Hobbys. Eine Verwirrung.
Von Sascha Berlinskij.


Neulich in der etuxx-Redaktion: Etwas unbedacht äusserte ich gegenüber einem meiner Mitredakteure (in welchem Zusammenhang, soll hier keine Rolle spielen), etuxx sei schliesslich sein Hobby (und nicht sein Beruf). Vehementer Widerspruch (nicht nur von seiner Seite): Nein, ein Hobby sei etuxx keinesfalls, etuxx zu machen sei mehr als eine blosse Liebhaberei. Die Gleichung: Arbeit ist, wofür du Geld bekommst, Hobby, wofür du welches ausgibst, schien doch ein wenig zu simpel. Vielleicht ist es mit etuxx ja so ähnlich wie bei der Freiwilligen Feuerwehr: auch jemand, der ehrenamtlich Brände löscht, wäre wohl beleidigt, wenn man diese Tätigkeit als sein Hobby bezeichnete.

Ein Profifussballer gab einmal in einem Kurzinterview des "Kicker" Lesen als sein Hobby an, was mir einigermassen unsinnig vorkam, etwa so, als hätte er Reden als sein Hobby bezeichnet. Nun mag allerdings für einen Fussballer Lesen tatsächlich das sein, was Fussball für mich ist, ein, naja: Hobby eben, eine Liebhaberei, wie es mein Redaktionskollege nannte. Eigentlich hasse ich dieses Wort Hobby. Es ist eklig, weil es auf eine scharfe Trennung des Lebens in die beiden Bereiche Arbeit und Freizeit verweist, womit impliziert sei: wichtig und wenig wichtig, ernsthaft und wenig ernsthaft. Diese Trennung empfinde ich als reaktionär, entfremdend, kapitalistisch. Sie hintergehen zu wollen, mag ein wenig romantisch sein: der Traum von der Einheit des Lebens. Darunter machen wir's nicht. Oder doch?

Als ich der Arzthelferin einer Diabetologie-Praxis, die mir (zum Ausweis ihres Einfühlungsvermögens?) erklärte, selbst Diabetikerin zu sein, flapsig zur Antwort gab: das sei ja prima, da habe sie ja ihr Hobby zum Beruf gemacht, war das aber auch wieder nicht recht. Wir sehen also: Hobby ist kein Schicksal, es beruht ganz und gar auf Freiwilligkeit. So ganz zufällig kann es allerdings nicht sein, was man da so tut, ohne es zu müssen; ein bisschen frühkindlich geprägt, ein bisschen ansozialisiert sind sie, die Liebhabereien. Im Internet gibt es eine Seite, die sich "hobby-barfuss" nennt. Wer sind die denn, dachte ich mir: verklemmte Hippies oder verspiesserte Fetischisten? Ein bisschen von beidem wohl; vordergründig geht es um "Natürlichkeit". Kann die ein Hobby sein?

Hobby klingt mir einfach zu sehr nach: Verein. (Jaja, ich weiss: etuxx ist ebenfalls ein Verein. Wir leiden auch ein bisschen darunter. Aber nur ein bisschen.). Ein ziemlich vereinsfreies Hobby, das mir vordem gänzlich unbekannt war, zumindest als Hobby, ist: Einkaufen. Ich lernte es als Hobby kennen, als ich in einer Diskothek arbeitete, die "Single-Parties" veranstaltete. Von einem schmierigen Moderator auf der Bühne befragt, gaben die meisten weiblichen Liebeshungrigen tatsächlich Einkaufen als ihr Lieblingshobby (also sozusagen, ihr "Hobbyhobby") an (die männlichen übrigens natürlich: Autos). Das ist Kapitalismus in Perfektion: bei der Arbeit wie in der Freizeit die Wirtschaft ankurbeln. Hobbys sind Hamsterräder! Begeistert laufen - und doch nicht von der Stelle kommen. Und was also ist etuxx?

Lauflauf



cleverer Hamster: Ein Hobby ist ein Hobby ist ein Hobby. etuxx ist etuxx ist etuxx.  
gertrude stein: hamsterchen, da hast du etwas missverstanden. ich schrieb einst nur: a rose is a rose is a rose. das war absolut undialektisch. jetzt aber zum gegensatz: hobbys resultieren aus (klein)bürgerlicher langeweile (= sonst nix mit sich anzufangen wissen). etuxx-redakteure langweilen sich aber hoffentlich nie, auch nicht ohne etuxx. etuxx ist daher ein grossbürgerliches projekt. *grins*  
Sascha B.: Das war jetzt aber eher ein Griff in's Klo als ein Griff in die dialektische Zauberkiste, Ms. Stein! Was soll denn "grossbürgerlich" in diesem Zusammenhang bedeuten? Es gibt auch grossbürgerliche Briefmarkensammler. Bei denen ist vielleicht der kulturhistorische und ästhetische Hintergrund ausgeprägter, aber naja... Der Duden definiert "Hobby" als: "Ausgleich zur täglichen Arbeit...". etuxx-Redakteure definieren etuxx jedoch als "tägliche Arbeit ohne Ausgleich".  
heinrich: sammeln ist also hobby? vielleicht ist sammeln ja innerste berufung? erfüllung? oder auch nur schlichte sucht? vielleicht gar perverse sublimative suche nach reiner (überwiegend materiell induzierter) ekstase? was ist mit sammlern von sex-dates? materiell oder immateriell? im wahrig fremdwörterlexikon wird hobby tatsächlich mit liebhaberei oder auch steckenpferd beschrieben - beides ist jedenfalls nicht zwangsläufig kapitalistisch. nicht alles sammeln führt zur kollaboration mit dem kapitalistischen schweinesystem: oder sind z.b. hühnergötter nur perfide kryptokapitalistische anfixer??  
Bobby: Ich hab kein Hobby. Nur Probleme.  
Hamster.Holz.Hammer.Psychologe: Am Wort Hobby stoßen sich nur romantische Weltverbesserungsspinner. Sie hängen, wie im Text schon angedeutet, einer Vision nach, in der (Lohn)arbeit und unbezahlter Zeitvertreib, welche meist auch noch weiterer Kosten verursacht, irgendwie zusammengewuselt sein sollten. Wahlweise dürften sie wohl derart argumentiere, dass sie Arbeit "Scheiße finden" oder dass Arbeit "Spaß machen" soll. Ein Hobby hätten sie nicht, sie lehnen es ab, eins zu haben. Sie stoßen sich einzig und allein an dem Wort - und haben mindestens 5. Es sind Menschen, denen auch das Wort "stolz" nicht über die Lippen kommt. ...  
loopskywalker@bobby: fang an strikt zu trennen: lebenserhaltende massnahmen (arbeit) und lebensverschönernde massnahmen (hobbys). richtig gut wird es dir gehen, wenn du genau weisst, wie du leben möchtest und soviel lebenserhaltende massnahmen wie nötig *erarbeiten* kannst. noch besser: wenn du das mass zwischen arbeit und hobby selbst bestimmen kannst.  
loopskywalker@heinrich: *hühnergötter nur perfide kryptokapitalistische anfixer??* - geil!  
Sascha B.: An den (in der Tat!) Holzhammer- (und nicht einmal:) Psychologen: Menschen, denen das Wort "Stolz" (gross oder klein geschrieben) nicht über die Lippen kommt, sind auf jeden Fall schon mal auf der "besseren Seite". Und sei es nur, weil sie Deine Dummheit nicht teilen. +++ An Heinrich: Der kapitalistischen Etablierung von Hobbys entgehst Du nicht. Sie dienen jedenfalls der Reproduktion (von Arbeitskraft). Hobbys sind nicht "unschuldig", sondern längst schon "systemverseucht". Sorry für den Ausdruck...  
gertrude stein @ bobby: ich möchte dich ja nicht beleidigen, aber versuche bitte zu vermeiden, aus deinen problemen deine hobbys zu machen. sublimierung (vertrackt genug) geht anders. zwischen "ich hab kein hobby, nur probleme" und "ich hab ganz vlele hobbys" gibt es kaum unterschiede.  
heinrich @ sascha b.: hobbies sind also schuldig und systemverseucht, soso... sehr witzig übrigens auch - was eigentlich ist innerhalb des systems nicht schuldig bzw. verseucht? irgendjemand da draußen, der nicht im/vom system lebt, und sei es durch die reproduktion von abwehrmechanik?! aaalso nochmal ganz langsam: hobbies sind schuldig und ähbäh, arbeit (weil systemerhaltend und reproduktionsbeteiligt) irgendwie ja auch und nur etuxx und seine redakteure schweben über den wassern, weil weder das eine noch das andere? oder wie?!  
Sascha B.: Heinrich, es ist ein bisschen komplizierter. Begriffe sind sind niemals "unschuldig", sondern transportieren (mehr oder minder diffuse) Konzepte. Der Begriff "Hobby" steht, wie mehrfach beschrieben, in ergänzender Opposition zur Lohnarbeit, er ist einseitig und restriktiv. Daher das Unbehagen, ihn auf mit Lust und Engagement betriebene Aktivitäten, die sich u.a. der Kritik der Arbeitsethik verschrieben haben, anzuwenden.  
Grinsekatze: Aha, Hobbys sind schlimm, weil sie meine Arbeitskraft erhalten? Harte Drogen wären also gut, weil sie meine Arbeitskraft vernichten, oder wie? Man reiche mir sofort eine Spritze, ich will das Schweinesystem schädigen! Es gibt irgendwie einen Typ der sogenannten "Linken", die an allem Scheiß etwas zum kritteln finden. Das Leben als totaler Idiologie-Overkill. Sicher macht sich das schick und wirkt auch richtig oberschlau. Es ist aber eigentlich kontraproduktiv, weil durch ewiges Genörgele und hundertfaches "wieso, weshalb, warum" jede Veränderung zum Besseren im Keime erstickt wird. Mensch merke: Ewiges herumnörgeln und debattieren fördert das System!  
tim.randale: noch schlimmer, sie haben an nichts Spaß - zumindest glaube ich das von denen.  
Sascha B.: Genau: die Deutschen sind so verbiestert, und deshalb funktioniert das nicht mit dem wirtschaftlichen Aufschwung. Helfe uns doch bitte der reaktionäre "Ruck", der auch die ganzen im Grunde arbeitswilligen Stützeempfänger erfassen möge ... usf. Schon mal daran gedacht, sich von der herrschenden (Billig-)Arbeitspraxis und von der konformen protestantischen Ethik (incl. des Wachstumswahnsinns) zu verabschieden?  
Grinsekatze: Ah, da liegt das Problem! Nicht nur das Hobby, sondern jede Form von Beschäftigung ist ein Übel. Arbeiten, auch freiwilliges zum Vergnügen ist reaktionär und Produkt einer konformen protestantischen Ethik. Richtig progressiv ist dann also sinnloses Rumhängen. Eine Frage: Wenn Arbeiten und Wachstum reaktionär und protestantisch sind, sind Faulheit und Rückschritt dann revolutionär und katholisch?  
Sascha B. @ faelis: Das Zusammen- und Auseinanderdenken üben wir bitte noch ein bisschen... Faulheit könnte in der Tat (im positiven Sinne) revolutionär sein, aber nur sofern sie Ausdruck einer Verweigerung gegenüber der Verwertungslogik ist und nicht gegenüber dem (selbstbestimmten) Leben schlechthin. Aber was bitte ist "Rückschritt"? Das Festhalten am Sozialstaat etwa? Da ist aber der entfesselte Kapitalismus, der zu den Verhältnissen des 19. Jahrhunderts zurück will, rückschrittlicher.  
Mein ganz persönlicher Unterschied: ... zwischen "Polit-Hobby" und Hobby: Zuerst macht ein "Polit-Hobby" Spaß, dann setzt sich langsam das Gefühl der Verantwortlichkeit für das Getane durch und irgendwann macht es nur noch manchmal Spaß, und dann nicht mehr so richtig wie früher, aber man macht es trotzdem weiter, weil man sich verantwortlich fühlt und meint, dass Andere es schlechter machen würden. So gesehen hat das "Polit-Hobby" etwas von einer Droge an sich. Ein Hobby ist unverbindlicher und nicht so stark mit dem Empfinden von Verantwortlichkeit verbunden.  
Grinsekatze: Ja sicher, Sasche. Ganz bestimmt habe ich den entfesselten Turbo-Kapitalismus gemeint und bin auch total für unsere heutigen Manchester-Manager. Unterstell mit hier nicht irgend einen Mist. Das ist übelste Verleumndung und eine ausgesprochen beschissene Art zu diskutieren. Versuchs mal mit echten Argumenten!  
Grinsekatze: Rückschritt ist für mich das Ende des Sozialstaats und der Rückschritt in Zustände wie sie zur Zeit der Industrialisierung herrschten, was eigentlich klar sein sollte. Fortschritt ist eine Veränderung der Gesellschaft zu einer menschlicheren und gerechteren Lebensweise. Und die nötige Kraft auch mit unsachlich diskutierenden Menschen menschlich und gerecht umzugehen finde ich durch meine Hobbys.  
tim.randale@Grinsekatze: Ich habe da mal ein paar Fragen an Dich: Gibt es für Dich eine Grenze zwischen Sozialstaat und sozialer Hängematte, wenn ja wo ist die? Gerechte Lebensweise/ gerecht Umgehen mit unsachlich diskutierenden Menschen - welches Recht wendest Du an? Im Mamen eines selbstdefinierten Rechts maschieren auch "Kinderfickergegner" und Nazis durch meine Stadt.  
Grinsekatze: Die sog. "soziale Hängematte" ist ein alter Kampfbegriff der neoliberalen Propagandisten. Der Sozialstaat ist für mich ein Staat, der den BürgerInnen eine ausreichende und menschenwürdige Versorgung garantiert und Härten der Gesellschaft ausgleicht. Sicher ist das nicht das absolute Ideal einer Gesellschaft, aber ein guter Schritt dahin.  
Grinsekatze: Die Frage was "Recht" und was "gerecht" ist, ist eine der ältesten. "Gerechtigkeit" verlangt aus meiner Sicht die Würde seiner Mitmenschen zu achten. Gerechtigkeit bedeutet für mich, mit jeder/ jedem so umzugehen, wie man es an ihrer/ seiner Stelle ertragen könnte. Du wirfst mir vor, meinen Begriff von "Gerechtigkeit" selbst zu definieren. Ja, das tue ich. Aber sicher nicht einseitig, wie Neonazis oder der "gerechte Volkszorn", mit dem Du mich hier gleichsetzt.  
tim.randale@Grinsekatze: soziale Hängematte ist nicht nur neoliberaler Kampfbegriff, 1/3 meiner Freunde "greifen Kohle ab" (und benennen das auch so) und verdienen sich die Drogen, die Markenklamotten oder die Toys mit Jobs dazu. Bitte, bitte hör auf, die Welt einseitig schönzureden. Irgendwann sind sie so alt, dass sie kein Bock mehr auf diese Jobs haben oder die Jobs gibt es nicht mehr - und dann jammern sie, dass sie kein Geld haben. Hartz 4 finden die auch alle schlimm, demonstrieren gehen die nie. soziale Hängematte! soziale Hängematte! soziale Hängematte!