexuelle mit der Forderung «Für Respekt und Selbstbestimmung» mehr anfangen, denn es klänge nicht so, als wolle ein «Wir» sich zu Lasten anderer eine Eintrittskarte zur Mitte der Gesellschaft erschleichen.

Weniger bombastisch aufgezogen, mit inhaltsrelevanterer Überschrift und analytischerem Weltaufschluss wäre aus «Homophobie unter Migrant/innen aus mehrheitlich muslimischen Ländern» noch ein guter Antrag zum LSVD-Verbandstag geworden - Gelegenheit verpasst!

Doch vielleicht wird der nächste LSVD-Verbandstag uns erklären, dass Unterschiede zwischen Menschen nicht existieren, sondern gemacht werden, dass es also nicht um Unterschiede, sondern um Unterscheidungen geht - und dann auch nicht mehr an solchen Prozessen mitwirken wollen… Die Hoffung stirbt zuletzt. ;-)


Björn: Die sind die Nazis - wir nicht. Dort sind "die" Arbeitgeber, wir nicht. "Die" Bullen und "die" Demonstranten. Dieses "Die" und "Wir" kommt doch automatisch, wenn man Unterschiede benennen will. Ein gemeinsames Merkmal birgt noch nicht DAS Homogene einer Gruppe, um nicht zu sagen, es ist vom Herrn Schmidt hier herbeihalluziniert und dem LSVD angedichtet.  
Björn: uuhhpps, das ist jetzt doppelt, bitte die ersten 2,5 Zeilen löschen (bis "...hallunzieniert."). Danke.  
edith: doppelung schon gelöscht und nix zu danken, lieber björn. - aber widerspruch: der von dir beschriebene "automatismus" der verallgemeinerung ist gerade das problem, das der horst am beispiel des lsvd benennt. sprache als ausdruck von gedanken ist aber kein zwangsläufiger mechanismus. sie ist erlerntes, antrainiertes sozialisationsprodukt. also kann sie verändert werden - sofern die gedanken dies denn wollen. -  
edith: ich bin aber gar nicht sicher, ob die ursache sprachlicher art ist: ich fürchte, der horst hat recht, dass im lsvd tatsächlich in dieser polarität gedacht - und sie deshalb auch so benannt wird. warum würde der lsvd sonst seit jahren gebetsmühlenartig fordern, DIE migranten und ihre communities müßten IHR verhältnis zur homosexualität klären? diese behauptete homogenität ist doch vom lsvd konstruiert...  
Questioning: Was soll dieser Femeartikel? Das ist doch echt nicht seriös... ???  
edith: was, bitteschön, ist denn daran nicht serös? und warum belegst du diesen text mit dem  begriff der feme?