Lore Logorrhöe: ich finde es höchst problematisch, der zerstörung der familie nur positives abzugewinnen. außerdem glaube ich icht, dass der neoliberalismus die familie zerstört. er ordnet sie neu. das kann ganz konservativ hergehen, wie etwa in den usa. insgesamt wird die staatliche verantwortung nicht nur an das individuum, sondern auch an soziale netzwerke abgewälzt, von denen die familie eines ist. |
'Türlich, 'türlich: Soso: heutzutage steht also die "individuelle Lebensführung" im Vordergrund und nicht mehr ein "kollektives Interesse". Dass wir von Altruisten zu Egoisten werden mussten, ist die Schuld des Staates, der uns keine Freiräume mehr finanziert, sondern der nackten Ökonomie das Feld überlassen hat. Gesellschaftliches Engagement erscheint mithin als ein Luxus, der heute nur noch Besserverdienenden möglich ist, denen dafür allerdings meist die Zeit und auch der Grund fehlt. Was folgt daraus? Selbstmord? |
Sascha B.: Die Zerstörung der Familie ist ein neoliberales Projekt. Richtig. Du hast es selbst herausgefunden. Und Du freust Dich trotzdem darüber. Es funktioniert nicht, sich aus jedem Gesellschaftssystem und aus jeder Weltanschauung die Rosinen herauszupicken. |
Der Preis ist heiß: Dass Verantwortung und die dazu passende Moral("-vorschrift") nicht fremdbestimmt sind, sondern bei Dir selbst liegen, haben die Protestanten und Linken von jeh her gemeinsam. Interesanter finde ich jedoch, weshalb "kollektive Interessen" nicht mehr im Vordergrund stehen. Dat is ja nicht verboten. Peter |
heinzi: ich glaube es kommt darauf an, was jeweils mit individualisierung gemeint ist, schließlich setzt sich auch die queer theory für individualität ein. in gegenwärtigen diskussionen (und auch durch die hartz-gesetze) wird individualisierung im sinne einer verwertungslogik angestrebt: menschen sollen möglichst wenig sozialen background und verantwortung haben und in diesem zusammenhang auch nicht diskriminiert werden, um in unternehmen das bestmögliche leisten zu können. soziale beziehungen und kontakte fallen da völlig runter. - |
heinzi: - queere theorien setzen dagegen auf ein freies, selbstbestimmtes, gleichberechtigtes individium, dass aber auch und gerade soziale kompetenzen besitzen soll, kann... was ist eigentlich mit familie gemeint? familie ist für mich ein großer freundinnenkreis... und keine hetero- oder homosexuelle paarbeziehung... |
floub4711: "freies, selbstbestimmtes, gleichberechtigtes individium" hö, hö, hö die Menschen sind unterschiedlich, Schatzi. Gleichberechtigung hört als erstes beim Intellekt und bei den Kommunikationsriten auf ... . Die Bundespräsidenten-Köhler-Sau hat leider Recht, wenn sie meint, dass man Unterschiede akzeptieren sollte. Verantwortungseinklage bei den Reichen (an Geld, aber auch an Sprachgewandtheit oder an Interna-Kenntnissen) kann nur Forderung sein. |
individuell: Individuum ! |
Horst W. (Au-Thor hiesiger Kolumnen): Als ein Freund der Sprache würde ich gerne wissen, was eine "homogene Lebensweise" ist und wer das definiert. Hat ein schwules Pärchen aus Schöneberg, das nachmittags im Cafe Berio und abends im Prinzknecht sitzt, einmal im Jahr nach Ibiza fliegt und ansonsten in einem Warenhaus bzw. einer Arztpraxis arbeitet, eine homogene Lebensweise? |
M. Mühlenstein: Jedenfalls! Auch viele (die meisten?) Heteros haben homogene Lebensweisen. Deshalb sind homogene Homosexuelle der strukturellen Nachahmung der Heteronormativität ja auch so schwer verdächtig. Oder so. |
Lemmy: Also Marx sprach vom Ende der Entfremdung, wenn freie Assoziation freier Individuen gegeben ist. Was treffenderes ist dazu bis jetzt nicht gesagt worden; dafür brauch's keine Queertheorien und ähnlichen Quatsch. Derrida ist tot, Warhol ist tot, Foucault ist tot und mir ist auch schon ganz schlecht. Ich finde das neoliberale Projekt der Familienzerschlagung ja fortschrittlich trotz aller dialektischen Brutalitäten. Lieber Hartz IV als Montagsdemonstration. |
Bodo: Nein Lemmy, so nicht! Ein falsch zitierter marx und dann noch die Anpisse eines Jobbesizters der mal eben was gegen den Mob sagt. Marx spricht von der Assoziation der Freien und Gleichen, ein entscheidender Unterschied. Von Entfrendung spricht Marx in jungen Jahren in denen er sich stark Hegel orientiert - später im "Kapital" verwendet er den Begriff des Fetischismus. Ein sehr viel tragfähriges Modell. Und leider zu wenig gewürdigt. - Aber offensichtlich hast du die gesellschaftlichen Verhältnisse schon so schön inkorporiert, dass dein Hass auf die Monatgsdemonstrationen deinen Blick auf den Kapitalismus vernebelt. |
Bodo: Zu Hartz 4 gibt es einen interessanten Text von Michael Heinrich |
Sascha B.: Vielleicht warten wir dann doch nicht die Ankunft des Messias ab und halten einstweilen das Geschwurbel von der Assoziation der Freien und Gleichen realistischerweise für romantische Lyrik - mithin für ein bisschen reaktionär (weil sie Vertröstungen bietet und also Veränderung verhindert)? Vielleicht können wir ein ideologisch gestiftetes Menschenbild überhaupt mal aussen vor lassen (und zwar inklusive des kapitalististischen "homo homini lupus") und stattdessen herauszufinden versuchen, wie Widerstand gegen Hartz IV aussehen könnte? |
Lore Logorrhöe: sascha, warum bist ausgerechnet du jetzt so theoriefeindlich? und kannst du mir mal erklären, warum politische utopien reaktionär sind? erklär doch mal, was du konkret unter romantik verstehst und was daran so schlimm sei soll. sind nicht auch die hartz-4-proteste ein bisschen romantisch inspiriert? |
Sascha B.: Lore, ich bin nicht theoriefeindlich, sondern utopiekritisch - und das ist ein Unterschied. Auch sind politische Utopien nicht durchweg reaktionär (das habe ich auch nicht behauptet), sondern nur solche, die eine "Heilserwartung", ein "Ziel der Geschichte" propagieren (also: teleologische Utopien), für das sie über Leichen gehen müssen und wofür eine autoritäre "Zwischenstufe" (bei der es dann notwendigerweise bleibt) mindestens in Kauf genommen wird. |
Sascha B.: Natürlich sind die bisherigen Hartz-IV-Proteste "auch ein bisschen romantisch inspiriert" - und darin zeigt sich eben, dass sie zum Teil rückwärts gewandt sind. Anstatt alternative Konzepte zu vertreten (die ich durchaus nicht "Utopien" nennen würde), wie z.B. "Existenzgeld für alle" statt "Arbeit für alle", greint man über den Abbau des ohnehin verlogenen Komplexes der "Sozialen Marktwirtschaft". Ich denke, es geht jetzt um eine neue Art von Verteilungskampf gesellschaftlichen Reichtums, nicht um den gewerkschaftlichen der Erwerbsgesellschaft. |
Franz B: "Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszene aufzuführen." |
Franz B: "So maskierte sich Luther als Apostel Paulus, die Revolution von 1789-1814 drapierte sich abwechselnd als römische Republik und als römisches Kaisertum, und die Revolution von 1848 wußte nichts besseres zu tun, als hier 1789, dort die revolutionäre Überlieferung von 1793-1795 zu parodieren. So übersetz der Anfänger, der eine neue Sprache erlernt hat, sie immer zurück in seine Muttersprache, aber den Geist der neuen Sprache hat er sich nur angeeignet, und frei in ihr zu produzieren vermag er nur, sobald er sich ohne Rückerinnerung in ihr bewegt und die ihm angestammte Sprache in ihr vergißt" Karl Marx |
hicks: "Und also taten und tun es auch die Marxisten." Onan Onair | |