Von der «Auschwitz-» zur «AIDS-Lüge»

von Jörg Fischer


Die «neuen Kleider» der braunen Esoteriker

Es gibt kaum eine Verschwörungstheorie, die nicht zu abstrus wäre, als dass sie von neonazistischen Esoterikern nicht verbreitet werden würde. Nicht nur, aber auch beim Stichwort «AIDS-Lüge» treffen sie sich dann mit anderen antiwissenschaftlichen Esoterikern - «Präastronautik», «Lichtwesen», «Zeitreisen», «BSE-Lüge», «AIDS-Lüge» - alles, was das mythengläubige Herz höher schlagen und die Kassen diverser Scharlatane klingeln lässt, ist auf dem Markt zu finden. Eigentlich könnte man dieses Phänomen mitleidig oder herablassend belächeln. Wenn hier nicht ein bestimmtes Menschenbild propagiert würde und skrupellos mit den Ängsten von Menschen die eigene Geld- und Profilierungssucht von Falschspielern, Hochstaplern und handfesten Betrügern befriedigt würde.

Vorab: Die «AIDS-Lüge» der braunen Esoteriker hat nichts gemein mit der AIDS-Kritik, die etwa die Geschäftsgebaren der Pharmaindustrie auf Kosten der Betroffenen oder kritische Ansätze in der Thematik HIV/AIDS zum Gegenstand hat. Unter der «AIDS-Lüge» wird jenes krude Propagandagebilde verstanden, welches die Existenz der Krankheit AIDS leugnet.

Das Credo wird pseudowissenschaftlich verkleidet und in gesitteten Worten verkündet: «Trotz nicht nachgewiesenem 'HIV-Virus' muss festgestellt werden, dass Mikroorganismen nicht unsere Feinde sind, sondern sinnvoll da arbeiten, wo sie notwendig sind, weshalb auch Impfungen sinnlos und schädlich sind. Insofern gibt es auch kein 'Immunsystem', welches uns vor bösen Mikroben schützen muss.» Hier geht es nicht um wissenschaftlich begründete Kritik etwa an der gängigen Impfpraxis oder Therapierung von HIV/AIDS - Nein, die Existenz wird geleugnet und dieses Leugnen wird eingebettet in eine sattsam bekannte Verschwörungstheorie, der zufolge «geheimnisvolle Kreise» sich «verschworen» hätten. Und wie das bei Sekten üblich ist, haben sich die Esoteriker um Hamer auch einen eigenen Namen gegeben, um sich von der «verführten», der «Verschwörung» zum «Opfer» gefallenen Mehrheit der Bevölkerung abzuheben, sich von ihr im elitären Wahn abzusondern: «Neue Medizin» oder «Germanische neue Medizin» ist eine ihrer seriös klingen sollenden Selbstbezeichnungen.

Der deutsche Papst

Ikone und großer Guru dieser Sektierer ist ein gewisser Ryke Geerd Hamer (im Bild allerdings Benedikt XVI, der mit Hamer aber gemeinsam hat, dass beide Prävention für unnötig halten - die Lektorin), der schon 1987 meinte, AIDS als den «größten Schwindel unseres Jahrhunderts» bezeichnen zu müssen Selbstverständlich hat Herr Hamer seine «Erkenntnisse» umsatzträchtig auch schon lange in Buchform publiziert. Von seinen Jüngern wird dieses Buch wie eine Art «Heilige Schrift» verehrt und jedem als «unverzichtbares Standartwerk», zum stattlichen Preis von 90 Euro verhökert. Eine «Kurzfassung der neuen Medizin» - mit «vielen bunten Bildern» - ist immerhin schon für 36 Euro käuflich zu erwerben, die «Wissenschaftliche Tabelle der Germanischen Neuen Medizin» kostet dann schon wieder 50 Euro - dafür ist sie aber zum Aufhängen geeignet. Und damit das Geschäft weiter blüht, gibt es auch bald eine Neuerscheinung: «Die Germanische NEUE MEDIZIN - mit ihren Sinnvollen Biologischen Sonderprogrammen (SBS) der Natur - von A - Z im Überblick. A 4 / 425 Seiten, mit über 70 Farbbildern und Grafiken». Natürlich stutzt man nicht nur über die hohen Preise für den zu Papier gewordenen Schwachsinn, sondern auch über die Betonung des «Germanischen». Allerdings hindert das die Macher nicht, ihren Schund auch in die polnische Sprache zu übersetzen - Geld stinkt bekanntlich nicht.

Hamer selber ist ehemaliger Medizin- und Theologiestudent, 1935 geboren und in Friesland aufgewachsen. Zu den Hobbys des Gurus gehört, laut der von seinen Jüngern verbreiteten Biographie, das «Patente-Erfinden», so soll er u.a. das «atraumatisch schneidende Hamer-Skalpell» erfunden haben. Und natürlich gibt es im Leben der hehren Lichtgestalt Hamer auch ein traumatisches Ereignis, von dem ebenfalls in der Biographie berichtet wird: «Am 18. August 1978, morgens um 3.00 Uhr in der Dämmerung, passierte etwas Furchtbares: Ein wildgewordener italienischer Prinz V.E. v. Savoyen, erschoß vor der Insel Cavallo Dr. Hamers Sohn Dirk, der nichtsahnend in einem Boot schlief. Fast 4 Monate lang dauerte der Todeskampf des Sohnes. Tag und Nacht wachte der Vater an seinem Bett. Am 7. Dezember 1978 starb Dirk in seinen Armen. Dadurch hatte er, wie er 3 Jahre später wußte, einen Verlustkonflikt mit einem davon ausgelösten Hodenkrebs erlitten. Später benannte Dr. Hamer diese Art von Schock das «Dirk-Hamer-Syndrom» (DHS), einen Biologischen Konfliktschock, der uns gänzlich unvermutet 'auf dem falschen Fuß' trifft.» Zu den Höhepunkten des Personenkultes um Hamer gehört dann wohl folgende Auslassung seiner Jünger auf der Website der Medizin-Germanen: «Er ist viel eher ein Kandidat für den Nobelpreis, da die Germanische NEUE MEDIZIN eine absolute Wissenschaft ist, die das Leben von Millionen Menschen retten kann.»

Die Medizingermanen und die «Naturgesetze»

Ganz nach historischer Manier berufen sich der Medizingermanen auf vermeintliche «Naturgesetze», über deren «Entdeckung» Hamer selber schreibt: «Begonnen hat alles mit meiner eigenen Hodenkrebs-'Erkrankung' im Jahre 1979, nachdem mein Sohn DIRK vom italienischen Kronprinzen V. E. von Savoyen im Schlaf erschossen bzw. tödlich getroffen worden war. Er starb 4 Monate nach den tödlichen Schüssen am 7.12.1978. Wie ich heute weiß, erlitt ich damals einen Verlustkonflikt mit Hodenkrebs. Damals kannte ich jedoch diese Zusammenhänge noch nicht, sondern vermutete nur, dass meine Hodenschwellung, die ich 2 Monate nach dem Tode meines Sohnes Dirk spürte, irgend etwas mit seinem Tod zu tun haben müsste. Ich war vorher und nachher nie ernstlich krank gewesen, und nahm mir vor, sobald ich die Gelegenheit hätte, nachzuforschen, ob nicht alle Patienten die an Krebs erkrankt waren, vorher einen ähnlichen furchtbaren Schock erlitten hatten wie ich. Am 7.12.1978 abends starb mein Sohn in meinen Armen in der Heidelberger Chirurgischen Universitätsklinik. Der schwärzeste Tag in meinem Leben. Die schlimmste Verzweiflung, die ein Mensch erfahren kann, wenn ihm sein Kind stirbt. Und das inmitten eines feindlichen Spaliers von Ärzten und Schwestern.» Da ist er wieder, der einsame «Held», der gegen eine übermächtige «Verschwörung» kämpfen muß.

Zu den grundlegenden «Erkenntnissen» der «5 Naturgesetze» des Medizingermanen gehört eine Aussage, die man auch von religiösen Sektenpredigern oder sozialdarwinistischen Biologisten hören könnte: «Als ich die Erkrankungen der einzelnen Keimblätter gesondert betrachtete, stellte ich fest, daß es offensichtlich einen Biologischen Sinn gibt. Ich merkte, daß die sog. Krankheiten keine sinnlosen Fehler der Natur darstellen, die es zu bekämpfen gilt, sondern daß jede Erkrankung ein sinnvolles Geschehen ist …» Kein Wunder das sich gerade auch esoterisch veranlagte Neonazis, die in der braunen Szene insbesondere an der Führungsspitze nicht selten sind, für solche Thesen begeistern, kann man damit doch auch gleich Klischees verbinden und Feindbilder pflegen. So schrieb ein ehemaliger NS-Kameradschaftsführer in einer zwischenzeitlich eingestellten Querfront-Publikation einen PR-Artikel für die «Germanische Neue Medizin» und die sogenannte «AIDS-Lüge», in dem es hinsichtlich der ersten bekannt gewordenen Fällen von AIDS Anfang der 1980er Jahre in den USA tatsächlich heißt: «Es wurde einfach behauptet, dass eine Mikrobe die Ursache sein müsse, unser 'HIV-Virus'. Tatsächlich waren die Männer aber krank, weil sie jahrelang viele verschiedene Drogen in unglaublichen Mengen und Mischungen konsumiert hatten.» An anderer Stelle heißt es in dem Blättchen: «Es gibt keine 'HIV-infizierten', keine 'HIV-positiven' und keine 'an AIDS erkrankten' Menschen. Insofern ist 'Safer Sex' zumindest aus Angst vor HIV-Übertragung geradezu grotesk.»

Natürlich darf der bei Neonazis übliche Zynismus und entsprechende Verhöhnung nicht fehlen, besonders wenn es um eine ihrer Lieblingsfeindbilder geht: «Leider hat sich eine breite Opfermentalität speziell unter den sog. Risikogruppen - insbesondere den Homosexuellen - breit gemacht. Schwuler Mann hat sich häufig 'eingerichtet' und wehrt sich bisweilen dagegen, sich vom AIDS-Schwindel frei zu machen. Aus Steuermitteln finanzierter rotbeschleifter Mann sorgt sich um ihn und kümmert sich - bis zum Tod. Für manche offenbar ein wohliger Zustand.»

Bisher wurde in der Öffentlichkeit das Treiben der braunen Menschenfeinde gerade in dem Teilbereich Esoterik kaum beachtet. Am Beispiel der Propagierung der sogenannten «AIDS-Lüge» soll diese aber näher beleuchtet werden, zumal hier auch eine besonders gemeingefährliche Komponente steckt - sowohl für Menschen mit HIV (die sich der medizinisch notwendigen Beratung und Therapierung verweigern sollen), als auch für Nicht-Infizierte, denen die Notwendigkeit von Safer Sex als Schutz vor einer in seiner Existenz von den braunen Esoterikern geleugneten HI-Virus entziehen sollen. Daneben werden Opfer zu Tätern gemacht, denn nicht der Virus verursacht die Infektion, sondern das eigene Verhalten. Die gleiche Logik findet auch im Zusammenhang mit der «Auschwitz-Lüge» Anwendung: Die Shoa, so die Nazis, ist eine «Lüge» und die Juden sind selber am Antisemitismus schuld. Noch Fragen?

Sogenannte Germanische Neue Medizin
Janus XX.: Hm. Ich vermisse den üblichen Antisemitismus. Warum wird da nicht behauptet, dass die Juden Aids erfunden hätte, oder so? So halte ich - trotz Frakturschrift und "Germanisch" - das ganze eher für harmlose Mumpitz.  
aether: Wieder mal ein Beispiel für geistigen Dünnschiss...