Bisexualität als Ausweg
von Marcello Libelle

Jetzt stellt Euch doch mal folgendes vor: Das soll es doch unter uns männlichen Schwestern Brüder geben, die manchmal tatsächlich mit Frauen... Also richtig... mit Frauen... mit diesen netten Wesen, die allesamt ja irgendwie auch... unsere Mütter repräsentieren!

Also... diese Wesen, mit denen wir uns wunderbar über die "Lindenstraße", Einkaufsanfälle und Tangomusik unterhalten können. Diese Wesen, die mindestens so gern wie wir selbst sinnentleert reden um des Schwatzens willen, sind gemeint: unsere tatsächlichen Freundinnen. Jeder richtige Schwule sollte eine oder mehrere haben. Die findet man freilich nicht in den Schwulensaunen der Löbervorstadt und schon deshalb wäre die Bereitstellung einer Besten Freundin als politische Forderung hier knallhart zu formulieren.

Aber natürlich verfügen wir schon über eine sogenannte BESTE FREUNDIN: Meist ist es eine aus der Schule oder dem in der Fachliteratur vielbenannten Buddelkasten oder eine Kollegin und manchmal sogar die Nachbarin. Als aufgeklärte Tucken mit konservativem Touch mögen wir an Ihnen:

Erstens: Ihre Verfügbarkeit. Wenn mitten in der Nacht der läppische Lügenanruf vom derzeit aktuellen Lover auf dem Band blinkt. Das Bett bleibt zwar dann kalt, aber sie, die Freundin, hält bis weit in den Morgen Unmengen von Taschentüchern, Gallonen von Eierlikör sowie finstere Rache-Vorschläge bereit. Sie kennt sich ja mit Männern aus.

Zweitens: Ihre Beleihbarkeit: Sollten Kräuter-Salz, Noppenkondome oder aktueller Modeschmuck in unserer Homo-Ausstattung fehlen, verfügt die Beste Freundin über ein schier unerschöpfliches Ersatzreservoir, das noch jedwede Drag-Queen in uns zum Erblassen bringt.

Drittens: Ihre Fähigkeit, zuzuhören. Richtig gehört, unsere besten Freundinnen können zuhören. Freilich, es ist eine bisher noch nicht aus der Welt gespülte Binsenweisheit, die besagt, dass gerade unsere Randgruppengattung diese seltene Gabe per genetischem Rucksack mitbekommen hat. Halten wir aber mal inne, um Ehrlichkeit in unsere Gemüter fließen zu lassen und unterscheiden zwischen Egomanie, Oberfläche und Muttersöhnchen-Bedürfnis, stellen wir fest, dass es die Frauen sind, die die besseren und aufrichtigeren Ohren besitzen.

Mindestens einmal in der Berg- & Tal-Biografie zwischen Outing und Übertreibung wird es einen Versuch unsere besten Freundin geben, den kleinen Homopanzer zu knacken und uns in die Geheimnisse der heterosexuellen Welt einzuweihen. Das geschieht aus den unterschiedlichsten Gründen, jeder einzelne davon ist sicherlich bemerkenswert, würde aber leider den Rahmen dieses launigen Forums auseinander knallen.
          
Marcello Libelle:
ist junger Kolumnist und Radiomacher bei den
Die Chilligays sind jeden Dienstag um 21:00 das schwule Radio auf F.R.E.I. 96,2 MHz im Raum Erfurt.

Radio F.R.E.I. ist ein freies, selbstverwaltetes Lokalradio, das nicht auf Gewinn ausgerichtet und durch Verzicht auf Rundfunk-Werbung von kommerziellen Interessengruppen unabhängig ist. Durch ein offenes, basisdemokratisches Redaktionsprinzip wird die Instrumentalisierung durch einzelne Gruppen ausgeschlossen. Radio F.R.E.I. ist kein Privateigentum, sondern gehört allen Mitgliedern und wird kollektiv verwaltet und gestaltet. D.h., dass Radio F.R.E.I. und dessen Programm ein Produkt der kritischen Auseinandersetzung aller am Radio Beteiligten ist, wobei weitestgehend konsensuale Entscheidungen angestrebt werden. mehr zum Selbstverständnis
  


Sehr oft jedenfalls klappt es. Und schon ist es geschehn. "Was ist jetzt los?", schreien wir in beschlagene Badezimmerspiegel, gerade gereinigt vom gar nicht so unangenehmen Duft weiblicher Körperchemikalien. Und wir wissen gar nichts mehr. Erst hat man uns eingeredet, das schwul sein problematisch ist, dann geben wirs zu und landen im Bett einer Frau. Sind wir jetzt BI? Und was ist das überhaupt?

Die Haushalts-Empfehlung aus der Beraterecke der Chilligays heißt in diesem Fall schlicht: Zulassen!

Sexualität scheint eine Art Lebensmittel zu sein. Und wir alle kennen den komischen Effekt. Plötzlich gibt es einen Heißhunger auf Spinat, obwohl wir ihn als Kleinkinder in Blumenvasen versteckten oder nach der Einverleibung ins bunter Gatter gekotzt haben. Man wacht auf und will unbedingt vier Gläser eingekochten Rhabarber hinterziehen. "Mal ist man", wie der tröge Liedermacher Klaus Hofmann zu sagen pflegt, "vegetarisch und mal steak-versessen."

In diesem Falle hat er recht. Ich jedenfalls zieh mich zurück, um einen wunderbares Menü aus Pfefferbohnen, Ananas, Kaffee und Mutzbraten zu mir zu nehmen. Selbstverständlich werde ich beim gelinden Ziehen eine Spur Kerbel unterziehen.

Insofern "Guten Appetit"

marieclaire: klingt mir alles etwas out-of-context... wir, unsere mütter, richtige frauen, eierlikör saufen mit der kollegin. dabei wär das thema eigentlich schon mal thema. ich hab jedenfalls den eidruck, dass sich der durchschnittliche schwule (in egal welcher szene) mehr vorm zerbröseln seiner hübschen homo-identität fürchtet als die gemeine lesbe. was ich schon seltsam finde - angesichts des ganzen gender-bla-blas...  
spin: ei-druck, das hast du schön gesagt (aber hättest du's auch GESAGT?)... ja, auch das ist eine heimat-(& identitäts-)kritik, die du benennst. und diese heimat wird wohl recht rigide über homogenisierung von begehren hergestellt. aber auf ein paar events (queeruption z.b.) hab ich feststellen können, dass mir als bi mehr misstrauen von identitätsschwulen (eher bürgerliche szene) entgegengebracht wird als von solchen, die sich explizit queer nennen.  
spin: und das finde ich schon einen fortschritt  
marie-c: über queeruption kann ich nichts sagen, kanns mir aber vorstellen... bin allerdings auf der suche nach etwas mehr als "toleranz". die gibts für mich schon innerhalb einer gemischten, aber lesbendominierten szene. da ist es durchaus möglich, sich zu verändern, ohne dass das kollektive misstrauen ausbricht. natürlich muss man sich ab und an anhören, dass nur "die richtige" kommen muss, aber es gibt schlimmeres.  
marie-c: mich wunderts aber, dass alle queeren- oder homo-szenen so wenig platz "dazwischen" lassen. frage mich schon ab und zu, ob es da nicht mehr gibt, die sich genau dafür (auch erotisch) interessieren.ohne hier eine transgender-debatte lostreten zu wollen: habe den eindruck, dass es sich innerhalb der szenekategorien leichter über schwule transmänner nachdenken lässt als über bisexualität.oder ist mir da was entgangen?