heißt Schwuchtel
Die lubunya ist eine Zeitschrift für Lesben und Schwule aus der Türkei und ihre Freundinnen und Freunde. Im April feierte das Blatt sein einjähriges Jubiläum. Inhaltlich widmet sich das ca. 40 Seiten starke Heft, dessen wichtigste Artikel sowohl auf Türkisch als auch auf Deutsch erscheinen, ganz unterschiedlichen Schwerpunkt-Themen wie Familie, Homosexualität und Islam, Militärdienst, Migrationspolitik, und auch an einem Thema wie dem Irakkrieg kommen die Macher nicht vorbei. Klatsch und Kultur kommen auch nicht zu kurz.

Begonnen hatte alles als Vereinsblättchen des Vereins GLADT (Gays and Lesbians aus der Türkei). Im Dezember 2001 wurde dem Macher dieses "Vereinsnewsletters" Koray Ali Günay inhaltlich vom Verein reingeredet, weil Texte zu pornografisch seien … . (So ist das mit der Abhängigkeit von den Geldgebern ;-)). Jedenfalls ärgerte sich Koray sehr darüber, dass sein Engagement und Wagemut wieder an irgendwelcher Vereinsmeierei scheitern sollte. So war die Idee zu einem eigenen Blatt geboren.

Ungefähr 3000 LeserInnen hat die monatlich erscheinende lubunya aktuell, 1000 per Druckauflage, und der Rest erhält die Zeitschrift per E-Mail als pdf-Dokument. Am Anfang im April 2002 waren es gerade mal 200 LeserInnen.

Homomagazine gibt es reichlich, doch werden explizit die Belange nicht-mehrheitsdeutscher Schwuler und Lesben nur sehr, sehr am Rande behandelt. Junge Türken werden in manchen Homoetablissements eher als Stricher bzw. Taschendiebe beschimpft. Die Vorurteile in den Familien sind durchschnittlich auch noch wesentlich größer als im hiesigen Kulturkreis. Grund genug für die Redakteure, die lubunya zu machen, und das bis meist bis spät in die Nacht. Wer jemals an einem zeitungsartigen Projekt mitgewirkt hat, weiß vielleicht um die Tücken eines gesetzten Redaktionsschlusses, Macken der Technik, immer noch nicht eingetroffenen letzten Texte, unbeantwortete Aufrufe in die "Gemeinde", doch auch mal einen Beitrag einzusenden und so weiter. Koray weiß davon ein Lied zu singen, von letzten Übersetzungen bis in den Morgengrauen oder allerallerletzten Fehlerkorrekturen, bis die Sonne des nächsten Tages schon wieder da war. Um die lubunya 2002 auf dem strategisch wichtigen Motzstraßenfest in Berlin zu verteilen, wurde die ganze Nacht zuvor kopiert und geheftet. So ist das, wenn man sein Kind liebt.

lubunya versucht einen schwierigen Spagat zwischen Integration und Emanzipation. Eine Abnabelung vom Elternhaus ist beispielsweise für junge TürkInnen weitaus komplizierter als für aus der westeuropäischen Kultur Kommende, und so sind auch die Alltags- und Comming-out-Probleme etwas anderer Natur. lubunya richtet sich definitiv nicht an Akademiker, denn nach Ansicht der Macher ist es auch wichtig, einer breiten LeserInnenschaft kulturspezifische und türkischsprachige Informationen beispielsweise zu HIV und AIDS zu liefern. Übrigens werden gerade solche "Einstiegsdrogen" wie die Horoskope, die nur auf Türkisch erscheinen, von vielen deutschsprachigen LeserInnen immer wieder nachgefragt, wie Koray erzählte.


Robert M. fragte mal bei Herausgegeber Koray Ali Günay nach, wie es denn um die lubunya steht. Wie fühlt man sich als Macher eines immer erfolgreicheren Magazins? Vom Vereinsnewsletter zu einem 3000-LeserInnen-Blatt ist es ja kein Pappenstiel?
   Ach, wie fühlt man sich? Das ist eine sehr zweischneidige Sache. Einerseits freut es mich, dass "unsere" Themen nun verstärkt in die Diskussion kommen - respektive dass wir überhaupt wahrgenommen werden. Aber andererseits haben Nächte und Wochenenden ohne Schlaf immer weniger Charme… Aber alles in allem sind mit lubunya Dinge gelungen, die viele für unmöglich gehalten haben: Einerseits die Vernetzung von Leuten, die immer noch denken, dass sie als einzige lesbisch, schwul, bi- oder transsexuell sind, das ist in der türkischen Kultur leider immer noch nicht so einfach. Aber andererseits auch eine Kommunikation mit Mehrheitsdeutschen, die uns nicht mehr als exotische Anhängsel betrachten, die ganz schrille Partys machen, um die schwierigen Coming-out-Bedingungen zu kompensieren. Es gibt gerade in diesem Bereich noch eine ganze Menge zu machen. So wie das Bild der Mehrheitsdeutschen in unseren Köpfen oft durch Vorurteile bestimmt ist, läuft es anders herum natürlich auch.

So lange wir interessante Herausforderungen für SozialarbeiterInnen waren und schwierige Probleme hatten, waren die Rollen klar verteilt. Nun gibt es unter heterosexuellen und nicht-heterosexuellen MigrantInnen eine immer größer werdende selbstbewusste Gruppe, die Diskussionen auf Augenhöhe fordern. Das ist für alle Beteiligten nicht einfach und wird noch eine Menge explosive Situationen erzeugen. Vor allem wo es um Geld geht. Bisher war es ja so, dass Projekte für MigrantInnen ausschließlich von Mehrheitsdeutschen geleitet wurden. Das wird bald nicht mehr so einfach zu machen sein.
Nicht nur in Kutlug Atamans Film "Lola und Bilidikid" sind Kinder und Kinder der Kinder derjenigen zu sehen, die in den 60er als Einwanderer in die damalige BRD kamen. Junge türkischstämmige Männer und Frauen, die teilweise mit den Traditionen ihrer Eltern gebrochen haben. Lässt sich die "lubunya-LeserInnenschaft" in ihrer Unterschiedlichkeit als "queer" beschreiben?
   DIE queeren Menschen gibt es ja nicht. Für viele ist "queer" die Abkürzung für "lesbisch und schwul", da sind weder bisexuelle noch transgender lebende Menschen dabei. Und das wäre ja das Mindeste. Bei Türkeistämmigen ist es noch einmal schwieriger, weil sie oft versteckt leben. Es gibt sehr große Diskrepanzen in den Lebensstilen je nach Geschlecht und Alter. Zwischen Frauen, die seit Jahrzehnten verheiratet sind und lesbisch empfinden und Transvestiten, die auf Orientpartys gefeiert und auf der Straße zusammengeschlagen werden, gibt es nicht so viele Gemeinsamkeiten. Es existiert zwar eine lange Tradition von Bisexualität in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, aber das heißt nicht, dass es so funktionieren würde wie der Stino in Europa es sich fantasiert. Versteck und Verschwiegenheit sind Bedingungen, die viele irritieren und abstoßen. Aber alles in allem sind wir ganz normale Menschen und haben untereinander die gleichen Schwierigkeiten, die die Mehrheitsgesellschaft auch hat: Zwischen laizistischen TürkInnen und denjenigen, die ihre Religion als Teil des gesellschaftlichen Lebens sehen. Oder aber die Spannungen zwischen ethnischen Gruppen, die sich untereinander - meiner Meinung nach künstlich - auf Distanz halten; der Konflikt türkisch-kurdisch ist nur einer von vielen. Eine monatliche Zeitschrift für alle machen zu müssen, weil es keine andere gibt, ist nicht so einfach.
Westliche Homoemanzipationsbewegungen mit all ihren eher schrecklichen "pride"- und "outing"- Auswüchsen hat aber auch eine Reihe von Problemen, wie zum Beispiel Akzeptanz in der Gesellschaft, teilweise gelöst. Gibt es innerhalb der Community bewusste Bestrebungen, mit eben jenem Verstecken und Verschweigen zu brechen?
   Das ist in balkanischen, türkisch-kurdischen und arabischen Gesellschaften etwas schwieriger: Einerseits gibt es eine Anerkennung von nicht-heterosexuellen Menschen, aber da spielen auch viele andere Dinge mit rein. Wenn du Künstler, Sänger bist oder Autorin, musst du "natürlich" nicht heterosexuell sein. Alle Menschen, die "außerhalb" des "normalen" gesellschaftlichen Lebens stehen, genießen Freiheiten, die ein Fleischer oder die Kassiererin im Supermarkt nicht hat. Wie tabu abweichende sexuelle Orientierungen sind, hängt auch von der Gesellschaftsschicht ab, über die man spricht. Ich finde prinzipiell aber nicht, dass die westeuropäischen Gesellschaften bereits dadurch emanzipierter sind, weil hier Normschwule und Normlesben "heiraten" dürfen. Die Akzeptanz, von der du sprichst, gilt sicher nicht für Bisexuelle oder Transen oder für die AnhängerInnen bestimmter Fetische. Ich glaube, es hat sich auch in Westeuropa wenig verändert, der Gradmesser für "Akzeptanz" sind jedenfalls sicher nicht weiße homosexuelle Männer, die Kinder adoptieren wollen. Das was es im Moment gibt, ist vielleicht allenfalls Toleranz?
Die Berliner Szene ist sehr diversifiziert, doch gibt es Lippenbekenntnisse und Gemeinsamkeits-Bekundungen an allen Orten. Wer hilft wirklich, wenn es beispielsweise um Geld bzw. technische Möglichkeiten für die Produktion der lubunya geht?
   In der Frage von Kooperation sind wir immer auf sehr positive Resonanz gestoßen. Ohne die Mithilfe von vielen Personen, Vereinen und Orten wäre es gar nicht möglich gewesen, in so kurzer Zeit so viel Weg zurückzulegen. Erstaunlicherweise sind auch Vereine und Gruppen, die sich zu Fragen sexueller Orientierung und Ausgrenzung nie geäußert haben, sehr aufgeschlossen gewesen und haben beim Verteilen geholfen oder selbst Sachen geschrieben.
Träumst Du von Größerem, z.B. von sechs Seiten lubunya in jeder Siegessäule?
   Ich weiß nicht, wie sinnvoll das wäre. Zweisprachigkeit, redaktionelle Unabhängigkeit und Durchwurschteln sind ganz schön, doch sobald du in etwas Größeres eingebunden bist, verliert das ganze Projekt auf der Seite von mir als "Macher" immens an Charme… Aber das ist sicher etwas, das sich ohnehin einstellen wird. Ich bin mal gespannt, wer sich jetzt meldet…
Was denkst Du zum Thema "positiver Rassismus"? Stichwort Kontaktanzeigen: "… gerne auch Türken, Araber" - ein "positiver" Rassismus, der impliziert, dass die bei Nichterwähnung ausgeschlossen wären.
   Positiver Rassismus ist so eine Sache. Viele denken, dass er genauso schlimm sei wie der negative Rassismus, aber wenn du schon ein paar Mal selber auf die Fresse bekommen hast, wenn ich das mal so salopp sagen darf, oder Leute kennst, denen das passiert ist, lernst du entspannter mit Menschen umgehen, die dich als Fetischobjekt sehen. Das macht zwar keinen Spaß, aber wenn du in den entsprechenden Situationen die Zähne auseinander bekommst, schweigen diese Leute fürderhin, und dieses Selbstbewusstsein muss man von allen erwarten können, finde ich.
  

dumme Frage: GLADT (Gays and Lesbians aus der Türkei) - Wieviel Leute kommen den wirklich aus der Türkei und wieviel sind die Kinder oder Kindeskinder derjenigen, die aus der T. kamen? Ist der Name nicht etwas falsch gewählt?  
noch ne dumme Frage: Mit welcher Gewichtung spielen die Bezugssysteme Türkei, Islam, Homoidentität für die in Deutschland lebenden Lesben und Schwulen ("aus der Türtkei") eine Rolle? Gerade Schwule passen sich doch dem Sexleben vor Ort meist hervorragend an. (meine Urlaubserfahrungen in Isreal und Jordanien)  
Koray: Huhu... Der Namenszusatz "aus der Türkei" ist natürlich irritierend, genauso wie "Gays & Lesbians". Die Gruppe besteht aus etwa 60-70 Leuten, die alle möglichen sexuellen Identitäten reklamieren, einige sogar die "heterosexuelle". "Aus der Türkei" heißt die Gruppe, weil das adjektiv "türkisch" für viele die anderen (über 40) Ethnien nicht berücksichtigt, die in der Türkei leben oder aus diesem Land stammen. In welcher Gewichtung die Paradigmen der Gesellschaft in der Türkei die Migrantinnen und Migrantenin Deutschland beeinflussen ist nicht soo einfach zu sagen.  
Nochmal Koray: Einerseits ist die Gesellschaft der Türkei -- aus verschiedenen Gründen -- sehr viel komplexer als die Gesellschaft in westeuropäischen Ländern, andererseits ist nicht davon auszugehen, dass in nur 40 Jahren eine (ganz neutral gemeint) Assimilation passiert wäre. Vieles hat sich erhalten, meiner Meinung nach: zum Glück, vieles wird aber rückblickend auch romantisiert. Entwicklungen in der Türkei werden nicht mitgemacht, weil alle Erinnerungen, auf die sich stützen ließe, Jahre und Jahrzehnte zurückliegen.  
Und ein letztes Mal: Die Vorstellung, weil mann Darkrooms, Saunen, Parks oder Sexkinos frequentiert wie andere hier Lebende auch, sei mann eigentlich "gleich", ist allerdings auf jeden Fall zu kurz; jeder, der einmal eine binationale Partnerschaft hatte, wird lange Geschichten erzählen können, wie klein und banal oder groß und grenzenlos die UNTERSCHIEDE sind, die einem den Alltag erschweren können. (Was aber kein Plädoyer für mononationale Partnerschaften sein soll...)  
Sven: mir ging soeben eine Pressemitteilung des LSVD zu: „Schluss mit Diskriminierung und Gewalt - Migranten müssen sich dem Thema Homosexualität stellen“ Der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg e.V. (LSVD) hat die Migrantenverbände in Berlin aufgefordert, sich dem Thema Homosexualität zu stellen. In diesem Zusammenhang begrüßte LSVD-Sprecher Alexander Zinn die Einrichtung eines Antidiskriminierungs-Netzwerkes durch den Türkischen Bund Berlin-Brandenburg (TBB). Zinn forderte den TBB auf, sich dabei insbesondere auch mit der Diskriminierung von Schwulen und Lesben auseinander zu setzen.  
(2): Das Verhältnis vieler Einwanderer zu Schwulen und Lesben ist laut Zinn aufgrund unzureichender Integration problematisch. Diskriminierung und Pöbeleien seien Alltagserfahrungen von Lesben und Schwulen in Berlin. Nicht selten gingen solche Aggressionen von Einwanderern aus. "Viele Migranten lehnen Homosexualität ab, einige schrecken auch vor Gewalt nicht zurück", so Zinn. Jüngstes Beispiel ist ein Vorfall beim Christopher Street Day 2003, wo der Wagen des Vereins "Gays and Lesbians aus der Türkei (GLADT)" angegriffen wurde. Aus einem Fenster im dritten Stock des Hauses Potsdamer Straße 117 wurde mit Obst und Eiern geworfen. Eine Teilnehmerin wurde durch einen Apfel am Kopf verletzt.  
(3): Bei den Tätern handelte es sich, wie inzwischen bekannt wurde, um Personen mit Migrationshintergrund. Sie fühlten sich durch das selbstbewusste Auftreten homosexueller Migranten auf dem CSD offensichtlich besonders herausgefordert zu ihrer Tat. Laut Zinn gibt es verschiedene Ursachen für antihomosexuelle Haltungen bei Migranten: "Religiöse Motive spielen ebenso eine Rolle wie die ländliche Herkunft und die patriarchalischen Familienstrukturen bei vielen Einwanderern." All das dürfe nicht länger tabuisiert werden. Vielmehr sei es an der Zeit, dass sich die Migrantenorganisationen dem Thema stellen.  
(4): Dem Türkischen Bund Berlin-Brandenburg bietet Zinn eine enge Kooperation mit dem LSVD-Migrationsprojekt "Miles" an. Das Projekt Miles besteht seit 1998. Ziel ist es, die Integration homosexueller Migranten zu fördern und bei den verschiedenen Einwanderergruppen Akzeptanz gegenüber Schwulen und Lesben einzufordern.  
Questioning: Wird Schwachsinn weniger schwachsinnig, weil ein Schwuler ihn äußert? "Nicht selten" gingen Pöbeleien von Migranten aus? Ich arbeite seit langer Zeit in der Gewaltprävention und habe noch keine einzige Datensammlung zu antischwuler Gewalt gesehen. Wie Herr Zinn zu dieser Aussage kommt, würde ich gerne erfahren...  
Questioning 2: "Religiöse Motive spielen ebenso eine Rolle wie die ländliche Herkunft und die patriarchalischen Familienstrukturen bei vielen Einwanderern." - Prima. Alle Türken sind klein und schwarzhaarig und alle deutschen leben total religionsfern und haben total antipatriarchale Familienstrukturen. Auf dem Land in Deutschland ist das Paradies für Homos... Tolle Theorie, echt.  
Questioning 3: Ich denke, dass schwulenfeindliche Gewalt prinzipiell etwas ist, das bei SOZIAL NIEDRIG GESTELLTEN vorkommt. In diesen Menschen zuerst einmal den Migrationshintergrund zu sehen, halte ich für eine rassistisch verkürzte Theorie. Oder gibt es in migrantenfreien Gegenden (Nordost-Deutschland z.B.) keine homophobe Gewalt?