Gil Courtemanche: Ein Sonntag am Pool in Kigali, Roman, aus dem Französischen von Riek Walther, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004, 320 S.
Linda Melvern: Ruanda - Der Völkermord und die Beteiligung der westlichen Welt, Diederichs bei Hugendubel Verlag, 2004, 384 S.
mehr zum Thema:
Spielfilm:
Hotel Ruanda. Canada/UK/I/Südafrika, 2004 von Terry George, mit Don Cheadle, Sophie Okonedo, Joaquin Phoenix, Nick Nolte, Desmond Dube, David O'Hara, Cara Seymor. 121 min
noch mehr Buch:
Philip Gourevitch: Wir möchten Ihnen mitteilen, dass wir morgen mit unseren Familien umgebracht werden, Berlin Verlag, Vertiefende Studie zu den Ursachen des Völkermordes in Ruanda
Gérard Prunier: The Rwanda Crisis. History of a Genocide, Hurst and Company Soll die beste Untersuchung und Dokumentation sein! Leider nur in Englisch.
Roméo Dallaire: Shake Hands With the Devils, Random House Bericht des einzigen in Ruanda während des Völkermordes verbliebenen Offiziers der UN-Schutztruppe, der mit Kamikaze-Aktionen und erfolglosen Petitionen bei der UN-Bürokratie versucht hatte, Menschenleben zu retten. Nach gescheiterten Selbstmorden versucht der Kanadier Dallaire mit diesem Buch seine Traumatisierung zu überwinden. Soll dieses Jahr noch auf deutsch erscheinen.
Web:
Hier hilft Googlen zu vielen, mehr oder weniger aufschlussreichen Seiten von NGO's und kirchlichen Gruppen. Unter www.sabenahotels.com kann man einen Blick auf das aus dem Film 'Hotel Ruanda' und Courtemanches Roman bekannte und wieder in Betrieb genommene Pool des zum belgischen Sabena-Konzerns gehörenden Vier-Sterne-Hotels Des Mille-Collins (franz.: Tausend Hügel) werfen. Ex-US-Präsident Bill Clinton, unter dessen Präsidentschaft die zynische Untätigkeit der USA fiel, finanziert heute mit Geldern großer Konzerne, Projekte zu HIV/AIDS und 'Racial, Ethnic and Religious Reconciliation' in Rwanda. www.clintonfoundation.org
Zu Darfur/Westsudan (Auswahl):
www.darfurgenocide.org
www.savedarfur.org
welthungerhilfe.de
www.darfur-hilfe.org
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Vor 11 Jahren, in den Monaten zwischen April und Juli 1994 wurden in der kleinen zentralafrikanischen Republik Ruanda (Rwanda) zwischen 800.000 und 1 Millionen Menschen ermordet. In kaum mehr als hundert Tagen wütete ein durch völkische Hassparolen aufgehetzter und oft bekiffter Mob unter Führung der sogenannten Hutu-Extremisten und deren Miliz, der Interahamwe, mit Macheten, Messern, Hämmern und Knüppeln gegen die 'Kakerlaken'. Damit gemeint waren die Minderheit der Tutsi, die ca. 15 % der Gesamtbevölkerung ausmachten, sowie alle anderen Hutu (Bevölkerungsmehrheit), die den rassistischen Wahn nicht mitmachen wollten. Beendet wurde das Morden durch die Eroberung der ruandischen Hauptstadt Kigali durch die Tutsi-Guerillaarmee RPF. Nach einem gescheiterten, von der UNO initiierten Friedensabkommen zwischen Hutu und Tutsi zogen sich mit dem Beginn des großen Mordens am 6. April 1994 die zivilen und militärischen UN-Kräfte aus dem Land zurück. Französische und belgische Fallschirmjägereinheiten evakuierten sämtliche Angehörige westlicher Botschaften, die im Lande verbliebenen Geschäftsleute und Touristen und Mitarbeiter der NGOs und überließen das 'Land der tausend Hügel' (so heißt Ruanda aufgrund seiner geografischen Besonderheit) dem mit Macheten 'Made in China' bewaffneten Hutu-Mob, der von Haus zu Haus und Hügel zu Hügel zog und alle - vom Säugling bis zum Greis - abschlachtete, den sie für Angehörige der Tutsi hielten. Überall im Lande errichteten die Interahamwe Straßensperren und kontrollierten die Pässe auf den eingestempelten Vermerk "Hutu" oder "Tutsi".
Es handelte sich also mitnichten um eine spontane Entladung von Hass der Bevölkerungsmehrheit auf die von der Kolonialmacht Belgien (die die ehemals deutsche Kolonie Ruanda-Urundi im Laufe des 1. Weltkriege eroberte) privilegierten Tutsi, sondern um eine ideologisch in der Kolonialgeschichte Ruandas verwurzelten und von der Hutu-Oligarchie bis in kleinste Detail geplante systematische Auslöschung der Tutsi. Linda Melvern hat in ihrem nach 10jähriger Recherche veröffentlichten Buch 'Ruanda - Der Völkermord und die Beteiligung der westlichen Welt' minutiös die Genese des Völkermordes seit Einführung der ethnischen Klassifizierung in den Ausweisen durch die belgische Kolonialverwaltung 1933 und der zahlreichen Bürgerkriege und Massaker an den Tutsi in den Jahrzehnten seit der Entkolonialisierung 1945 beschrieben. Ihr Hauptaugenmerk allerdings richtet die Prozessbeobachterin des UN-initiierten Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda (ICTR) auf die Rolle der UN und der beteiligten, ehemaligen Kolonialmächte: Frankreich, das mit dem schönfärberischen Begriff 'Francophonie' seine Hegemonialansprüche in Afrika hier als Parteigänger der Hutu-Oligarchie die Killer des ruandischen Armee ausbildete; der Weltsicherheitsrat unter Führung der USA, der mit Beginn des großen Mordens die UN-Institutionen zur Untätigkeit zwang, obwohl Beobachter vom Internationalen Roten Kreuz bis zur CIA lange zuvor vor einen Genozid warnten, die Massaker aufgrund der von den Hutu-Extremisten aufgestellten Todeslisten vor dem 6. April begannen und der Hutu-Radiosender 'Radio-Telévision des Mille Collins' mit ideologischen Versatzstücken des europäischen Antisemitismus zum Massenmord gegen "die den gesunden Volkskörper zersetzenden Tutsi-Kakerlaken" hetzte. Man kann heute noch in den gut dokumentierten, offiziellen UN-Verlautbarungen von 1994 die zynisch-makabere Vermeidung des Wortes "Genozid" nachlesen. Man sprach verdruckst von "Akten eines Genozids", denn hätte man "Genozid" gesagt, so wäre automatisch die 1948 von der UNO als Reaktion auf den Holocaust auferlegte Selbstverpflichtung zum Eingreifen in Kraft getreten.
So wichtig - weil detailreich und quellenkritisch belegt - Linda Melverns Buch auch ist, desto schwieriger macht sie es der/dem interessierten Leser/in, sich dem Thema zu nähern.
Meine Empfehlung geht deshalb dahin, mit dem Roman "Ein Sonntag am Pool in Kigali" von Gil Courtemanche anzufangen und Linda Melverns Buch als eine Art vertiefender Sekundärliteratur zu nutzen. Gil Courtemanches Roman erzählt die fiktive Liebesgeschichte eines zwischen Zynismus und Empathie schwankenden weißen, kanadischen Journalisten, der im Auftrag einer NGO einen Fernsehsender zur AIDS-Aufklärung beraten soll und einer ruandischen Hotelangestellten, die während des großen Mordens am Pool ebenjenes Hotels Mille-Collins (das auch die "Hauptrolle im zurzeit laufenden Kinofilm "Hotel Ruanda" spielt) heiraten. Allein die Beschreibung der Bedingungen für Menschen mit HIV und AIDS in den Krankenhäusern Kigalis sind so unvorstellbar grausam, dass man geneigt ist, das Buch wegzulegen. Was der Roman im Gegensatz zum investigativen Journalismus kann, ist Zusammenhänge nachvollziehbar werden zu lassen, indem man das Romanpersonal aus verschiedenen Perspektiven erzählen lässt. Gentille, so heißt die fiktive ruandische Hotelangestellte, ist ihrem Pass nach Hutu, sieht aber den rassistischen Schemata nach, wie eine Tutsi aus. In einem Kapitel beschreibt Courtemanche, wie Gentilles Urgroßvater, der, um seine Kinder auf eine katholische Missionsschule schicken zu können (Damals die einzige Möglichkeit im belgischen Kolonialregime Armut und Elend zu entkommen) durch das Buch eines belgischen Kolonialarztes angestachelt, zunächst seine Hutu-Identität 'erkennt' und dann alles dafür tut, um seine Nachfahren durch Clan- und Heiratspolitik ein Tutsi-Aussehen zu verpassen. Besagter belgischer Kolonialarzt war im ausgehenden 19. Jahrhundert führender Afrikanist und Spezialist für Eingeborenenkulturen. Den seinerzeit besonders im deutschen Reich grassierenden wissenschaftlichen Rassenlehren folgend, unterteilte Docteur Sasserath die Ruander in faule, negroide Hutu-Bauern und edle, von ihrer Herkunft her, nordische Tutsi-Viehzüchter. Eine folgenreiche Zuschreibung auf der nicht nur das koloniale Ausbeutungssystem beruhte, sondern die in einer perversen Umkehrlogik die Grundlage für den eliminatorischen Rassismus der Hutu legte.
Das Problem, das ich mit Courtemanches Roman habe, ist nicht seine Art, wie er Emotionen weckt - denn das tut er mitnichten in simplen schwarz/weiß Rastern -, sondern dass er sein Anliegen in eine Art Hetero-Polit-Porno, bei dem der alternder Entwicklungshelfer Valcourt mit der jungen, kaffeebraunen Gentille vögelt, verpackt hat. Zwar reflektiert Courtemanche dieses durchaus als sexistisch und postkolonial konotiert; die "sexuelle Dauererregung" (so Sonja Zekri in ihrer SZ-Rezension vom 26.August 2004) zieht sich allerdings wie ein roter Faden durch den ganzen Roman: Beim barbarischen Abschlachten genauso wie bei den ständigen Penetrationsszenen. Und das nervt. Nichtsdestotrotz halte ich Courtemanches Herangehensweise, die versuchte Ausrottung der Tutsi 1994 aus der Perspektive eines linken, desillusionierten, weißen Beobachters zu erzählen, für legitim, um die unvorstellbare Barbarei und die vorausgegangene kühl geplante propagandistische Entmenschlichung zu beschreiben. Denn Hand aufs Herz: Wir mögen zwar meinen einiges zu Lateinamerika, Israel und Palästina sowie den Balkankriegen verstanden zu haben; der Kontinent südlich der Sahara und nördlich Südafrikas bleibt ein weißer Fleck, bei der uns sämtliche Koordinaten zu Orientierung fehlen. Ich konnte jedenfalls Hutu und Tutsi, also Täter und Opfer in diesem Konflikt, vor der Lektüre noch nicht einmal ihren Namen nach auseinanderhalten.
Clinton und Albright (1994 US-Botschafterin beim Weltsicherheitsrat): "Genocide? There is no genocide in Rwanda. Only ongoing acts of genocide!" Bildquelle:communistsforkerry.com
Zum Schluss noch zwei notwendige Anmerkungen zu dieser für ein Online-Magazin sowieso schon zu lange geratenen Bücherbesprechung ...
1. Das große Kotzen stellt sich bei mir angesichts der aktuellen Inszenierung Johannes Paul II als großen Friedensmahner (Irakkrieg) vor dem Hintergrund der Haltung des der römischen Kurie direkt unterstellten ruandischen Klerus zur Zeit des Völkermords. Über die Hälfte der Ruander sind Katholiken, ihre Bischöfe legitimierten jahrzehntelang das korrupte und rassistische Regime Präsident Habyarimanas und der Erzbischof, seine Eminenz Vincent Nsengiumva, war selbstverständlich Mitglied des ZKs der herrschenden Präsidentenpartei MRND. Viele katholischen Priester lieferten die verzweifelten Tutsi ihren Mördern aus, als diese versuchten in den katholischen Kirchen des Landes Schutz zu finden.
2. In den letzten 10 Jahren sind die Ereignisse in Ruanda umfassend dokumentiert und analysiert worden. Mit der absehbaren Schlussfolgerung, dass dieser Völkermord alles andere als unvermeidlich war. Es gibt vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Arusha abgesehen, unzählige Kommissionen, Hilfs- und Versöhnungsprojekte und nicht zuletzt ermöglicht der Spielfilm "Hotel Ruanda" wohliges Erschauern und tränenrührendes Mitgefühl bei Popcorn und Cola. Seit über einem Jahr weiß man von der systematischen, ethnischen Säuberung also dem Beschlagnahmen, Vertreiben, Verbrennen, Vergewaltigen, Ermorden der Menschen in der Region Darfur im Westsudan durch das Zentralregime in Khartum. Unabhängige Beobachter schätzten die Gesamtzahl der Opfer mittlerweile auf 220.000 Tote (März 2005) mit einer Steigerung von 10.000 monatlich. Was kann dagegen getan werden? Der Maßnahmenkatalog liegt auf der Hand, er reicht von Wirtschaftssanktionen der EU, Flugverbotszonen, Verfolgung der Täter durch die UN, politische Druckmittel der afrikanischen und arabischen Nationen usw.usf. "Nun ja, da gibt es halt diese und jene Interessen..." wird der zynische Marxist dazwischenrufen. Beim Völkermord gegen die Armenier, dem Holocaust, dem Massenmord der Roten Khmer konnte die Weltöffentlichkeit ihre Passivität darauf begründen, von alledem nicht ausreichend gewusst zu haben. Spätestens seit Ruanda gilt das nicht mehr. Deshalb - und um den medialen Tsunami-Betroffenheitsoverkill etwas entgegenzusetzen - ein paar Web-Links zu Darfur.
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