Auf der schwulen Baustelle
Erster Teil: Lehr- und Wanderjahre
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Als ich Ende der 80ger nach Hamburg kam, habe ich mal vorsichtig in Schwulengruppen reingeschnuppert, aber das waren alles so studentisch orientierte Sachen. Der "Arbeitskreis Herrschaft und Sexualität" fällt mir da ein, wo man "Textarbeit" machte und sich "Positionen erarbeiten" wollte. Ich verstand schon diese Begriffe nicht. Ich kam aus so einem Funpunk-Umfeld, Goldene Zitronen und so, und ich hatte von Politik keine Ahnung. Ich bin da schnell wieder verschwunden und erst mal in der Jugendgruppe des MHC gelandet.
Als es dann die schwule Kneipe in der Hafenstrasse gab, war ich total fasziniert! Schwule im besetzten Haus ... Ich hatte schon als Jugendlicher allerhand Hafenstrassenromantik aufgesogen, und die Stimmung zwischen Jugendzentrum, Kneipe, und Abbruchhaus war endlich nach meinem Geschmack. Und das auch noch mitten auf St. Pauli. Man konnte nachts um eins ins Kino gehen, hinterher in der schwulen Kneipe feiern, und morgens auf der Reeperbahn versacken. Paradiesisch. Ich hatte aber zuviel Respekt vor den Leuten, um da selber mitzumachen. Ich dachte, wer sowas erschaffen kann, der muß Gott weis was auf dem Kasten haben.
Was macht eine unkommerzielle Kneipe aus? Die Leute, die die Kneipe "machen", leben sich dort aus. Mit all ihren Wünschen und Träumen - und das sind bei Schwulen, die ihre Jugend in einem Heteroumfeld verlebt haben, eine ganze Menge. Niemand bekommt Lohn, Kundenwünsche bedeuten gar nichts, und wenn du Service erwartest, fliegst du vielleicht sogar raus. Das fand ich wunderbar. Die Arroganz, die dabei manchmal mitschwingt, fand ich damals weniger toll. Aber das behielt ich für mich. Denn wie gesagt, ich bewunderte die Leute sehr.
Mit der Zeit wurde die Kneipe auch zu einer Größe auf der Wochenendtour schwuler Konsumtouristen. Das waren Leute, die im Hafen keiner haben wollte. Nach einer kurzen Wanderung durch verschiedene linke Projekte zog die Kneipe 1992 deshalb weiter in ein Hausprojekt am kleinen Schäferkamp, wo damals einer aus dem Plenum wohnte. Dort renovierten die Schwuchteln ein Ladenlokal und aus den Schwulen auf der Baustelle wurde dabei die schwule Baustelle. Ich selbst kannte inzwischen einige Leute, hatte einiges aufgeschnappt, und fühlte mich in der Studentenatmosphäre eines "Plenums" nicht mehr ganz so unwohl - also hab ich mich endlich getraut, mit zu machen. Ich komm also zum erstenmal auf dieses Plenum, und der erste Satz, den ich höre, ist "Ich kann eure Fressen nicht mehr sehen!" Möchte man so im Paradies begrüßt werden?
Ich hatte da wirklich einen wunderbaren Moment erwisch. Das Kneipenplenum war mitten in der Spaltung. Soll man Schwule politisieren, oder Linke schwulisieren? Die Kneipe in der Hafenstrasse war eindeutig ein Versuch in letzterem. Aber Hetero bleibt hetero - mehr als wohlwollendes Verständnis oder mal ein besoffener Gnadenfick sind da nicht zu holen. Manche in der Gruppe waren davon sehr frustriert. Satt der erhofften Autonomen, die ihr Schwulsein entdecken, kamen weiterhin haufenweise Schwule, um die autonome Szene zu entdecken. Und für die wollte man sich nicht unbezahlt abmühen. Hätte ich jemals den Versuch gemacht, einen Treffpunkt für schwule Funpunks zu organisieren, ich wäre wahrscheinlich ähnlich frustriert gewesen.
So aber fand ich es toll, in meiner Lieblingskneipe hinterm Tresen zu stehen. Man steht wie von selbst im Mittelpunkt, wird beachtet, und hat gleichzeitig was, womit man sich beschäftigen kann. Man lernt rasend schnell Leute kennen, man bestimmt über die Musik !, und man kann sich jederzeit mit einem Gratisdrink irgendwo einschleimen. Mir gefiel die Mischung aus völlig abgedrehten Leuten und Normalos gut, und am Anfang bediente ich alle mit gleicher ausgesuchter Freundlichkeit. Schließlich konnte ich mich noch gut an meine eigene Unsicherheit zu Anfang meines Comming-Outs erinnern.
In der Baustelle gab es damals neben dem normalen noch einen erhöhten, den sogenannten Soli-Preis. Wer mehr Geld hatte, der sollte auch mehr zahlen. Gefragt wurden natürlich nur Leute, die der Kleidung nach so aussahen - man will ja niemanden beleidigen. Und ich begriff bald, wie man sich da täuscht. Bei dem Jungen in seiner spiessigen Windjacke zum Beispiel, der wenigstens für einen Abend aus seinen Verhältnissen ausbrechen will, aber als Kaufhaus-Lehrling nur 300 Mark verdient. Und man wird auch bewußt getäuscht: von Leuten, die das zehnfache verdienen, und gerade deshalb für jede Kneipe der Stadt die passende Garderobe im Schrank haben. So bekam ich meine Zweifel an der Trennung in "Linke" und "Konsumschwuchteln".
Ich entdeckte auch, daß die interessantesten Gespräche nicht in der Kneipe stattfinden, sondern auf dem wöchentlichen Plenum. Der Umgangston war nach dem Austritt einiger Altlinker sehr viel verständlicher für mich geworden, und ich blühte da richtig auf. Ich entwickelte sowas wie "Mein Projekt"-Gefühle, die ich vorher als Gast nicht hatte. Ich machte kleine Zeichnungen für die Baustelle [die Bildchen links], organisierte dies und das, und lernte endlich auch die dunkle Seite des Tresens kennen. Gäste, die mit Trinkgeld protzen, und dafür Tresenschlampen springen sehen wollen! Offensichtlich begriffen diese Leute nicht, wo sie hier waren. Dem wollte ich mit frisch gewonnenem Selbstbewußtsein Abhilfe schaffen.
Doch das ging böse nach hinten los ...
Mehr im nächsten Teil: Gesellenjahre
marcie
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