Glad to be Gay
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Interview
mit
David
Halperin |
geführt von Bunning in Greenpepper no.27
übersetzt von Beate Bronski |
David M. Halperin, Queentheoretiker, Prof. für englische Literatur (Ann Abor & Sydney), der vornehmlich auf dem Gebiet der historischen Rekonstruktion ('Genealogie') der modernen Homosexualität arbeitete. Einige seiner Arbeiten: One
Hundred Years of Homosexuality and Other Essays on Greek Love (1990), Saint
Foucault: Towards a Gay Hagiography (1995), How to Do the History of
Homosexuality (2002), als Herausgeber: Before Sexuality: The Construction of
Erotic Experience in the Ancient Greek World (1990) und The Lesbian and Gay
Studies Reader (1993). Außerdem hat er das Journal GLQ mitbegründet. Mehr zu David Halperin samt seinen queerthorethischen Ansätzen bei wikipedia.
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Bunning:
Hältst du den Ausdruck "Homosexualität für sinnvoll? Ist er hilfreich, um
Akzeptanz für Abweichungen in Bezug auf Geschlecht (gender) und sexuelle
Abweichungen zu erlangen? Oder glaubst du, dass er eher hinderlich ist,
etwas, das dazu beiträgt, Menschen in sehr strikte und stereotypisierte
Gruppen zu zwingen? |
Halperin:
Ich schätze, dass eine der guten Sachen an dem Wort darin besteht, dass es
nahezu alles bedeuten kann. Früher haben wir es abgelehnt - weil es ein
klinischer oder forensischer Ausdruck war, der den Beigeschmack der
Psychopathologie hatte ("Warum nennen sie uns nicht einfach Schwuchteln
(fags) und geben Ruhe?" sagte Simon Watney einmal zu mir). Aber nun, mit
etwas Abstand, und mit dem Umstand, dass queer die halbe Zeit als neues
Schrankwort (closet word) funktioniert, um sexuelle Differenz unspezifisch
erscheinen zu lassen, macht es irgendwie Spaß, das unhippe Wort
Homosexualität zu benutzen, um auf dem zu bestehen, was am Queersein sexuell
ist, genau so, wie wir nun gelegentlich auch Wörter wie "Perverser" oder
"Sodomit" wiederbeleben.
Ich glaube nicht, dass irgendein Wort uns soziale Akzeptanz bringen oder
Stereotypisierungen verhindern wird, und ich glaube nicht, dass wir uns
unsere Wahl davon diktieren lassen sollten, was heterosexuelle Leute denken.
Und ich stehe im Moment sowieso auf Stereotype: Ich würde gerne besser
verstehen, wieso Schwule früher gerade Judy Garland so liebten (und, obwohl
ich selbst nichts über Judy weiß - denn das war vor meiner Generation - bin
ich von den Filmen und Cabaret Aufführungen, die ich gesehen habe,
fasziniert, deshalb denke ich, dass wir davon mehr vertragen könnten!).
| Bunning:
Steht die Regenbogenflagge mittlerweile symbolisch für die
Kommerzialisierung der schwulen Kultur? |
Halperin:
Nun, bereits in den Jahren 93/94 veröffentlichte Chris Berry ein Buch, auf
dessen Umschlag ein Kunstwerk von Matthew Jones war, das aus einem Tattoo
mit einer Regenbogenflagge, die in Flammen aufgeht, bestand. Die Leute haben
das Symbol also mindestens seit 10 Jahren satt. Wenn du es heutzutage
siehst, beispielsweise in der Pride Parade, scheint es fast, wie der
Rückfall in eine andere Zeit. Aber vorher gab es das Lambda, das jetzt ein
queeres Symbol ist, und einige andere, aber alle sollten einfach ihr eigenes
erfinden.
| Bunning:
Sind Symbole für queeren Fortschritt wichtig? |
Halperin:
Nicht unbedingt. Sie werden erfunden, sie werden verbraucht, sie werden
ausgetauscht. Ich schätze, es ist sinnvoll etwas zu haben, besonders wenn es
eine Bedeutung hat. Aber ich denke nicht, dass die Regenbogenflagge
besonders bedeutungsvoll war. Zunächst erzeugte sie viele neue queere Stile
aber das dauerte nicht lange. Es besteht keine Möglichkeit, ein Symbol oder
Label so zu erschaffen, dass es Bedeutung erhält. Symbole haben nur in der
Weise eine Bedeutung, wie sie von den Menschen verwendet werden. Manchmal
funktionieren sie sehr gut, aber letztlich können sie nur die Arbeit
verrichten, die von Menschen in sie hineingelegt wird. Ich glaube, dass wir
auf sie verzichten können. Einige der berühmtesten SchriftstellerInnen und
KünstlerInnnen haben Dinge getan, für die es zu ihrer Zeit keinen Namen gab.
Ich glaube nicht, dass ein Name nötig ist.
| Bunning:
Was bedeutet "queer" für dich? |
Halperin:
Es ist ein Widerstand gegen das Normale. Es spezifiziert nicht, was
Schwulsein zu bedeuten hat, es bedeutet nicht notwendigerweise, dass zwei
Menschen desselben biologischen Geschlechts Sex miteinander haben. Für mich
umfasst es jede Person, die sich wegen ihrer Sexualpraktiken marginalisiert
fühlt. Schlecht an queer ist, dass es zu einem neuen closet (Schrank,
Versteck) werden kann, weil es sich nicht spezifisch auf
gleichgeschlechtliche Sexpraktiken bezieht - und so zu einer "chic radical
Idee" wird. Das kann es Heterosexuellen ermöglichen es zu vereinnahmen und
irgendwie zu behaupten, dass "wir überschreitender (more transgressive) sind
als ihr und deshalb sind wir queerer, als ihr es seid, und das Resultat ist,
dass ihr falsch liegt!" So um 1990, als queer so richtig modern wurde, war
es gängig, dass Schwule und Lesben miteinander Sex hatten, und das ist eine
schöne Idee - queere Solidarität - aber ich wollte keinen Sex mit Lesben
haben, ich bin ein Schwuler! Als ich aufwuchs war ich immer "zu queer" und
dann werde ich angeklagt nicht queer genug zu sein, in beiden Fällen weil
ich schwul bin. Ich glaube nicht, dass das ein Fortschritt ist. Ich mag das
Wort queer immer noch und ich mag immer noch seine Direktheit, aber manchmal
bedeutet es radikal und politically correct, und manchmal wird es als
Synonym für schwullesbisch verwendet.
Es gibt diese Idee, dass queer das ist, was passiert, wenn wir aus
lesbischer und schwuler Identität rausgewachsen sind, wenn wir aus Identität
rausgewachsen sind: queer zeigt an, dass Identitäten nicht wirklich real
sind, sie sind dynamisch, sie sind fließend, sie sind provisorisch. Und
dieser Umstand bewirkt, dass Menschen, die lesbisch und schwul sind, oder
Menschen, die von sich sagen, dass sie es sind, tatsächlich faschistisch
erscheinen, weil sie sich an eine Identität klammern, und auf diese Weise
funktioniert queer homophob. Ich denke, das ist ein echtes Paradox. Die
Mainstreamkultur hat es geschafft, sich queer anzueignen und es so zu
benutzen, dass Heterosexuelle sich radikal fühlen können und es gegen
schwule Leute (gay people) zu verwenden, indem sie als altmodisch und zu
schwul hingestellt werden.
| Bunning:
Was denkst du darüber, dass Lesben (dykes) sich gegenseitig als "er"
anreden? |
Halperin:
Warum sollten Frauen nicht mit Geschlecht (gender) spielen wenn Männer das
auch schon so lange gemacht haben?
| Bunning:
Aber glaubst du, dass es sinnvoll ist zu versuchen, Ideen und Bedeutungen
der Sprache auf diese Weise zu verändern? |
Halperin:
Sinnvoll in welcher Hinsicht? Die Leute in New York, die das machen, haben
was davon. Sie machen es nicht, um ein allgemeines Gesetz aufzustellen, um
zu sagen, dass wir alle das tun sollten, sie tun es, weil sie versuchen,
eine bestimmte Idee davon, was es bedeutet weiblich zu sein über die
gegenwärtigen Grenzen hinaus zu verschieben. Männer nennen sich gegenseitig
"sie" seit 1900. Ich mag die Idee, dass vergeschlechtlichte Pronomen vom
biologischen Geschlecht abgelöst werden können.
| Bunning:
Was denkst du über die Homo-Ehe: bedeutet sie eine wichtige Anerkennung der
Existenz von Homosexualität, oder sind es nur Queers, die versuchen sich an
eine kulturelle Heterotradition anzupassen, die repressiv und irrelevant
ist? |
Halperin:
Wahrscheinlich denke ich all das über die Homo-Ehe. Ich meine, es ist kein
Punkt, der mir besonders wichtig wäre. Die Sache, die mir wichtiger ist, ist
die Frage, ob es möglich ist, dass auch andere abweichende Beziehungsformen
mehr Privilegien und Rechte erhalten - wie z.B. Beziehungen mit mehr als
zwei PartnerInnen. Ich fände es gut, wenn Menschen viel mehr Möglichkeiten
für Beziehungsformen hätten. Das ist auch ziemlich genau Foucaults Haltung,
und es ist auch Michael Warners Haltung zur Homo-Ehe. Eine der Sachen, die
Warner sagt ist, dass er es falsch findet, dass die Leute so viel politische
Energie in die Homo-Ehe gesteckt haben, besonders in den USA. Es lenkt von
bedeutsameren Themen ab, wie z.B. HIV/Aids und Sexualstrafrecht, obwohl sich
das oberste Gericht darum ja jetzt gekümmert hat.
Eine Sache, die mich heutzutage überrascht, ist, wie viel Erfolg das
Heiratsthema in der ganzen Welt hatte, das hätte ich nie für möglich
gehalten, obwohl der US Kongress über einen Zusatz nachdenkt, der die
Homo-Ehe verbietet. Ich denke, dass die Homo-Ehe in den USA nicht in naher
Zukunft realisiert werden wird. Aber es ist wie mit dem
Antidiskriminierungsgesetz, das war auch etwas, von dem niemand dachte, dass
es umgesetzt würde, und mittlerweile wurde es schon an mehreren Orten
verabschiedet. Gegenwärtig gibt es ungefähr ein Dutzend Länder, in denen die
Homo-Ehe legal ist, inklusive der Niederlande und neuerdings auch Kanada, es
scheint also so, als gäbe es da viel mehr Möglichkeiten, als ich jemals
gedacht hätte.
Die Ehe ist nicht wirklich wichtig für mich. Eine der interessanten Sachen
zum Thema Ehe und Familienleben seit dem 19.Jahrhundert ist, dass sie den
Grossteil ihres wirtschaftlichen Zwecks verloren haben [z.B. patriarchaler
männlicher Brotverdiener kombiniert mit weiblicher Hausfrau/häuslicher
Dienerin], und genauso ist es mit der fast ausschließlich ideologischen
Funktion der Liebe und persönlichen Erfüllung. [Das ist ein spekulativer
Grund für hochschnellende Scheidungsraten].
| Bunning:
Manchmal sagen Leute zu mir: "Schwule, die haben jetzt Gleichheit, warum
akzeptieren sie das nicht, ich bin Hetero und ich fordere ja auch keinen
Heterotag oder Heterorechte". Was würdest du darauf antworten? |
Halperin:
Das ist Tom Robinson - "Glad to be gay": "Belüg deine Arbeitskollegen. Belüg
deine Leute. Bring die Tunten zum Schweigen. Erzähl queerfeindliche Witze.
Die ‚Schwulenbefreiung ist lächerlich'. Stimm mit in das Gelächter ein. ‚Die
Scheißkerle haben jetzt Rechte: was wollen sie denn noch?" Und das war im
Jahr 1978!
Zunächst mal sind wir jetzt nicht legal, wir sind immer noch nicht legal.
Wir können Sex haben, aber wir haben keine Immigrationsprivilegien, wir
haben keine Partnerschaftsprivilegien, wir haben keine Beziehungsrechte, und
wir müssen noch einen weiten Weg gehen, um sie zu bekommen. Gleichzeitig
werden wir in einigen Ländern vermehrt als Gleiche anerkannt, und vielleicht
bedeutet das, dass radikale Queers möglicherweise andere Themen finden
müssen.
| Bunning:
Für wie wichtig hältst du Theorie für die Erlangung queerer Rechte? |
Halperin:
Ich denke Theorie kann hilfreich sein, aber ich weiß, dass der Grossteil der
Theorie, die ich gemacht habe, sehr stark von der Bewegung beeinflusst
worden ist. Ich glaube, dass TheoretikerInnen sehr selten genauso kreativ,
erfindungsreich oder unverwechselbar sind, wie die Bewegung, die sie umgibt.
Es ist sehr ungewöhnlich, wenn soziale Bewegungen den TheoretikerInnen nicht
voraus sind.
| Bunning:
Glaubst du, dass queere TheoretikerInnen den aktiveren queeren Bewegungen
genug Aufmerksamkeit schenken, oder befinden sie sich in einer
"Elfenbeinturm"-Situation? |
Halperin:
Als ich mit Queer Studies angefangen habe dachte ich, dass meine Tätigkeit
zum akademischen Flügel einer größeren Bewegung gehört, einer Bewegung, die
ihren Ursprung außerhalb der Universitäten hat. Jetzt scheint es so, als
wären diejenigen innerhalb der Universität das, was von der Bewegung übrig
ist. Das ist wirklich eine komische Situation, weil wir immer das Gefühl
hatten, dass wir unsere Einflüsse von der Bewegung bekommen, und jetzt
müssen wir es auf eine Art alles selbst machen.
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