Völkermord im Zeitalter der Globalisierung - der Genozid in Ruanda 1994
von Bastian Krondorfer

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Gil Courtemanche: Ein Sonntag am Pool in Kigali, Roman, aus dem Französischen von Riek Walther, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004, 320 S.

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Linda Melvern: Ruanda - Der Völkermord und die Beteiligung der westlichen Welt, Diederichs bei Hugendubel Verlag, 2004, 384 S.

















mehr zum Thema:

Spielfilm:
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Hotel Ruanda. Canada/UK/I/Südafrika, 2004 von Terry George, mit Don Cheadle, Sophie Okonedo, Joaquin Phoenix, Nick Nolte, Desmond Dube, David O'Hara, Cara Seymor. 121 min

noch mehr Buch:
Philip Gourevitch: Wir möchten Ihnen mitteilen, dass wir morgen mit unseren Familien umgebracht werden, Berlin Verlag, Vertiefende Studie zu den Ursachen des Völkermordes in Ruanda

Gérard Prunier: The Rwanda Crisis. History of a Genocide, Hurst and Company
Soll die beste Untersuchung und Dokumentation sein! Leider nur in Englisch.

Roméo Dallaire: Shake Hands With the Devils, Random House
Bericht des einzigen in Ruanda während des Völkermordes verbliebenen Offiziers der UN-Schutztruppe, der mit Kamikaze-Aktionen und erfolglosen Petitionen bei der UN-Bürokratie versucht hatte, Menschenleben zu retten. Nach gescheiterten Selbstmorden versucht der Kanadier Dallaire mit diesem Buch seine Traumatisierung zu überwinden. Soll dieses Jahr noch auf deutsch erscheinen.

Web:
Hier hilft Googlen zu vielen, mehr oder weniger aufschlussreichen Seiten von NGO's und kirchlichen Gruppen. Unter www.sabenahotels.com kann man einen Blick auf das aus dem Film 'Hotel Ruanda' und Courtemanches Roman bekannte und wieder in Betrieb genommene Pool des zum belgischen Sabena-Konzerns gehörenden Vier-Sterne-Hotels Des Mille-Collins (franz.: Tausend Hügel) werfen. Ex-US-Präsident Bill Clinton, unter dessen Präsidentschaft die zynische Untätigkeit der USA fiel, finanziert heute mit Geldern großer Konzerne, Projekte zu HIV/AIDS und 'Racial, Ethnic and Religious Reconciliation' in Rwanda. www.clintonfoundation.org

Zu Darfur/Westsudan (Auswahl):
www.darfurgenocide.org www.savedarfur.org welthungerhilfe.de www.darfur-hilfe.org
Vor 11 Jahren, in den Monaten zwischen April und Juli 1994 wurden in der kleinen zentralafrikanischen Republik Ruanda (Rwanda) zwischen 800.000 und 1 Millionen Menschen ermordet. In kaum mehr als hundert Tagen wütete ein durch völkische Hassparolen aufgehetzter und oft bekiffter Mob unter Führung der sogenannten Hutu-Extremisten und deren Miliz, der Interahamwe, mit Macheten, Messern, Hämmern und Knüppeln gegen die 'Kakerlaken'. Damit gemeint waren die Minderheit der Tutsi, die ca. 15 % der Gesamtbevölkerung ausmachten, sowie alle anderen Hutu (Bevölkerungsmehrheit), die den rassistischen Wahn nicht mitmachen wollten. Beendet wurde das Morden durch die Eroberung der ruandischen Hauptstadt Kigali durch die Tutsi-Guerillaarmee RPF. Nach einem gescheiterten, von der UNO initiierten Friedensabkommen zwischen Hutu und Tutsi zogen sich mit dem Beginn des großen Mordens am 6. April 1994 die zivilen und militärischen UN-Kräfte aus dem Land zurück. Französische und belgische Fallschirmjägereinheiten evakuierten sämtliche Angehörige westlicher Botschaften, die im Lande verbliebenen Geschäftsleute und Touristen und Mitarbeiter der NGOs und überließen das 'Land der tausend Hügel' (so heißt Ruanda aufgrund seiner geografischen Besonderheit) dem mit Macheten 'Made in China' bewaffneten Hutu-Mob, der von Haus zu Haus und Hügel zu Hügel zog und alle - vom Säugling bis zum Greis - abschlachtete, den sie für Angehörige der Tutsi hielten. Überall im Lande errichteten die Interahamwe Straßensperren und kontrollierten die Pässe auf den eingestempelten Vermerk "Hutu" oder "Tutsi".

Es handelte sich also mitnichten um eine spontane Entladung von Hass der Bevölkerungsmehrheit auf die von der Kolonialmacht Belgien (die die ehemals deutsche Kolonie Ruanda-Urundi im Laufe des 1. Weltkriege eroberte) privilegierten Tutsi, sondern um eine ideologisch in der Kolonialgeschichte Ruandas verwurzelten und von der Hutu-Oligarchie bis in kleinste Detail geplante systematische Auslöschung der Tutsi. Linda Melvern hat in ihrem nach 10jähriger Recherche veröffentlichten Buch 'Ruanda - Der Völkermord und die Beteiligung der westlichen Welt' minutiös die Genese des Völkermordes seit Einführung der ethnischen Klassifizierung in den Ausweisen durch die belgische Kolonialverwaltung 1933 und der zahlreichen Bürgerkriege und Massaker an den Tutsi in den Jahrzehnten seit der Entkolonialisierung 1945 beschrieben. Ihr Hauptaugenmerk allerdings richtet die Prozessbeobachterin des UN-initiierten Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda (ICTR) auf die Rolle der UN und der beteiligten, ehemaligen Kolonialmächte: Frankreich, das mit dem schönfärberischen Begriff 'Francophonie' seine Hegemonialansprüche in Afrika hier als Parteigänger der Hutu-Oligarchie die Killer des ruandischen Armee ausbildete; der Weltsicherheitsrat unter Führung der USA, der mit Beginn des großen Mordens die UN-Institutionen zur Untätigkeit zwang, obwohl Beobachter vom Internationalen Roten Kreuz bis zur CIA lange zuvor vor einen Genozid warnten, die Massaker aufgrund der von den Hutu-Extremisten aufgestellten Todeslisten vor dem 6. April begannen und der Hutu-Radiosender 'Radio-Telévision des Mille Collins' mit ideologischen Versatzstücken des europäischen Antisemitismus zum Massenmord gegen "die den gesunden Volkskörper zersetzenden Tutsi-Kakerlaken" hetzte. Man kann heute noch in den gut dokumentierten, offiziellen UN-Verlautbarungen von 1994 die zynisch-makabere Vermeidung des Wortes "Genozid" nachlesen. Man sprach verdruckst von "Akten eines Genozids", denn hätte man "Genozid" gesagt, so wäre automatisch die 1948 von der UNO als Reaktion auf den Holocaust auferlegte Selbstverpflichtung zum Eingreifen in Kraft getreten.

So wichtig - weil detailreich und quellenkritisch belegt - Linda Melverns Buch auch ist, desto schwieriger macht sie es der/dem interessierten Leser/in, sich dem Thema zu nähern.
Meine Empfehlung geht deshalb dahin, mit dem Roman "Ein Sonntag am Pool in Kigali" von Gil Courtemanche anzufangen und Linda Melverns Buch als eine Art vertiefender Sekundärliteratur zu nutzen. Gil Courtemanches Roman erzählt die fiktive Liebesgeschichte eines zwischen Zynismus und Empathie schwankenden weißen, kanadischen Journalisten, der im Auftrag einer NGO einen Fernsehsender zur AIDS-Aufklärung beraten soll und einer ruandischen Hotelangestellten, die während des großen Mordens am Pool ebenjenes Hotels Mille-Collins (das auch die "Hauptrolle im zurzeit laufenden Kinofilm "Hotel Ruanda" spielt) heiraten. Allein die Beschreibung der Bedingungen für Menschen mit HIV und AIDS in den Krankenhäusern Kigalis sind so unvorstellbar grausam, dass man geneigt ist, das Buch wegzulegen. Was der Roman im Gegensatz zum investigativen Journalismus kann, ist Zusammenhänge nachvollziehbar werden zu lassen, indem man das Romanpersonal aus verschiedenen Perspektiven erzählen lässt. Gentille, so heißt die fiktive ruandische Hotelangestellte, ist ihrem Pass nach Hutu, sieht aber den rassistischen Schemata nach, wie eine Tutsi aus. In einem Kapitel beschreibt Courtemanche, wie Gentilles Urgroßvater, der, um seine Kinder auf eine katholische Missionsschule schicken zu können (Damals die einzige Möglichkeit im belgischen Kolonialregime Armut und Elend zu entkommen) durch das Buch eines belgischen Kolonialarztes angestachelt, zunächst seine Hutu-Identität 'erkennt' und dann alles dafür tut, um seine Nachfahren durch Clan- und Heiratspolitik ein Tutsi-Aussehen zu verpassen. Besagter belgischer Kolonialarzt war im ausgehenden 19. Jahrhundert führender Afrikanist und Spezialist für Eingeborenenkulturen. Den seinerzeit besonders im deutschen Reich grassierenden wissenschaftlichen Rassenlehren folgend, unterteilte Docteur Sasserath die Ruander in faule, negroide Hutu-Bauern und edle, von ihrer Herkunft her, nordische Tutsi-Viehzüchter. Eine folgenreiche Zuschreibung auf der nicht nur das koloniale Ausbeutungssystem beruhte, sondern die in einer perversen Umkehrlogik die Grundlage für den eliminatorischen Rassismus der Hutu legte.

Das Problem, das ich mit Courtemanches Roman habe, ist nicht seine Art, wie er Emotionen weckt - denn das tut er mitnichten in simplen schwarz/weiß Rastern -, sondern dass er sein Anliegen in eine Art Hetero-Polit-Porno, bei dem der alternder Entwicklungshelfer Valcourt mit der jungen, kaffeebraunen Gentille vögelt, verpackt hat. Zwar reflektiert Courtemanche dieses durchaus als sexistisch und postkolonial konotiert; die "sexuelle Dauererregung" (so Sonja Zekri in ihrer SZ-Rezension vom 26.August 2004) zieht sich allerdings wie ein roter Faden durch den ganzen Roman: Beim barbarischen Abschlachten genauso wie bei den ständigen Penetrationsszenen. Und das nervt. Nichtsdestotrotz halte ich Courtemanches Herangehensweise, die versuchte Ausrottung der Tutsi 1994 aus der Perspektive eines linken, desillusionierten, weißen Beobachters zu erzählen, für legitim, um die unvorstellbare Barbarei und die vorausgegangene kühl geplante propagandistische Entmenschlichung zu beschreiben. Denn Hand aufs Herz: Wir mögen zwar meinen einiges zu Lateinamerika, Israel und Palästina sowie den Balkankriegen verstanden zu haben; der Kontinent südlich der Sahara und nördlich Südafrikas bleibt ein weißer Fleck, bei der uns sämtliche Koordinaten zu Orientierung fehlen. Ich konnte jedenfalls Hutu und Tutsi, also Täter und Opfer in diesem Konflikt, vor der Lektüre noch nicht einmal ihren Namen nach auseinanderhalten.

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Clinton und Albright (1994 US-Botschafterin beim Weltsicherheitsrat): "Genocide? There is no genocide in Rwanda. Only ongoing acts of genocide!" Bildquelle:communistsforkerry.com

Zum Schluss noch zwei notwendige Anmerkungen zu dieser für ein Online-Magazin sowieso schon zu lange geratenen Bücherbesprechung ...

1. Das große Kotzen stellt sich bei mir angesichts der aktuellen Inszenierung Johannes Paul II als großen Friedensmahner (Irakkrieg) vor dem Hintergrund der Haltung des der römischen Kurie direkt unterstellten ruandischen Klerus zur Zeit des Völkermords. Über die Hälfte der Ruander sind Katholiken, ihre Bischöfe legitimierten jahrzehntelang das korrupte und rassistische Regime Präsident Habyarimanas und der Erzbischof, seine Eminenz Vincent Nsengiumva, war selbstverständlich Mitglied des ZKs der herrschenden Präsidentenpartei MRND. Viele katholischen Priester lieferten die verzweifelten Tutsi ihren Mördern aus, als diese versuchten in den katholischen Kirchen des Landes Schutz zu finden.

2. In den letzten 10 Jahren sind die Ereignisse in Ruanda umfassend dokumentiert und analysiert worden. Mit der absehbaren Schlussfolgerung, dass dieser Völkermord alles andere als unvermeidlich war. Es gibt vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Arusha abgesehen, unzählige Kommissionen, Hilfs- und Versöhnungsprojekte und nicht zuletzt ermöglicht der Spielfilm "Hotel Ruanda" wohliges Erschauern und tränenrührendes Mitgefühl bei Popcorn und Cola. Seit über einem Jahr weiß man von der systematischen, ethnischen Säuberung also dem Beschlagnahmen, Vertreiben, Verbrennen, Vergewaltigen, Ermorden der Menschen in der Region Darfur im Westsudan durch das Zentralregime in Khartum. Unabhängige Beobachter schätzten die Gesamtzahl der Opfer mittlerweile auf 220.000 Tote (März 2005) mit einer Steigerung von 10.000 monatlich. Was kann dagegen getan werden? Der Maßnahmenkatalog liegt auf der Hand, er reicht von Wirtschaftssanktionen der EU, Flugverbotszonen, Verfolgung der Täter durch die UN, politische Druckmittel der afrikanischen und arabischen Nationen usw.usf. "Nun ja, da gibt es halt diese und jene Interessen..." wird der zynische Marxist dazwischenrufen. Beim Völkermord gegen die Armenier, dem Holocaust, dem Massenmord der Roten Khmer konnte die Weltöffentlichkeit ihre Passivität darauf begründen, von alledem nicht ausreichend gewusst zu haben. Spätestens seit Ruanda gilt das nicht mehr. Deshalb - und um den medialen Tsunami-Betroffenheitsoverkill etwas entgegenzusetzen - ein paar Web-Links zu Darfur.


Halford: Das ist ein schöner Überblick und das Foto (die Montage?) ist super. Den Hinweis auf die kolonialgeschichtlichen Hintergründe hätte ich mir etwas deutlicher ausgeführt gewünscht. Eine interessante Diskussion über den Film und über andere Filme und Bücher zu dem Thema findet sich auch hier: [Red.: der link war nicht nur für das link-feld zu lange, daher von mir geändert. Sorry dafür. Brenda]  klicken und suchbegriff "Hotel Rwanda"
Halford: Ach ja, ich kann noch die Dokumentation "Sie wussten alles und taten nichts" empfehlen. Das ist die deutsche Bearbeitung einer BBC-Produktion, und sie ist über den WDR zu beziehen, meine ich.  
bastian@halford: ach, das freut den sich fingerwundgetippthabenden autor, dass jemand den anfang macht und auch gleich was positives schreibt..:-) also "mehr kolonialgeschichtler hintergrund" hätte dann doch umfangmäßig alles gesprengt - mal abgesehen, dass ich mir den auch noch mühselig anlesen hätte müssen. allerdings sind 'eh noch so viel aspekte unterbelichtet geblieben. wie mein ursprünglich geplanter vergleich der medienrezeption zu ruanda '94 mit den dauerbilderbeschuß der tsunamikatastrophe 2005.  
bastian@halford con't: also auf weitere filmtipps - insbesonders tv-sachen - habe ich bewußt verzichtet, weil diese im gegensatz zu büchern schwer zu besorgen sind. ich habe mich übrigens überhaupt erst eingehender mit ruanda beschäftigt nachdem ich letztes jahr zufällig eine dokumentation zu roméo dallaire auf arte (oder wars in der ARD?) gesehen habe. vielleicht ist das ja der vom WDR, den du erwähnst?  
Halford: @bastian: Die von mir genannte Doku ist von Steve Bradshaw, lief aber auch mal auf arte. @Brenda: Danke für die Arbeit, aber "klicken und suchbegriff 'Hotel Rwanda'" führt leider zu einem komplett anderen Ergebnis als der ursprüngliche Link. Dieser ist nämlich eine chronologische Auflistung von Beiträgen einer bestimmten Diskussion:  
Brenda: lieber Halford! Nicht, weil ich klugscheißen wollte, sondern weil Du mit deinem Mega-Link unser Layout zerschießt, hatte ich ihn verändert. Das meinte ich mit "der link war nicht nur für das Suchfeld zu lang." *** solche langen links bitte verhackstücken: http://www.h-net.org/logsearch/index.cgi? phrase=Hotel+Rwanda+and+_Hotel+Rwanda_&type=keyword &list=h-africa&hitlimit=100&field=EDSJ&nojg=on &smonth=00&syear=2005&emonth=02&eyear=2005&order=@DPB  
Halford: Ein bisschen wundere ich mich, dass in der 2004 geführten Debatte um den Genozid kaum jemand auf die Rolle der Deutschen verwiesen hat. Immerhin haben sich die Schlächter in Rwanda auf eine Geschichtsdeutung bezogen, die von deutschen Missionaren entwickelt wurde. Deshalb eine deutsche Mitverantwortung für den Genozid in Rwanda auszumachen, wäre sicher verfehlt. Andererseits ist das doch Wasser für die Mühlen eines "antideutschen" Geschichtsbildes, von daher hätte ich von dieser Seite etwas in diese Richtung erwartet.  
Brenda: Kann irgendwer was Schlaues sagen zur Rolle der deutschen Kolonialgeschichte in Rwanda und Burundi? Oder einen guten Link angeben? Selbst in zwei Schwerpunktausgaben des IZ3W zur deutschen Kolonialgeschichte habe ich zu diesen beiden Ländern nichts gefunden.  
bastian: viel wirds dazu auch nicht geben, denn das deutsche intermezzo in ruanda-burundi währte nur von 1907 bis 1916. das deutsche reich hat ja bekanntlich den kolonialismus eher verpennt und als man sich 1885 in berlin traf, um auch noch was vom großen blutkuchen abzubekommen, stellte man fest, dass alles mehr oder weniger zwischen britischen empire und den anderen europäischen kontinentalmächten aufgeteilt war.  
bastian: ... dieses ist zu genüge von verschiedenen historikerschulen analysiert worden: stichwörter "verspätete nation" "deutscher sonderweg" "griff zur weltmacht" - die folgen: WWI, weimar, NS und WWII sind bekannt. linda melverns kurzer abriss zur geschichte vermerkt: "1894: Der deutsche Graf Gustav Adolf von Götzen trifft als erster Europäer am ruandischen Königshof ein. 1900: Die Afrikamissionare 'Weiße Väter' [ob das nun deutsche, belgier oder sonstwer war, steht da nicht und ist m.e. auch ziemlich wurscht. b.] gründen ihre erste Missionstation.  
bastian: ... 1907: Erster deutscher Stützpunkt in Kigali. Der Afrikaforscher Richard Kandt wird zum ersten Kaiserlichen Residenten ernannt. 1910: Auf einer Kolonialkonferenz in Brüssel werden die Grenzen von Belgisch-Kongo, Britisch-Uganda und Deutsch-Ostafrika - das auch Ruanda-Urundi umfasst - festgelegt. 1911: Volksaufstand im Norden wird von der dt. Schutztruppe und Stammesfürsten der Tutsi niedergelschlagen. 1913-1914: Der Anbau von Kaffee für den Export beginnt - Einführung der Kopfsteuer. 1916: Belgische Truppen vertreiben die Deutschen und besetzten Ruanda und Burundi."  
bastian: ... das sind natürlich magere angaben, aber letztendlich haben die belgier mit ihrer volkzählung 1933 und dem hutu/tutsi vermerk in den ausweisen eine der entscheidenden weichenstellungen zum sich entwickelnden rassismus innerhalb der bevölkerung gelegt. ich glaube außerdem, dass wir auf den holzweg wären, wenn wir den deutschen kolonialherren irgendwelche miseren motive als den belgiern, briten oder franzosen zu unterstellten.  
brenda: @bastian: danke für die info! ich habe die ganze geschichte damals regelrecht ausgeblendet, und auch gerade zu ärgerlich auf die verwirrung von wegen hutsi und hutu reagiert. lateinamerika oder der mittlere osten oder asien erschienen mir in der zeit irgendwie näher. aftika interessierte nur am rande. komisch eigentlich. ich habe mich bei diesen kleinen beiden ländern immer gefragt, wieso das eigentlich eigene staaten sind. und aus deinen ausführungen geht hervor, das es einen ruandischen königshof gab. weiss da jemand was zur geschichte und was da vorher für eine gesellschaftsordnung bestand?  
bastian: also linda melvern fokussiert die neunziger jahre in ruanda, gibt abee - wie gesagt - auch einen groben überblick über die historische entwicklung. was ich bei courtemanche wirklich gut finde sind seine rekurse zur politischen u. sozialpsychologischen genese des rassistischen völkermordens. ist natürlich alles knapp und romanhaft und nicht "wissenschaftlich". ich könnte mir vorstellen, dass gérard prunier (siehe buchtipp) da viel, viel ausführlicher ist. habe ich halt nicht gelesen! könnte mir allerdings vorstellen, dass man sein buch bei amazon.uk o.ä. antiquarisch billig bekommt.  
Halford@Brenda: Im Internet gibt es dazu nüscht, soweit ich das überblicke. Am ehesten wirst Du wohl hier fündig werden; zumindest ist das Thema ein Steckenpferd des Herausgebers:  Ruanda - der Weg zum Völkermord
Halford@Brenda: Halt! Doch! Hier ist auch was im Internet dazu:  Genocide in Rwanda
Philipp: ...es gibt noch das Buch "We wish to inform you that tomorrow we will be killed with our children" von Gourevitch, sowie "In the footsteps of Mr Kurtz" von Michaela Wrong für alle, die den Genozid in Rwanda in Zusammenhang mit dem Konflikt im Kongo und dem überregionalen Kontext belesen wollen. Die politische Situation in der große Seen Region heute hängt stark mit dem Genozid zusammen, eingentlich setzt sich da verschiedene Konflikt bis heute auf zig Ebenen auch überregional fort.  
Halford: Alber Wirz schreibt: „Die deutsche und die sie beerbende belgische Kolonialverwaltung schlug sich auf die Seite der Tutsi-Aristokratie. Denn die Fortschreibung und Absicherung der Tutsi-Herrschaft schien nicht nur der billigste Weg, um Ruhe und Ordnung im Lande zu sichern, sie entsprach auch den rassistischen Vorurteilen der Europäer. Die Auswirkungen waren umso gravierender, als die Kolonialisten die Bevölkerung insgesamt nach ethnischen Kriterien zu klassifizieren begannen und systematisch Hutu gegen Tutsi und beide gegen Twa (die sogenannten Ureinwohner) setzten. ...  
...: Damit schrieben sie nicht nur den Hamitenmythos ins Alltagsleben ein, sie vervollständigten auch die Unterjochung der Hutu und machten die ethnische Zugehörigkeit zur Grundlage des sozialen Gefüges und des politischen Lebens im Lande. Die Folgen sind bekannt. Vom unsäglichen Leid einmal abgesehen, welche die ethnisch definierte Machtpolitik über das Land gebracht hat, macht das Beispiel Ruanda deutlich, wie gefährlich es ist, wenn man die Gegenwart in die Vergangenheit zurückprojiziert und ethnische Gruppen als überhistorische Größen nimmt.  
...: Oder anders gesagt, es macht deutlich, wie wichtig es wäre, Wandel und Kontinuität genau gegeneinander abzuwägen, nach einzelnen gesellschaftlichen Kräften zu differenzieren und auch nach den Interessen zu fragen, welche hinter jeder Geschichtstradition stehen. Sprachgemeinschaft, ethnische Identität und politische Einheit können sich decken, sie müssen aber nicht. Ihre Entwicklung kann auch ganz unterschiedlich verlaufen, und vor allem in ganz unterschiedlichen Zeiträumen. Wobei sich gerade das scheinbar Unwandelbarste wie etwa die Tradition (oder die ethnische Identität) bei genauerem Hinschauen oft als Resultat einer Entwicklung mit nur kurzer zeitlicher Tiefe erweist.“  
bastian@halford: sic! wer - by the way - is'n alber wirz und wo hat der das geschrieben?  
Halford: Albert Wirz war Professor für afrikanische Geschichte in Berlin, bis er jüngst nach schwerer Krankheit viel zu früh verstorben ist. Geschrieben hat er das in: Albert Wirz und Jan-Georg Deutsch (Hrsg.): Geschichte in Afrika. Einführung in Probleme und Debatten. Berlin 1997.  
Halford: Warum eigentlich lautet die Überschrift "Völkermord im Zeitalter der Globalisierung"?  
bastian: ehrlich gesagt: im zusammenhang, mit dem was ich geschrieben habe, ist die überschrift "völkermord im zeitalter der globalisierung" bißchen irreführend ... ich weiß! ursprünglich wollte ich damit auch argumentativ irgendwo hin; allerdings hätte es dann alleine schon einer genaueren begriffbestimmung von "globalisierung" bedurft (ob im negri-hardt-neoimperialismustheorie- sinne oder als zu-tode-gefeuilletontes schlagwort) und dafür war dann kein platz. so habe ich den titel halt gelassen, weil er irgendwie gut klingt ... ;-)