No more war? Anmerkungen zum Irak-Krieg
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Dass es beim Irak-Krieg um die Alternative von Krieg und Frieden geht - dieses Phantasma konstruieren Deutsche und andere Friedensbewegte. Tatsächlich jedoch befindet sich der Irak seit über 20 Jahren im Kriegszustand: Krieg gegen Iran, giftgasgestützte Attacken gegen die kurdische Bevölkerung, Überfall auf Kuwait, Scud-Raketen auf Israel, Massaker an SchiitInnen, Aushungerung unliebsamer Bevölkerungsteile.
Wenn eine von den USA angeführte Koalition den Irak angreift, trifft Krieg auf fortgesetzten Kriegszustand. Das pazifistische Lamento über Menschen, die dabei sterben werden, und die antiimperialistische Suche nach Ölkonzernen, die das Weiße Haus angebohrt haben, sind keine einfachen Fehltritte. Sie gehören einem friedensbewegten Gesamtzusammenhang an, in dem 'Krieg' und 'Frieden' als Chiffren für 'Amerika' und 'Deutschland' verwendet werden und solchermaßen als Vehikel deutscher Hegemonialpolitik funktionieren. Linke werden sich angesichts dieser Konstellation auf Kapitalismuskritik besinnen müssen, die gegenüber dem friedensbewegten Ressentiment sowohl für die Belange der irakischen Bevölkerung als auch Israels eintritt.
Letzteres impliziert Solidarität mit Israel - als negative Solidarität, die sich gegen alle antisemitischen Angriffe auf den jüdischen Staat und seine BürgerInnen richtet, und konsequenterweise israelische Regierungspolitiken insofern umfasst, als diese die Verteidigungsnotwendigkeit des Schutzraums vor Antisemitismus exekutieren.
Für eine solche kapitalismuskritische Position zum Krieg ist die Entwicklung politischer Kriterien notwendig, anhand derer die spezifische Kriegssituation und die daran direkt und indirekt beteiligten Akteure beurteilt werden können. Während Antimilitarismus sich richtigerweise gegen Kriegsführung zu Herrschaftszwecken wendet und den grundsätzlichen Konflikt zwischen Mitteln des Militärischen einerseits und gesellschaftlicher Emanzipation andererseits aufzeigt, ist das Halluzinieren von Krieg als dem Schrecklichsten auf Erden eine Eigenart vor allem des deutschen Sozialcharakters. Dieser ergeht sich in Bombennächten und verdrängt, was sie notwendig machte: die eigenen Vernichtungstaten.
Antimilitarismus wird zum Erfüllungsgehilfen dieser Phantasterei, wenn unreflektiert bleibt, dass Katastrophe und Barbarei in bestimmten Situationen nur durch militärische Anstrengungen aufzuhalten sind. Nicht erst die singuläre deutsche Tat ist Beleg dafür, dass Kriege notwendig sein können. Auch der Einmarsch des nominalsozialistischen Vietnam in Kambodscha war unabdingbar, um den mörderisch-vermittlungsfeindlichen Feldzug zu beenden, den die Roten Khmer gegen BrillenträgerInnen und alle zivilisatorischen Errungenschaften geführt haben.
Das kann nicht heißen, dass Saddam Hussein ein Wiedergänger Hitlers oder Pol Pots wäre: Das Bedürfnis nach Analogisierung führt ins Leere, denn bekanntlich wiederholt sich Geschichte nicht. Aus ihr kann jedoch gelernt werden, dass Kriege in ihrem jeweiligen Kontext nicht allein nach Zwecken und Mitteln, sondern auch nach den zu erwartenden oder gerade nicht zu erwartenden Resultaten beurteilt werden müssen. Zweifelsohne waren die Motive der Alliierten bei ihrem Kampf gegen Deutschland bzw. Vietnams bei seinem Einmarsch in Kambodscha nicht gerade uneigennützig. Und doch waren diese Kriege notwendig, um wenigstens die Möglichkeit von Emanzipation offen zu halten.
Bad guys und Ministrantentum
Solcherart positive Resultate von den ihnen zugrunde liegenden Zwecken zu unterscheiden, ist der Friedensbewegung schlichtweg eine Denkunmöglichkeit. Angesichts des Irak-Krieges stellt der Antiamerikanismus mit seinem vereinfachten Weltbild mal wieder das einigende Band für Linke, pazifistische BürgerInnen und Nazis dar: auf der einen Seite die USA, die unter Verwendung der grausamsten Mittel ans Öl herankommen wollen; auf der anderen Seite der Militarismus des baathisti-schen Irak, der verharmlost oder verschwiegen wird, weil Saddam als subjektiver und objektiver Antiimperialist für die Sache der 'Unterdrückten' einzustehen scheint. Deutschland und Europa kommen in dieser pathologischen Topologie nur insofern vor, als sie von den USA vermeintlich zum Ziel der Weltherrschaft eingespannt werden.
Eine bestimmte Art und Weise, den USA Zwecke zuzuschreiben, ist dabei besonders in Deutschland verbreitet: interessengeleitete Außenpolitik gilt als spezifische Eigenschaft des Gegners. Deutschland und seine europäischen Verbündeten sollen dagegen die Welt mit ihren höheren Werten beglücken. Schließlich leben die FriedensfreundInnen nicht im Kapitalismus, sondern je nach Gusto im Imperialismus oder Neoliberalismus. Dort gibt es keine systemischen Verwertungszwänge des Weltmarktes, denen - bei höchst ungleichen Voraussetzungen und Folgen - alle unterworfen sind, sondern nur raffgierige Konzerne, die sich in den USA auch noch ihre eigene Regierung halten. Globale Herrschaftsverhältnisse, innerhalb derer der Weltmarkt politisch reguliert wird, werden deshalb zu 'Netzwerken' von schlechten und guten Subjekten erklärt. Und dass die USA ihre Stellung als Hegemon verteidigen, erscheint nicht als Einsatz in der Konkurrenz zwischen Nationalstaaten, sondern als Konsequenz eines bösen Willens, ebenso wie die Tatsache, dass die USA für den globalen Kapitalismus politische Stabilität, Weltgeld und Rohstoffzufuhr zu garantieren versuchen.
Nun ist es unbestreitbar, dass die jeweiligen US-amerikanischen Regierungen einen nicht auf systemische Zwänge reduzierbaren Herrschaftsanspruch entfalten. Das liegt aber nicht an einem 'amerikanischen Prinzip', sondern in der Grundstruktur nationalstaatlicher Souveränität, die von ihnen - mit Ausnahme derjenigen der USA und Israels - vergöttert wird. Der Unterschied besteht darin, dass die USA wegen ihrer militärischen Stärke weltweit das können, wozu die europäischen Nationalstaaten derzeit erst im begrenzten Rahmen des Kosovos, Mazedoniens und Afghanistans in der Lage sind.
So ist die von den FriedensfreundInnen vertretene Behauptung abwegig, die USA würden sich in einen Krieg stürzen, nur weil die Ölfirma, bei der Dick Cheney den chief executive officer abgegeben hat, im Irak Förderlizenzen bekommen will. Vielmehr geht es den USA darum, den Irak politisch unter Kontrolle zu bringen. Denn einerseits fällt der Irak unter die Maßstäbe der neuen US-Sicherheitsdoktrin von 'präventiver Selbstverteidigung', nach der Regime anzugreifen sind, deren militärisches Potential sich entweder direkt oder in Form möglicher Proliferation von Massenvernichtungswaffen gegen die USA richtet. Der im 'Kampf gegen den Terror' situierte Krieg fungiert dabei auch als politische Drohkulisse gegenüber den Staaten der gesamten Region. Insbesondere soll mit einem 'neuen Irak' ein strategisches Gegengewicht zu Saudi-Arabien errichtet werden, das sich dem US-amerikanischen Einfluss zunehmend entzieht. Andrerseits hängt die überragende strategische Bedeutung des Iraks natürlich mit dem Öl zusammen: freilich nicht im Sinn einzelkapitalistischer Bereicherung, sondern unter Ordnungs-Vorgaben. Politische Kontrolle soll verhindern, dass durch ein mögliches Ölpreisdiktat der Rentierstaaten am Golf die kapitalistische Akkumulationsmaschine zusätzliche Stockungen zeitigt.
Wenn die linken Teile der Friedensbewegung den Irakkrieg auch noch in Kontinuität zum Vietnamkrieg stellen, wird damit nur die Suggestion aufrechterhalten, Widerständigkeit gegenüber den USA sei bereits Emanzipation. Der Vietcong stand im Rahmen seiner eingeschränkten Möglichkeiten in der Tat für Emanzipation, für die Hoffnung auf ein antiherrschaftliches Aufbegehren der Verdammten dieser Erde. Deshalb verdiente sein Kampf gegen die USA linke Solidarität. Beim baathistischen Irak hingegen verhält es sich grundsätzlich anders; er ist barbarisch, wenn auch nicht im Sinne einer Dialektik der Aufklärung: kein Umkippen oder Umschlagen, sondern die USA, Frankreich und die Sowjetunion als Mächte herrschaftlicher Aufklärung haben im Verbund mit Deutschland und seiner Giftgas-Connection Saddam Husseins Terrorregime direkt hochgepäppelt.
Überhaupt ist die Annahme, der US-amerikanische Krieg gegen Irak würde sich gegen emanzipatorische Bewegungen weltweit richten oder diese effektiv schwächen, bestenfalls unsinnig. Sie zwängt linke Politik von vornherein ins Korsett der Staatsform und unterstellt darüber hinaus Gemeinsamkeiten zum Baathismus. Völlig unabhängig vom Irak werden die USA in ihrer Rolle als kapitalistischer Hegemon fortfahren, auch die wenigen linken emanzipatorischen Projekte militärisch zu bekämpfen. Die Geschichte Lateinamerikas und der counter insurgency kann dafür als Lehrstück gelten.
Linker Kriegs-Idealismus
Seit der Bombardierung Afghanistans finden sich innerhalb der Rest-Linken neue KriegsbefürworterInnen. Nicht, dass es keine guten Gründe geben könnte, Kriege zu befürworten, sondern der Art ihrer Rechtfertigung muss widersprochen werden. In idealistischer Manier wird davon ausgegangen, dass sich materielle Segnungen kapitalistischer Moderne und 'bürgerliche Verkehrsformen' herbeibomben ließen und herbeigebombt werden müssten, weil sie in einer stufenhaften Abfolge von Geschichte conditio sine qua non für Befreiung seien.
Außer Frage steht, dass kapitalistischer Normalzustand der von ihm produzierten Barbarei vorzuziehen ist. Ebenso die Notwendigkeit, solche Barbarei zu stoppen, um überhaupt an der Möglichkeit von Emanzipation festhalten zu können. Der Marshall-Plan, den die Kriegs-IdealistInnen bisweilen aus der Tasche ziehen, konnte jedoch allein in den hochindustrialisierten Ländern Westeuropas funktionieren: unter spezifischen, mittlerweile verflossenen fordistischen Voraussetzungen. In Afghanistan muss auch die Herausbildung 'bürgerlicher Verkehrsformen' - bei Fehlen einer entsprechenden materiellen Grundlage - dauerhaft prekär bleiben. Wenn es sehr gut läuft, wird, nachdem die USA ihre Jagd auf Al-Kaida und damit ihre Zusammenarbeit mit selbstherrlichen Clanfürsten irgendwann beendet haben, unter ziemlich elenden sozioökonomischen Umständen vielleicht eine politische Mixtur aus 'demokratischen' und tribalistischen Strukturen entstehen. Gegenüber dem islamistischen Terror der Taliban allemal ein Fortschritt, der jedoch wenig mit materiellen Segnungen des Kapitalismus oder 'bürgerlichen Verkehrformen' zu tun hat.
Überhaupt scheint den linken Kriegs-IdealistInnen nicht klar zu sein, worauf sie mit 'bürgerlichen Verkehrsformen' referieren. Wenn sie damit für kapitalistische Ökonomie elementare Rechtsstrukturen wie Vertragsfreiheit und daraus entspringende Gleichheitsvorstellungen meinen, wird ihre Rede unsinnig. Denn auf dieser Grundlage sind verschiedenste Staatsformen und Vergesellschaftungsmodi möglich: weder hat der Nationalsozialismus diese Rechtsstrukturen - jüdisches Eigentum ausgenommen - angetastet, noch sind sie in der Golfregion abwesend. Werden dagegen unter ‚bürgerlichen Verkehrsformen' rechtsstaatliche Standards und zivilisatorische Normen verstanden, dann sind diese in der Tat unhintergehbar zu verteidigen, auch wenn ihre rassistischen Ausschlüsse zu kritisieren bleiben. ‚Bürgerliche Verkehrsformen' in diesem Sinn lassen sich jedoch nicht einfach exportieren.
Irak, Israel und Region
Eines ist klar, wenn auch sonst vieles unklar bleibt: das baathistische Regime im Irak muss weg. Über zehntausend ermordeter KommunistInnen, hunderttausende Opfer in der irakischen Zivilbevölkerung. Einsatz von Senfgas und anderen Kampfstoffen. Eine diktatorische Regierungsform, die blanken Terror gegen jede potentielle Opposition praktiziert und sich durch systematische Patronage ihre eigene Gefolgschaft erhält. Mit einer Ideologie, deren Widerspruch zwischen Panarabismus und irakischer Nationsbildung nur in Gewalt seine Bewegungsform findet: Saddam als Kurde und Schiit, der im gleichen Atemzug um so schlimmer gegen alles Nichtarabische wütet; ein Regime, das im Medium des Nationalstaates denselben als westlich-kolonial-imperialistisches Produkt denunziert und dabei hinter der Schwächung des 'Arabertums' die Juden bzw. den Zionismus am Werke sieht.
Vor diesem Hintergrund sollte es für Linke, die sich zum Irak-Krieg positionieren, eine Selbstverständlichkeit sein, offensiv den Sturz des Baath-Regimes zu propagieren. Damit ist jedoch erst der Raum eröffnet, innerhalb dessen verschiedene Stellungnahmen möglich sind. Dass der US-Angriff von Zwecken und Mitteln her abzulehnen ist, sollte ebenso unstrittig sein. Denn militärisch durchgesetzte kapitalistische Ordnungspolitik kann für Linke kein legitimes Anliegen sein. Ob Linke trotzdem für den Krieg sein müssen, hängt allein von den zu erwartenden Resultaten für Israel, den Irak und die gesamte Region ab.
Bereits der zweite Golfkrieg hat gezeigt, dass Saddam Hussein nicht zögern wird, Israel zur Raketenzielscheibe des Panarabismus zu machen. Expansive Dynamik des baathistischen Irak und antisemitische Mobilmachung gegen Israel gehen Hand in Hand. Fraglich ist jedoch, ob der durch die erste Intervention von 1991 geschwächte Irak eine der damaligen Situation vergleichbare massive militärische Gefahr darstellt - selbst die israelische Armee hegt daran große Zweifel. Freilich bleibt das Baath-Regime eine latente militärische Bedrohung, vor deren Hintergrund gezielte Schläge gegen irakische Militäreinrichtungen als absolut angemessene Maßnahmen zu beurteilen sind.
Die tatsächliche Bedrohung Israels durch den Irak scheint vielmehr politischer Natur zu sein. Sie kommt vor allem in antisemitischer Agitation zum Ausdruck und materialisiert sich in Unterstützung der Suizidattentate gegen israelische BürgerInnen. Auch wenn andere Länder der Region in ähnlicher Weise agieren, bleibt zu hoffen, dass zumindest die irakische Protektion der palästinensischen Nationalbewegung bei einer erfolgreichen US-Intervention ein Ende haben wird. Unabhängig davon bleibt es in politischer Hinsicht jedoch höchst fraglich, ob ausgerechnet nach einem US-Angriff die völlig marginalisierten nicht-antisemitischen Kräfte Oberwasser in der palästinensischen Gesellschaft bekommen. Antisemitismus ist ein Wahn, der eine jede US-amerikanische Aktion noch als zionistische Verschwörung zu deuten weiß, und die aus ihm entspringenden Suizidattentate sind keine Auftragsmorde. Zudem wird mit dem Sturz der letzten staatlich-offiziellen Bastion des Panarabismus nicht dessen letztes Stündlein geschlagen haben. Vielmehr ist dieser neben dem Islamismus eine quasi-organische Krisenideologie arabischer Gesellschaften.
Islamismus und Panarabismus haben von Anbeginn die Aufteilung der arabischen Welt in verschiedene Nationalstaaten als westliche Aggression bekämpft. Das Scheitern nachholender Entwicklung ist dabei Wasser auf ihre Mühlen. Der Panarabismus verfolgt ein säkulares Projekt der Einigung einer völkisch verstandenen arabischen Nation, das spätestens seit 1967 geschwächt ist, als der nasseristische Versuch, Israel von der Karte zu streichen, im Sechs-Tage-Krieg in eine verheerende militärischen Niederlage mündete. Danach hat der Islamismus, der seit den späten 1920er Jahren im Wider-spruch zur islamischen Tradition und bei höchst selektiver Zitation islamischer Quellen eine scharia-gestützte Gottesherrschaft propagiert, den Panarabismus als hegemoniale Anrufung in den meisten Gesellschaften der Region abgelöst. Sein spezifisch modernes Verständnis des Djihad trifft sich insofern mit dem Panarabismus, als hinter allen Übeln USA und Zionismus gesehen werden. Deshalb ist der baathistisch-säkulare Irak, aller sonstiger ideologischer Gegnerschaft zum Trotz, auch für IslamistInnen Bezugspunkt, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass Bin Laden die irakische Bevölkerung zum Widerstand gegen die amerikanischen 'Kreuzfahrer' aufgerufen hat.
Die Illusion, eine US-Intervention im Irak würde an der militärisch-politischen Bedrohung Israels einschneidend etwas verändern, wird bei linken KriegsbefürworterInnen in der Regel von der Hoffnung begleitet, ein demokratisierter Irak würde - quasi als Initialzündung - einen ´demokratischen Flächenbrand´ in der gesamten Region entfachen. Hier ist in zweierlei Hinsicht Skepsis angebracht. Zum einen haben islamistische Gruppierungen bisher jede US-Intervention in ihrem Sinne zu nutzen gewusst. Vor allem in Bezug auf den Iran ist die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen, dass dessen zarter hedonistischer Frühling mit noch massiverer Repression zu rechnen hat. Zum anderen ist mittlerweile deutlich geworden wie sich die Bush-Administration eine irakische Nachkriegsordnung vorstellt. Nicht nur, dass sich ‚Demokratie' in typischer Zivilgesellschafter-Manier nicht einfach exportieren lässt, ein föderal-demokratischer Nationalstaat Irak, wie ihn sich die letztes Jahr in London zusammengekommene Opposition vorgestellt haben mag, steht schlicht und ergreifend nicht auf der Tagesordnung. Im Gegenteil: ´Regimewechsel´ heißt, dass Saddam Hussein von seinem Posten abtreten muss. Zunächst gibt es eine US-amerikanische Militärverwaltung, welche die baathistischen Eliten einbinden und proamerikanisch ausrichten soll.
Die irakische Opposition, vor allem kurdischer und schiitischer Organisationen, bleibt außen vor, während im Nordirak die Türkei einmarschiert. Damit greift auch jene Einschätzung zu kurz, die weniger auf ´Demokratisierung´ als auf schlichte Verbesserung der Lebenssituation der irakischen Bevölkerung setzt. Für Teile der Bevölkerung trifft dies sicherlich zu, da der baathistische Terror zumindest erst einmal unterbrochen wird. Für die KurdInnen zeichnet sich dagegen ab, dass ihre de-facto Autonomie im Nordirak zu Ende geht.
Momentan ist also eine allgemeine Verbesserung der Situation im Irak durch einen US-amerikanischen Angriff keineswegs absehbar. Auch die politische Bedrohung Israels wird fortdauern und für optimistische Demokratisierungsszenarien des arabischen Raumes gibt es keinen Anlass. Zudem muss die reibungslose Umsetzung einer projektierten Nachkriegsordnung bezweifelt werden, weshalb bspw. eine Somalisierung des Irak im Rahmen des Möglichen bleibt. Solange sich an dieser Lage nichts ändert, werden Linke gegen diesen Krieg sein müssen - allerdings mit anderen Argumenten als die Friedensbewegung aller Länder.
Deutsche Friedensliebe
Wer an Emanzipation festhält, kann mit der Friedensbewegung keine Bündnisse eingehen, denn diese entdeckt ihren Antikapitalismus immer erst dann, wenn es gegen die USA geht. Bereits in den 1980er Jahren richteten sich die damaligen westdeutschen FriedensfreundInnen mit ihrer Absage an die Nato-Doppelbeschlüsse nicht gegen antikommunistische Militärprogramme, sondern bekämpften einen 'atomaren Holocaust'. Solcher, ein 'zweites Hiroschima' konstruierender Antiamerikanismus fand dann 1991, im Zuge des Zweiten Golfkrieges, seinen plakativen Ausdruck in der Parole: 'Kein Blut für Öl!'. Nicht nur dass die USA als besonders raffgierige Halunken dargestellt wurden, auch die Scud-Raketen auf Israel zogen bestenfalls Indifferenz, gängigerweise Schadenfreude und schlimmstenfalls offensive Zustimmung nach sich. Kein Wunder: deutschen FriedensfreundInnen ist Israel neben den USA der eigentliche Bösewicht. Je nach Kontext steckt entweder hinter dem bevorstehenden US-Angriff eine zionistische Lobby, oder die 'unverantwortliche Politik Scharons' gegenüber den PalästinenserInnen wird als Ausdruck ein und derselben 'imperialistischen Aggression' hingestellt. Besonders die 'No globals' sind darin geübt, ihren reaktionären Kampf gegen die 'Globalisierung' mit der palästinensischen 'Intifada' kurzzuschließen: 'Verzweiflungstaten' gegen die Raffgier der Finanzkonzerne.
Bisher war die Friedenssehnsucht eine rebellisch-romantische Haltung, die nur dann verschwand, wenn Deutschland Krieg führte: So waren 1999, als die erfolgreiche Zerschlagung Jugoslawiens durch deutsche Außenpolitik im NATO-Angriffskrieg auf Serbien kulminierte, von den hunderttausenden FriedensfreundInnen nur ganz wenige auf der Straße. Heute dagegen befindet sich die Friedensbewegung zum ersten Mal seit 1945 in Übereinstimmung mit ihrer Regierung, und die schlimmste Sorge der FriedensfreundInnen zielt folgerichtig darauf, daß ihre Führung aus diesem Bündnis aus-scheren könnte.
Dafür gibt es jedoch keinen Anlass. Im Zuge deutsch-französischer Hegemoniebestrebungen wollen Schröder und Co. austarieren, wie viel sich die Yankees gefallen lassen. Wenn sich Klose, Pflüger und andere Atlantiker darüber aufregen, dann nicht so sehr wegen eines Dissens in der Sache, sondern wegen der eingeschlagenen Strategie und Taktik. Rot-Grün ist ihnen viel zu tapsig; sie wollen zunächst einen ständigen deutschen Sitz im UN-Sicherheitsrat und die Umrüstung der Bundeswehr zur ‚schnellen Eingreif-truppe' abwarten, um erst danach gegenüber den USA forschere Töne anzuschlagen. Beim momentanen Stand der Dinge vermuten sie, nicht ganz zu unrecht, dass Deutschland bei der Aufteilung des irakischen Kuchens leer ausgehen könnte, bzw. für potentielle Bündnispartner noch nicht attraktiv genug ist. Dass sich die Friedensbewegung nicht für deutsche Rüstungsprogramme interessiert, ist dabei nicht weiter verwunderlich, denn deutsche Auslandseinsätze dienen ja per definitionem nicht der Kriegsführung, sondern der Herstellung oder Stabilisierung von Frieden. Linke, die in aufgeklärter Weise gegen Kapitalismus und Antisemitismus agieren, müssen gegen diese Friedensbewegung vorgehen - auch wenn sie beim derzeitigen Stand der Dinge gegen einen Angriff auf den Irak sind.
vom Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus (BgAA-Berlin)
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