Schlachtfelder
Transnationale feministische Positionen zum Krieg


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von Paola Bacchetta, Tina Campt, Inderpal Grewal, Caren Kaplan, Minoo Moallem und Jennifer Terry,
übersetzt für Etuxx

(Oktober 2001) Als feministische Theoretikerinnen, die sich mit transnationalen, postmodernen gesellschaftlichen Entwicklungen [cultural formations] beschäftigen, halten wir es für überaus wichtig, auf allen Ebenen der Gesellschaft gewaltfreie Konfliktlösungen zu suchen, von der globalen, regionalen und nationalstaatlichen Bühne bis hin zu den normalen Orten des täglichen Lebens. Auf die Ereignisse vom 11. September und danach bieten wir folgende Antwort an:

Erstens und vor allem müssen wir die durchweg an Geschlechter gebundenen und rassistischen Auswirkungen von Nationalismus untersuchen und feststellen, welche Ein- und Ausschlüsse im Namen des Patriotismus vorgenommen werden. Wenn wir uns die Geschichte verschiedener Nationalismen in Erinnerung rufen, erkennen wir die stillschweigenden Annahmen über Geschlecht, "Rasse", Nation und Klassenzugehörigkeit, die in der Kriegsmobilisierung eine zentrale Rolle spielen. Statt der notwendigen historischen, materialistischen, weltpolitischen Analyse des 9.11. sehen wir eine Zunahme nationalistischer Diskurse, die falsche, gefühlsüberladene Erzählungen enthalten und neben anderem Zwangsheterosexualität und die rigide Zweigeschlechtlichkeit wieder durchsetzen, auf der sie beruht.

Die Hauptfiguren in dem Schauspiel nationalistischer häuslicher Geborgenheit, das die Mainstream-Medien verbreiten, setzen sich aus einer Reihe von Symbolen zusammen. Dazu gehören der männliche Staatsbürger in Uniform [citizen-soldier], die patriotische Ehefrau und Mutter, der brotverdienende Vater als Haushaltsvorstand und die brave fruchtbare Familie. Wir sehen außerdem, dass dieses Schauspiel rassisiert ist. Die meisten medialen Darstellungen handeln von weißen, heterosexuellen Mittelklasse-Familien, obwohl unter den Toten und Verletzten Menschen mit ganz verschiedenen Hautfarben, Klassenzugehörigkeiten, Sexualitäten und Religionen waren, die mindestens 90 Nationalitäten angehörten. Deshalb ist eine Analyse, die die repressiven Effekte nationalistischer Diskurse erhellt, notwendig zum Aufbau einer Welt, die Frieden ebenso ermöglicht wie soziale und ökonomische Gerechtigkeit.

Zweitens, eine transnationale feministische Antwort stellt die Auswirkung des Krieges und der inneren Unterdrückung in den Zusammenhang der globalen Geschichte von Verdrängung, erzwungener Migration und Vertreibung. Wir widersetzen uns der us-amerikanischen und europäischen Unterstützung von Regimen, die verantwortlich sind für Vertreibungen, und weisen darauf hin, wie eng die Muster von Einwanderung, Exil und Vertreibung zusammenhängen mit geschlechtlicher Unterdrückung, mit dem Erbe des Kolonialismus und mit ökonomischer Abhängigkeit. Die Geschichte zeigt uns vor allem, dass Frauen als primäre Erhalterinnen der Familien unter Kolonialismus, Bürgerkrieg und Vertreibungen besonders leiden.

Vor dem Hintergrund dieser Geschichte kritisieren wir Lösungen der gegenwärtigen Krise, die auf ein koloniales Mischmodell [Manichean] setzen, das die "fortgeschrittene kapitalistische Freiheit" gegenüber der "reaktionären extremistischen islamischen Barbarei" bevorzugt. Desweiteren greifen wir auf Erkenntnisse der Postkolonialen Studien und der Kritischen Politischen Ökonomie zurück, um den Auswirkungen des europäischen und us-amerikanischen Neokolonialismus während des Kalten Krieges und der Zeit danach auf die Spur zu kommen. Besonders wichtig für unsere Untersuchungen sind deshalb Fragen nach der geschlechtlichen Verteilung von Reichtum und Rohstoffen.

Neoliberale Modelle der Wirtschaftsentwicklung schaffen Probleme, die auf Frauen sowohl in den "Entwicklungsländern" als auch in der "entwickelten Welt" tiefe und verheerende Auswirkungen haben. Während Euro-Amerikanerinnen der Mittelklasse in den USA als die freiesten Frauen der Welt gelten, obwohl sie dazu gedrängt werden, ihren Ehemännern, Vätern und Kindern pflichtbewusst zur Seite zu stehen, werden Frauen aus Entwicklungsländern als erniedrigt, reaktionär und von ihren Männern unterdrückt dargestellt. In diesem Bild fehlen wichtigen Elemente wie die Tatsache, dass viele Frauen in Afghanistan nicht nur wegen des Taliban-Regimes hungern und täglich Gewalt und Elend ausgesetzt sind, sondern auch auf Grund einer langen Geschichte von europäischer Kolonisierung und Konflikten in der Region.

Die Entscheidung der Bush-Administration, Bomben zu werfen und im nächsten Moment Care-Pakete mit Lebensmitteln, die den Bedürfnissen der Bevölkerung in jeder Hinsicht unangemessen sind, zeigt auf grausige Weise, wie jämmerlich der Diskurs über "Zivilisation" und "Rettung" inmitten der Gewalt des Krieges ist. Wir sehen hier eine abgebrühte Scheinantwort auf eine Situation, zu der die USA seit mindestens 20 Jahren beigetragen haben, eine Situation, in der es um strategischen Einfluss in der Region und um die Ausbeutung von Rostoffen, vor allem von Öl, geht.

Drittens wollen wir dazu Stellung nehmen, in welchem Ausmaß innenpolitische Repression mit der Gewalt des Krieges zusammenhängt. Die Folgen des gegenwärtigen Konfliktes werden in den USA und an ihren Grenzen benutzt, um verstärkte Grenzkontrollen und Polizeipatrouillen sowie den Einsatz von militärischen und anderen Mittel zur weiteren Unterdrückung von Communities (vor allem nicht-weißer Gruppierungen) in den USA durchzusetzen. Diese Gewalt des Staates hat große Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse. Dazu gehören die Zunahme patriarchaler/maskulinistischer kultureller Nationalismen, wobei Frauenperspektiven abgewertet oder ausgeschlossen werden, wenn neue Versionen kultureller "Traditionen" geschaffen werden.

Für viele eingewanderte Frauen werden die Auswirkungen auch in einer Zunahme nicht gemeldeter häuslicher Gewalt, öffentlicher Anfeindungen und sozialer Isolation bestehen. PolizeibeamtInnen, die die nationale Sicherheit aufrecht erhalten sollen, haben in der Praxis meist wenig Sympathien für eine illegal eingewanderte Frau, die aus einer gewalttätigen Partnerschaft flieht, wenn ihr Angreifer nicht dem Profil "islamischer Fundamentalist" entspricht. Deshalb brauchen wir eine Analyse dieser "Domestizierung" kriegerischer Gewalt, die in den letzten Wochen zugenommen hat und sich unterschiedlich und widersprüchlich auswirken wird, und Strategien dagegen.

Viertens fordern wir dazu auf, die Stereotypen und Redewendungen zu untersuchen, die in der gegenwärtigen Krise verwendet werden. Diese Phrasen erhalten, stärken und werden in Gang gesetzt durch eine moderne Logik der Kriegführung, welche die souveräne (und oft einseitige) Macht des Nationalstaates der Ersten Welt festigen soll. Präsident Bush verkündet, "terroristische" Netzwerke müssten zerstört werden. Wir fragen, was dieser Ausdruck für Menschen bedeutet und wie er benutzt wird, um eine groß angelegte militärische Offensive zu legitimieren. Der Begriff wird eingesetzt, um Praxen zu verteufeln, die sich gegen nationale Interessen der USA richten, und zieht im Schlepptau die Unterdrückung von Oppositionellen im In- und Ausland nach sich.

Wir stellen Konstruktionen des "Terrorismus" in Frage, die nicht-einheimische oder "internationale" (foreign) Oppositionsbewegungen weiterhin angreifen, während sie die eigenen terroristischen Praktiken euphemistisch als "internationale Hilfe" bemänteln. Zur Dekonstruktion der Rede vom "Terrorismus" muss auch eine deutliche Kritik an den immensen Mitteln gehören, die von den USA auf die Ausbildung von "Contra-Terroristen" und "anti-kommunistischen" Kräften verwendet wurden, die später unter anderen historischen Bedingungen von Verbündeten zu Feinden wurden, so wie der nun prominente Ussama bin Laden.

Wir befürchten, dass der "Krieg gegen den Terrorismus" dazu dienen wird, auf dem ganzen Erdball revolutionäre Bewegungen zum Schweigen zu bringen und zu unterdrücken. Wir betonen auch, dass in der Benennung des "Terrorismus" Rassismus am Werk ist. Wenn die "Terroristen" People of Colour sind, dann sind alle anderen People of Colour in Gefahr, zu Sündenböcken gemacht zu werden. Als der weiße Chauvinist Timothy McVeigh das Murrah-Gebäude der Bundesbehörden in Oklahoma City in die Luft sprengte und dabei 168 Männer, Frauen und Kinder tötete, blies niemand zur Jagd auf weiße Männer oder auch nur auf die Mitglieder von weißen Bürgerwehren.

Die Herstellung einer neuen rassistischen Kategorie, "alle, die wie Moslems aussehen", mit der Moslems, AraberInnen, Sikhs und alle anderen mit olivfarbener oder brauner Haut zum Ziel von Rassismus werden, zeigt deutlich den zufälligen und politisch konstruierten Charakter alter und neuer rassistischer Kategorien in den USA. Auch enthüllt sie die Unfähigkeit des us-amerikanischen Multikulturalismus, sich der vorherrschenden Bindung des "Amerikanischen" an das "Weiße" zu widersetzen.

Und schließlich macht das kurze Gedächtnis der Medien jede Erwähnung der euro-amerikanischen antikapitalistischen und antiimperialistischen "Terroristen"-Gruppen aus den 1970er und 1980er Jahren unmöglich. Eine kritische Aufmerksamkeit für die Sprache der gegenwärtigen Kriegsmobilisierung zwingt uns, auch andere politisch aufgeladene Floskeln auseinanderzunehmen wie Sicherheit, politische und persönliche Freiheit, Wahrheit, BürgerInnenrechte, islamischer Fundamentalismus, Frauen unter dem Taliban-Regime, Sternenbanner und "Amerika".

Fünftens sehen wir die vergeschlechtlichte und ethnozentrische Geschichte der Emotionalität, Trauer und Schwermut, die in der neuen Kriegsmobilisierung eingesetzt werden. Wir wollen den Schmerz und die tiefen Gefühle, die von den Ereignissen des 9.11. und danach ausgelöst wurden, nicht herabsetzen oder ignorieren. Aber wir halten es für wichtig zu betonen, dass therapeutische Diskurse massiv benutzt wurden, um Menschen die Ereignisse vom 11. September und seitdem ausschließlich als "Trauma" verstehen zu lassen.

Solche Diskurse blenden andere analytische, historische und kritische Verständnismuster aus. Wenn nur die persönliche oder im engeren Sinn psychologische Dimension der Angriffe und des darauf folgenden Krieges in den Blick kommen, werden die komplexen Zusammenhänge von Geschichte und Weltpolitik verdunkelt, die diese Ereignisse hervorgebracht haben. Wir meinen nicht, dass nicht bestimmte Formen von Therapie nützlich seien. Aber die Kulturindustrie des "Traumas" führt zu einer Mystifikation von Geschichte, Politik und Gesellschaftskritik [cultural critique]. Darüber hinaus tendiert der therapeutische Diskurs dazu, individualistische Interpretationen von Ereignissen mit weltweiter Bedeutung zu verstärken, und zwar auf ethnozentrische Weise.

Die Suche nach Trost in den Mitteln der Psychotherapie mag unter Euro-AmerikanerInnen der Ober- und Mittelklassen in den USA eine übliche Praxis sein, aber sie sollte nicht als allgemein angemessene oder effektive Hilfe gegen die Erfahrungen von Unterdrückung und Bürgerkrieg in anderen Klassen, ethnisierten Gruppen und kulturellen Kontexten gehalten werden. Anzeichen der Ethnozentrik des gegenwärtigen Traumadiskurses schimmern durch die in therapeutischen Rastern gehaltenen medialen Schilderungen, die denjenigen große Bedeutung, Wichtigkeit und Sympathie zumessen, die in den Angriffen auf das World Trade Center und das Pentagon FreundInnen und Familienangehörige verloren haben.

Im Gegensatz dazu werden Menschen, die anderswo Angehörige in Folge der US-Außenpolitik verloren haben, nicht als Traumatisierte oder ungerecht Behandelte dargestellt. Selten sind sie überhaupt vor der Kamera zu sehen. Genauso wurden sofort nach dem 9.11. an Universitäten überall in den USA Nothilfe-Zentralen eingerichtet, um StudentInnen bei der Bewältigung der psychischen Folgen der Angriffe zu helfen. In der Regel wurde dabei unterstellt, am 9.11. hätten AmerikanerInnen sich zum ersten Mal als verletzbar erlebt. Damit wurde nicht nur der Bombenanschlag auf die Bundesbehörde in Oklahoma City übersehen, sondern vor allem die persönliche Erfahrung vieler ImmigrantInnen und us-amerikanischer People of Colour ausradiert, für die "Amerika" Zeit ihres Lebens ein Ort potenzieller oder tatsächlich erlebter Gewalt war.

Sechstens, unsere transnationale feministische Intervention schließt eine detaillierte Kritik an der Rolle der Medien ein, besonders an Darstellungen, die koloniale Muster und einfache Gegenüberstellungen enthalten, in denen der Islam/das Nicht-Westliche als "unzivilisiert" oder "barbarisch" gezeigt wird. Wir verweisen darauf, dass muslimische Frauen darin entweder fehlen oder als "Opfer" von Gewalt oder "islamischer Barbarei" vereinnahmt werden. Wir verweisen auch darauf, dass Frauen, die als "weiß" oder "westlich" gelten, als "Retterinnen" nicht-westlicher Frauen, aber auch als Beweis für die so genannten "zivilisatorischen" Leistungen Europas und Nordamerikas benutzt werden.

Wir sehen diese Diskursstrukturen nicht nur als Hinterlassenschaft von Diskursen und Wissensproduktion des Kolonialismus, sondern auch als Produkt von Technologien und Unternehmen der heutigen globalen Medien und der transnationalen Finanzstruktur der Kulturindustrie. Wir wollen vor allem untersuchen, wie Frauen an dieser Industrie beteiligt und feministische Ansätze und Interessen vereinnahmt werden, um nicht nur "islamistische/extremistische" Gruppen, sondern weite Teile der islamischen kulturellen und religiösen Institutionen anzugreifen. Ausdrücklich geben wir zu bedenken, dass jede Art von widerständigen oder Gegen-Medien eine entschlossene Auseinandersetzung mit dieser Geschichte und solchen Praktiken führen muss, wenn sie diese nicht wiederholen will.

Siebentens brauchen wir ein genaueres Verständnis darüber, wie Kapitalismus und Globalisierung alle möglichen Arten von transnationalen Bewegungen hervorbringen. Den repressiven transnationalen Kräften des "Westens" und des "Nicht-Westens" wollen wir gemeinsam mit alternativen Bewegungen entgegentreten, die gegen Krieg und die andauernde Produktion globaler Ungleichheit vorgehen. Wir weisen besonders darauf hin, dass religiöse und ethnische Fundamentalismen überall in einer Welt entstehen, in der Frauenunterdrückung und Zuweisung rigider Geschlechterrollen sowohl eine Form von Macht sind, als auch der Herstellung von Gruppenidentitäten dienen. Solche Fundamentalismen sind für feministische Gruppen nicht nur ein Thema in der islamischen Welt, sondern auch in den USA.

FeministInnen und andere Intellektuelle haben darauf hingewiesen, dass diese Bewegungen durch das Wirken von staatlichen und Nichtregierungsorganisationen transnational geworden sind, was direkte Auswirkungen auf alle hat, die rigide Geschlechterdichotomien in Frage stellen. Da diese Bewegungen transnational arbeiten, bezweifeln wir die Bedeutung einzelner selbständiger Nationalstaaten angesichts zahlloser Beispiele transnationaler und globaler Praktiken und Zusammenhänge.

Die heutigen Bilder von nationaler Geschlossenheit und internationaler Solidarität (die auf den Konstrukten internationaler Beziehungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert beruhen) können nicht die Spannungen und Widersprüche überdecken, die die aktuelle Krise hervorgebracht haben. Deshalb brauchen wir eine Analyse darüber, wie transnationale Netzwerke und Zusammenhänge auf vielfältige Weise Widerstand und Unterdrückung jeweils behindern und ermöglichen. Das heißt, das komplexe politische Terrain, auf dem sich so unterschiedliche transnationale Gruppen wie al-Qaida und Rotes Kreuz bewegen, muss so verstanden werden, dass es neue Identitäten und Praxen ebenso hervorbringt wie neue Formen politischer Unterdrückung. Die transnationalen Medien sind zwar aus üblen Unternehmenspraktiken entstanden, aber sie ermöglichen auch verschiedenartige und widersprüchliche Weisen von Information, Unterhaltung und Kommunikation. Wir benötigen eine feministische Analyse dieser komplexen, oft widersprüchlichen transnationalen Phänomene.

Zum Schluss möchten wir klarstellen, dass wir entschieden gegen die us-amerikanischen und britischen Bombenangriffe sind, die gegen Afghanistan unternommen werden und sich bald nach West?, Mittel- und Südasien ausweiten können. Wir wenden uns gegen eine Zuspitzung, in der nach Äußerungen der George-W.-Bush-Administration der Krieg ein verdeckter, breit gefächerter und andauernder Prozess werden soll. In dieser Stunde rufen wir zum Widerstand gegen nationalistische Zustände auf und stellen uns der Ausweitung von weltweiten US-Militäreinsätzen entgegen.

Wir weisen die Gegenüberstellung von Zivilisation und Barbarei, Moderne und Tradition, West und Ost zurück. Wir verlangen ein Ende der rassistischen Suche nach Sündenböcken und der "Fahndungen" [profiling], die zur zunehmenden Verletzung bürgerlicher Freiheiten in den USA gehören. Wir fordern FeministInnen zum Protest gegen das Kriegsgeschrei auf, das im Namen des umfassenden Kampfes gegen einen so genannten "traditionalistischen patriarchalen Fundamentalismus" erhoben wird, weil wir sehen, dass solche Fundamentalismen von vielen Nationalstaaten befördert werden. Wir sind uns auch bewusst, dass Nationalstaaten und globale ökonomische Kräfte wie IWF und Weltbank unfähig sind, weltweit auf Armut und Elend zu reagieren, und dass diese Unfähigkeit in der Entstehung von Fundamentalismus eine Rolle spielt.

Nationalistische und internationale Kriegsmobilisierungen können sich weder auf uns noch auf eine "Sorge um die Frauen" berufen. Der Terror zieht in vielerlei Gestalt durch die Welt und wird im Namen von vielen verschiedenen Nationen und AkteurInnen ausgeübt. Wir behaupten, dass Gewalt und Terror überall zu finden sind und ihnen mit verschiedenen Strategien entgegengetreten werden muss — in der Politik "zu Hause" in den USA ebenso wie anderswo. Nur wenn wir aus den hier gemachten Vorschläge neue Strategien und Ansätze entwickeln, können wir die gegenwärtige Gewalt beenden.

faul: weniger wär' mehr, viel hilft nicht viel, ...  
hal2001: "Erstens und vor allem müssen wir die durchweg an Geschlechter gebundenen und rassistischen Auswirkungen von Nationalismus untersuchen und feststellen, welche Ein- und Ausschlüsse im Namen des Patriotismus vorgenommen werden." Ist das wirklich die dringlichste Aufgabe? Das eigene theoretische Haus winterfest zu machen?  
nu!c: hal2001, warum schreibst du "winterfest machen" und warum "haus"? geht es den autorinnen nicht eher darum, ihre analytische instrumente zu schärfen und auf eine neue situation anzuwenden? -- in den usa scheint tatsächlich der nationalismus im moment das dringendste problem zu sein, gegen das die linke vorgehen muss, weil er das hinterland für den krieg bereitstellt.  
nu!c: übrigens wird auch hierzulande eifrig am nationalen konsens geschmiedet. in den vergangenen 10 jahren war der vor allem gegen migrantinnen und flüchtlinge gerichtet. aber seit dem 11.9. ist häufiger von der "gewachsenen internationalen verantwortung deutschlands" die rede. was soll da gemeint sein, wenn nicht weltweite kriegführung? und die wäre möglich ohne patriotismus? hast du mal eine der reportagen über die neue kampfeinheit ksk gesehen, wo so ein maskierter held von verantwortung und abenteuer schwafelt und seine tapfere ehefrau erzählt, sie habe ja vertrauen und kümmere sich um die kinder? -- da sind sie, die patriotischen heterosexuellen rollen. übrigens ethnisch deutsch besetzt.  
hal2001: Ich schreibe "winterfest machen" und "Haus", weil es in der liberalen Presse jetzt gerne "Winter wird in Afgahnistan". - Aus Mangel an weiteren Argumenten appellieren wir nun an ihre Instinkte.  
hal2001: Auch dieser Text verrät seine Analyse an einen Instinkt-Appell. Ich finde nicht die Melodie, aber die Intonierung äusserst abstossend. Dieser stramme Sound theoretischer Herrschaft, der selbstgewisse Stolz der intellektuellen Überlegenheit – einschüchternd, abweisend, unpolitisch.  
hal2001: Ginge es darum, zu Überzeugen statt zu Beeindrucken, die Wortwahl wäre eine andere. Und was ist – ?  
Sascha B.: Hal, aber die "liberale Presse" hat recht! Und bald können wir wieder Tote aufrechnen: WTC-Opfer minus "Kollateralschäden". Gefällt uns das? Ich weiss nicht, was ich schlimmer finden soll: die Bombardements überhaupt oder dass die USA so gar kein Konzept haben dabei. Für welches Verbrechen wollen wir uns eigentlich entscheiden? Mit Deinem Einwand zum "Sound theoretischer Herrschaft" im Text da oben liegst Du absolut richtig (ich habe darum auch im Untertitel das Wort "Positionen" eingesetzt, um nicht den falschen Eindruck zu erwecken, es ginge um so etwas wie: Praxis :-)  
nu!c: sascha, intellektuellen-anpisse ist unter deinem niveau, das kannst du stecken lassen. der text oben ist "praxis": du hast da genauso wie ich einiges gelesen, was wir vorher nicht so klar hatten. übrigens besteht doch der witz darin, dass wir uns gar nicht für eines der beiden verbrechen entscheiden können. (und ebensowenig für etwas anderes, das kein verbrechen wäre.)  
nu!c: hal, was du über "instinkte" schreibst, verstehe ich nicht.  
hal2001: nu!c, Du schreibst ganz richtig, daß es den Autorinnen darum geht, ihre "analytischen Instrumente zu schärfen". Der Krieg als Wetzstein für die intellektuelle Klinge, das ist mir so unangenehm. Eine fortgeschrittene Studentin der Geisteswissenschaften kann auf den Text oben so richtig schön abgehen. Das weiss ich aus Erfahrung. Aber das bleibt Eierkopfgewichse. Nicht auf grund der Analyse, nicht auf grund fehlenden Praxisbezuges, sondern aus mangelndem Interesse am Wetzstein, der nur seinen Dienst an der Klinge zu verrichten hat.  
hal2001: Der Text nennt die Behandlung des "weißen Chauvinisten Timothy McVeigh" als Beispiel für Rassismus. Der Mann wurde hingerichtet, seine Gruppe zerschlagen - von den selben Machthabern, die heute davor warnen, Muslims unter Generalverdacht zu stellen, während sie Afghanistan bombardieren. Hier werden Sachverhalte so zurechtgebogen, daß sie in die Therorie passen. Und auch noch ohne Not! McVeigh einfach rauslassen, und die Argumentation gewinnt. Aber das schöne Gedankengebäude hätte einen Erker weniger. Du weisst, daß du ein Eierkopf bist, wenn du jetzt anfängst, McVeigh wieder reinzutexten.  
Lore: Jetzt habe ich mich endlich durch den langen Text gequält und bin so klug als wie zuvor. Das ist doch nur eine Ansammlung von durchaus sympathischen Ansprüchen und Grundsatzerklärungen, die aber schon immer gegolten haben und an denen sich seit dem 11.9. nichts Wesentliches geändert hat. Am Schluss fordern die Autorinnen "neue Strategien und Ansätze". Ja, ganz genau! Dazu etwas zu lesen hätte mich interessiert. Vor allem, wie man den Terror und das frauenfeindliche Taliban-Regime bekämpfen kann und trotzdem nicht die Fehler macht, vor denen die Autorinnen zu Recht warnen.  
Eierkopf: In der Taz vom 3.11.(samstag) ist ein Text, der McVeigh in einen viel interessanteren Zusammenhang zu Bin Laden stellt. Wie kommt es eigentlich, daß Linke Verständniss für ein religiöses politisches Projekt (wie den Islamismus) aufbringen? Wo bist Du, Karl Marx?  
Margot und Erich: nein, nein, so haben wir nicht gewettet: Der Islamismus ist an sich genauso so'n Mummenschanz wie das Abra Kadabra beim Papst oder beim Lutter - nur Marxismus/Lenininsmus/Luxemburgismus (wegen der Gleicherechtigung ;-))ist die richtige Religion! ... aber jetzt wird's zu filosofisch, und Erich drängelt ... er will zum Ohne-Haare-Treffen in Berlin ... und ich muß wohl mit. (Aber das ist jetzt schon wieder Crossfooing)  
Karl Heinrich Marx: Eierkopf: das höchste Verständnis der Religion "phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen kein wahre Wirklichkeit besitzt", "Seufzer der bedrängten Kreatur... Gemüt einer herzlosen Welt... Geist geistloser Zustände... das Opium des Volkes" ist allerdings ein Essential meiner Weltanschauung.  
Friedrich Engels: (...) wenn die Gesellschaft durch Besitzergreifung und planvolle Handhabung der gesamten Produktionsmittel sich selbst und alle ihre Mitglieder aus der Knechtung befreit hat, in der sie gegenwärtig gehalten werden durch diese von ihnen selbst produzierten, aber ihnen als übergewaltige fremde Macht gegenüberstehenden Produktionsmittel, wenn der Mensch also nicht mehr bloß denkt, sondern auch lenkt, dann erst verschwindet die letzte fremde Macht, die sich jetzt noch in der Religion widerspiegelt, und damit verschwindet auch die religiöse Widerspiegelung selbst, aus dem einfachen Grunde, weil es dann nichts mehr widerzuspiegeln gibt.  
Karl Heinrich Marx: Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.  
Question: The Islamic protestors.  What do you say to those people?  
THE PRESIDENT: I say that if they think that the -- first of all, I think the message of the al Qaeda organization is one of evil and hate.  I understand people's willingness to protest, but they should not protest the decisions our coalition is making, because it is in the best interest of freedom and humankind.  
Sascha B.: Die Nordallianz ist in Kabul einmarschiert. Die Verhältnisse werden unübersichtlicher (falls das überhaupt noch geht). Ein BBC-Korrespondent will unverschleierte Frauen auf den Strassen gesehen haben. Der deutsche Kanzler stilisiert die Zustimmung seiner Koalition zum BRD-Kriegseinsatz zur "Vertrauensfrage" hoch. Die Linke in Deutschland schweigt.  
off: also ich schweig nicht, sondern schüttel viertelstündlich den kopf und sag: i baggs ned.  
mausebär: die linke in deutschland schweigt mitnichten. sie demonstriert nur weniger. und das ist auch gut so.  die erklärungen der bahamas-redaktion
mausebär: für den kommunismus!  Wertkritik contra Bahamas
blub: mb, was falsch ist, wird nicht richtiger dadurch, dass es oft genug wiederholt wird.  
mausebär: he blub, ich hab doch nur ne halbe inhaltliche bemerkung gemacht, die man auch ignorieren kann und von der ich weiß, daß die meisten sie ignorieren. wichtig sind die links. und: die können nicht beide komplett falsch sein, das verhindert die zweiwertige logik ;-)  
mausebär: zumal hier so unglaublich viel rotz diskutiert wird und einem vor lauter differenzieren schon ganz schwindlig wird. - das bewahrt aber den blub nicht davor, hier klar zu dekretieren, was falsch ist. cool.  
Angenehm: @mausebär: Komma aussm Kampfanzug, Wüstengirl. Deine letzten beiden Bemerkungen haben auch nicht mehr inhaltlichen Gehalt als Rotz. (Diese Bemerkung kann gelöscht werden).  
Die Linke schweigt nicht: sondern ruft auf: 16.11. 8:00 Reichstag  Protestaktion
Pingelige Korrekturleserin: Zwei kleine Korrekturen: "Manichean" kann nicht mit "Misch-" (hier: "Mischmodell") übersetzt werden, sondern bedeutet ganz im Gegenteil "dualistisch", "bipolar", "in starren Gegensätzen denkend". Außerdem steht zweimal "9.11.", wo offensichtlich "11.9." gemeint ist.  
Eierköpfin: Lore, du hast zwar ein bisschen Recht; aber trotzdem ist es schon einiges wert - weil auch in der Linken nicht selbstverständlich -, die aktuellen Widersprüche so zu benennen, wie es in diesem Text geschieht. Die tollen Strategien hat wohl zurzeit niemand. Übrigens ärgert es mich, welche antiintellektuellen Affekte sich hier teilweise austoben (damit meine ich aber nicht Lore). Merkwürdig auch, dass zu diesem Thema viel weniger Kommentare kommen als zu dem Überfall in Friedrichshain. Über den eigenen Kiez und Outfit-Probleme lässt sich offenbar viel betroffener streiten.  
Meta: Eine schöne Illustration des im Text Gesagten waren vor kurzem Fernsehbilder aus dem "befreiten" Kabul: Zu sehen waren Frauen, unter deren Burka Füße in Schuhen mit hohen Absätzen herausschauten. Tenor des Kommentars dazu: Endlich seien die Frauen wieder so frei, dass sie Stöckelschuhe tragen dürften ...  
Lore@Eierkopf: Ist es nicht logisch, dass auf etuxx mehr zu dem geredet wird, was mit unserer konkreten lebenswirklichkeit zu tun hat? Ich finde das nur verständlich. Auf geopolitische Schnellschüsse, die nach dem Mantel der Geschichte greifen, kann ich gut verzichten. Bei der Zensur- und Propagandastretgie der NATO kann man einfach sehr wenig im Moment sagen, weil wir gezielt im Unwissen gelassen werden. Da könnte vielleicht eine konkrete Kritik ansetzen.  
crimplene: Ich finde, dass die Wahl zwischen Stöckelschuhe tragen oder nicht tragen schon etwas "freier" ist, als der Zwang, keinen Millimeter Haut zu zeigen. Immerhin sieht man in Kabul jetzt auch wieder Frauengesichter. Das halte ich für nicht ganz unwesentlich.