Mit 14 von Zuhause abhauen
und seine Jugend im Schwuz verbringen. Für viele klingt das wie ein Traum. Wie es wirklich ist, erzählt B. in einem Interview der Reihe 'Deine Eltern', das ziemlich überraschend endet. Das Schwuz ist seit Urzeiten das Berliner Schwulenzentrum. Wer nicht am Bildschirm lesen will: rechter Mausklick auf interview.doc oder interview.txt. Dann 'Ziel speichern' wählen und ausdrucken.
Der Wahnsinn
Als ich so 13, 14 war, haben sich meine Eltern permanent gestritten. Weihnachten war immer ganz furchtbar.
Ich hab immer gedacht, meine Eltern streiten sich meinetwegen. Ich wußte irgendwie, das kann nicht stimmen. Aber das Gefühl war da. Das war schon irgendwie am Rand des Wahnsinns. Ich wollte damals in ein Internat, aber das einzige was ich zu hören bekommen habe, ist: Das kostet doch Geld!
Die positiven Gefühlswelten zwischen zwei Menschen, die hab ich nie vorgelebt bekommen. So was kannte ich nur vom Fernsehen. Oder wenn Eltern von Mitschülern mich ganz toll fanden, weil ich doch so ein lieber, angepaßter, kleiner Junge war. War ich auch. Und ein ziemlich verstörter. Ich fühlte mich schon in der Schule als Aussätziger. Ich kannte keine Eltern, die so einen Streß hatten. Na gut, ich kannte auch großartig keine anderen Eltern. Ich wußte schon sehr früh, das ich schwul war. Ich habe zum ersten mal in der 5. Klasse gedacht: wenn die wüßten, das ich Jungs viel lieber mag als Mädchen, dann würden die mich bestimmt verprügeln.
Später habe ich mir Bücher gekauft wie "Schwul na und". Mit 13 wußte ich schon, dass es dafür einen Namen gibt, dass es andere gibt, die so sind; aber das Real-Life hatte ich noch nicht kennengelernt. Deshalb war ich da auch sehr neugierig darauf.
Die Anzeige
Ich war mit 13, 14 war ich zum ersten mal im Schwuz. Ich habe eine Anzeige beantwortet habe, die im Zitty-Magazin war, so unter Männer suchen Männer. Da habe ich zum ersten mal jemand kennengelernt, der auch schwul ist, und das man darüber reden kann. Ich hatte Glück, das war ein netter junger Mann, und der hat gesagt, ich sollte doch mal in ne' Jugendgruppe gehen. Dann war ich mit den Leuten aus der Jugendgruppe zusammen. Was man da besprochen hat, war nichts weltbewegendes, es ging eher darum, das man sich nicht so allein vorkommt. Da bin ich ne weile geblieben, aber ich war da mit Abstand der Jüngste. Das ging da eigentlich erst so mit 23 los. Ich war da ein bißchen deplaziert, aber ich wollte zu der zeit unbedingt von Zuhause weg, weil es da einfach unerträglich war. Ich war mal ein Tag weg, dann zwei, da gab es keinen Kommentar zu. Und haben gar nicht gemerkt, daß ich weg war. So sehr haben die sich gestritten. Dabei hatten sie mich völlig unter der Fuchtel. Sie haben sich nicht groß um mich gekümmert, aber auf eine physische Anwesenheit haben sie sehr großen Wert gelegt.
Die Schwester
Sie hatten ja schon schlechte Erfahrungen mit meiner Schwester, die auch mit 18 von Zuhause abgehauen ist. Allerdings war man damals erst mit 21 volljährig. Um da wegzukommen, hat sie sich einen Mann gesucht, der 21 ist. Und hat ihn in England geheiratet. Mir war es verboten meine Schwester zu besuchen, und auch meine Großeltern, weil die meiner Schwester bei der Hochzeit geholfen haben. Das war ganz schlimm. Also meine Mama ist eine ganz furchtbare Person eigentlich. Bevor sie weggelaufen ist, ist meine Schwester zu mir gekommen, und hat sich bei mir verabschiedet. Sie hat gesagt: "Hör zu, ist grad furchterregend mit den beiden, halt ich nicht aus, tut mir leid das ich weg muß".
Die hat mir das Versprechen abgerungen, das ich darüber nicht reden darf, was sie da tut, und ich war halt sehr unglücklich. Weil sie die einzige Verbindung für mich war, die einzige, die mal gekuckt hat, was aus dem Lütten wird. Aber ich fand das ne starke Leistung von ihr. Ich hätte es ohne ihr Vorbild nicht so leicht geschafft
Meine Schwester hat mir vorgemacht, wie man da raus kommen kann. Für sie war der Mann das Sprungbrett, um wegzukommen, und für mich mein Schwulsein.
Die Jugendgruppe
Also, es war mitten in den Sommerferien, meine Eltern haben sich nur gekracht. Haben vergessen wegzufahren. Das war halt die Gelegenheit, eigene Sachen zu machen, ohne das die das merken. Und ich bin in diese Jugendgruppe gegangen. Einmal war ich drei Tage und drei Nächte weg und dann glaubten sie, nicht mehr drum herum zu kommen, mit mir darüber reden zu müssen. Und die Art, in der sie das gemacht haben, war das allerletzte. Furchterregend. Meine Mutter ist Sturm gelaufen, Mein Vater war Polizist, Oberhauptkommisar, denen war das schwer peinlich. Aber ich wollte die ja nicht bloßstellen. Dann komm ich wieder: Standpauke von zwei Stunden. Es war gar nicht so was er gesagt hat, sondern eher, die Ketten werden jetzt noch enger gelegt. Da war mir klar, das sie ihren Streit jetzt auch an mir austragen, an meinem Körper. An meiner persönlichen Entwicklung. Und da dachte ich mir: nee. Und an einem Samstagabend bin ich dann endgültig abgehauen. Da war ich 14. Ich bin mit dem Bus ins Schwuz gefahren, weil mein Papa mich da bestimmt nicht suchen würde.
Die Ärzte
Das war kein tolles Gefühl, sich von seinen Eltern abzuwenden. Ich bin zu meiner Schwester gezogen. Ich hatte totale Minderwertigkeitskomplexe und Selbstmordgedanken. Das war nicht die große Befreiung von allem. Mein Gedanke war eher: wenn ich schon soviel bittere Pillen schlucken muß, dann kann ich aber auch schwul sein. Dann kann ich das aber auch jetzt sein. Es war ja nicht meine Sehnsucht, wegzulaufen. Meine Sehnsucht war, zu lieben. Und das ist eher noch schlimmer geworden. Weil selbst meine Eltern nicht mehr da waren. Ich war zwar körperlich von ihnen getrennt, aber psychisch war ich alles andere als von ihnen getrennt. Die Probleme habe ich mitgenommen. Damals hätte ich eine Psychotherapie gebrauchen können. Ich bin zum Hals-Nasen-Ohrenarzt gegangen und wollte eine Überweisung zum Psychologen. Der hat mir dann erklärt, das man das beantragen muß, und wie kompliziert das ist. Daraus ist nichts geworden.
Das Recht
Und dann bin ich einen harten Weg gegangen. Ich habe meinen Eltern das Sorgerecht entziehen lasse. Und Unterhalt von ihnen erstritte. 800 Mark im Monat. Das hat mir auch ein unglaubliches Gefühl von Mich-verändern-können gegeben. Ohne das meine Eltern die Möglichkeit hatten, das zu ignorieren. Ich war vorher auf dem Jugendamt, und die haben gesagt, nee, wir helfen dir nicht. Ich hab mich bei der öffentlichen Rechtsberatung schlau gemacht. Das hat sich später bei meinem Richter gut gemacht. Das war auch n' bißchen meine Kalkulation. Damit die sehen, ich bin kein durchgeknallter Irrer, sondern jemand der sich aus einer unerträglichen Situation befreien will. Ich hatte das als 14jähriger ziemlich klar. Bei der Gerichtsverhandlung hat mein Papa sich um Kopf und Kragen geredet. "Solange ich zahle für mein Kind will ich darüber bestimmen können, und solange ich CDU wähle ...". Da mußte ich nicht mehr viel sagen. Meine Eltern peilen halt mache Sachen nicht, gerade was andere Leute und deren Gefühle angeht. Ich habe mir ein Vormund ausgesucht. Das war ne Rechtsanwältin in Berlin. Die war im Endeffekt nur dafür da, meine Zeugnisse zu unterschreiben.
Mit 14 hab ich das beantragt.
Die Szene
Die Schwulenszene war für mich der Ausbruch aus der kleinen engen Welt meiner Eltern, die alles unter Kontrolle hatten. Ich konnte endlich mal gucken, was gibt es überhaupt für Menschen auf dieser Welt. Meine Mama hat immer erzählt, die Welt ist schlecht. Man darf den Leuten nicht vertrauen. Das ist schon ganz traurig. Und es hat gutgetan, in dem alter zeigen zu können, das man schwul ist, und andere zu treffen zu können, die das auch sind. Auch wenn es nur in einem kleinen Ghetto passiert. Die meisten waren ja ebenfalls Zugereiste, die da, wo sie herkamen ebenfalls aussätzige waren.
Ich fühlte mich da nirgendwo zugehörig. Du kannst die Leute, die in dem Alter so lebten, an einer Hand abzählen. Niemand hat so was gemacht, seinen Eltern das Sorgerecht entziehen lassen. Ich war auch nicht in einem Heim oder so, wo ich vielleicht andere mit ähnlichen Problemen kennengelernt hätte. Ich fühlte mich da wie in die Welt gespuckt, ich hab viel zeit damit verbracht rauszufinden, ob ich zu irgendwas gehöre. Es hat gedauert bis ich gemerkt habe, das ich ich bin, und daß das reicht.
Der Sex
Ich hätte damals gern mit jungen schwulen Sex gehabt. Aber die standen eher auf Ältere. Junge Schwule untereinander finden sich oft gar nicht so toll. Die Älteren waren oft eklig. Aber ich hatte da eigentlich wenig Probleme mit. Ich bin nicht in solche schmierigen Gegenden oder Stricherläden gegangen, wo es wirklich hart zur Sache geht. Es war halt schon das Schwuz, das macht einen Unterschied. Das war schon was ideelles, die Leute haben kein Geld genommen. Es war toll da seine Jugend zu verbringen. Da bin ich Rosa von Praunheim dankbar. Der hat mit "Nicht der Homosexuelle ist pervers..." viel verändert. Das war ja der Aufruf sich nicht zu verstecken und klein zu machen, sondern sich zusammenzuraufen und zu gucken, was ist. Das der Film heute noch so dermaßen aktuell ist, das ist einfach schrecklich. Die ersten Gleichaltrigen kamen so mit 19 in mein Leben. Da bin ich halt so rein gewachsen. Vorher waren das eher Ältere. Ich hab vorher nicht nach gleichaltrigen Schwulen gesucht. Einmal hat sich ein Mitschüler in mich verliebt. Ich konnte damit nicht umgehen, und es auch nicht glauben, das jemand mich liebt.
Das Kino
Im Schwuz waren mir alle sehr wohl gesonnen. Aber richtige Freunde waren das nicht. Ich hatte viele flüchtige Bekanntschaften, auch sehr nette Leute, aber richtige Freunde hatte ich erst später. Das war das Schwuz in der Kulmer Straße im Gebäude der H.A.W. - Homosexuelle Aktion Westberlin. Auf Händen bin ich in der Schwulenszene nicht getragen worden. Ich hatte da schon einige Verehrer, aber da hab ich nicht besonders gut mit umgehen können. Ich war gerade der Hölle der Eltern entronnen, und suchte nicht die Arme eines Liebhabers. Ich hatte da nicht so arg viel Freunde. Da haben sich keine ernsthaften Beziehungen ergeben, bis auf eine Ausnahmen, jemand aus dem Schwuz, aus dem Vorstand, eine gute Seele, der so ein bißchen der Pappa-Ersatz war. Ich bin dann aus der Jugendgruppe raus und hab angefangen, viel am Tresen mitzumachen.Und ich habe das Kino im Schwuz aufgebaut! Ich wollte schon immer was mit Film zu tun haben. Mein Traum war Filme machen. Ich hatte als Kind schon eine Super-8-Ausrüstung, und es war ganz spannend, sich in diese Welt vorzuarbeiten. Das Schwuz war im Hinterhof in der x-ten Etage. Da haben wir mit 16mm die Filme vorgeführt, und es sind tatsächlich Leute gekommen und haben sich das angekuckt. Das fand ich toll. Wenn man sich was ausdenkt, um Leuten einen schönen Abend zu machen. Ich hatte schon immer so'n Hang zum Entertainment und zum Tingeln, und davon hatte das was. Wenn du dich selber an die Kasse stellst. Und deine 3 Mark Eintritt nimmst.
Die Arbeit
Ich bin weiter in der Nähe meiner Eltern zur Schule gegangen, weil ich schon mein Abitur wollte. Ich hab da keine Bekannten getroffen, weil ich bin ziemlich einsam und allein aufgewachsen, aber es war trotzdem kein gutes Gefühl. Die Gesamtschule hat mich total unterfordert. Aber ich hatte niemand, der sagt, mensch, geh doch auf ne Realschule, oder ein Gymnasium, das schaffst du doch. Das einzige was ich von meinem Papa immer gehört habe war, der soll so schnell wie möglich seine Lehre machen, damit er mir nicht mehr auf der Tasche liegt. Meine Schwester, bei der ich gewohnt habe, ist dann gestorben, Es war schön, das wir uns vorher noch mal ausgesprochen haben. Aber dann bin ich mit 17 doch von der Schule abgegangen. Und hab mich entschieden, richtiges Kino zu machen. Ich bin damals oft ins Schlüterkino gegangen, da konnte ich mal Gefühle erleben, die positiv sind. Und mußte nicht immer soviel Scheisse um mich rum sehen. Ich finde das ganz legitim, sich bewußt zu vergnügen, von Streß und Depressionen runter zu kommen. Mit meinen Eltern damals, das war schon am Rande des Wahnsinns. Und im Kino konnte ich davon runterkommen. Familienersatz für mich war das Kino. Das Kinomachen mit andern Leuten, mit denen ich 5 Tage die Woche 10 und mehr Stunden zusammen war.
Das Vertrauen
Mir ist mal was ganz schlimmes passiert. Als noch ganz klein war, so 3 oder 4, haben sich meine Eltern gestritten, dann wollte meine Mutter sich umbringen. Sie hat mich mitgeschleift in den Sachen, die gerade anhatte, und wollte auf der Avus einen Unfall bauen. Uns umbringen. Das hat sie die ganze Zeit gesagt. Und wenn man so klein ist, dann vertraut man dieser großen Person. Ich dachte, o.k. sie hat entschieden, wir müssen das Leben beenden, das ist jetzt das richtige, und ich liebe dich so sehr, ich mache das jetzt. Ich saß hinten und sie saß vorne. Vollkommen hysterisch. Und sie hat's natürlich nicht gemacht. Und das war fast noch schlimmer. Du kannst doch in so einer Frage nicht mal Hü und mal Hott machen. Mit so einem kleinen Kind! Das hat mich tief verstört damals. Obwohl ich verstanden habe, das meine Mama eigentlich nur vollkommen hysterisch war. Aber das kann man nicht machen. Das geht nicht! Dafür sind solche Wesen zu zart. Das hat das ganz tiefe Vertrauensverhältnis gebrochen, was man als Kind zu seiner Mutter hat. Wenn ich denen nicht trauen kann... das tut weh... Da weiß man nicht mehr, wo oben und wo unten ist.
Die Veränderung
Meine große Sorge war, verletzt zu werden, wie damals bei meinen Eltern. Da mag man dann ja nicht mehr hingehen, man mag das von sich wegdrängen. Deshalb hat das so ewig lange gedauert. Ich war immer überall das jüngste Kücken. Die Panik, 30 zu werden, die kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Alt werden finde ich überhaupt nicht schlimm. Einmal saß ich bei jemand auf dem Schoss und der hat mich nach meinem Alter gefragt, und ich dachte, warum soll ich jetzt lügen, da hab ich ihm mein wahres Alter gesagt, und ich war ihm zu alt. Der stand auf 15, 16jährige und ich war schon fast 20. Sowas. Aus dem gleichen Gefühl, das ich damals gewonnen habe, mein Leben verändern zu können, auch sehr schmerzliche Probleme angehen zu können, hab ich mich dann, nach 15 Jahren, mit meinen Eltern wieder versöhnt. Weil ich auch weiß das meine Eltern bald sterben werden. Ich finde es ganz wichtig, sich auch zu verzeihen. Wenn ich mir selber begegne bin ich auch nicht froh darüber, wie viele Leute ich verletzt habe, wie vielen Leuten ich Unangenehmes zugefügt habe. Eigentlich wollte ich das gar nicht. Und vielleicht wollten andere Leute das auch nicht bei mir.
Die Eltern
Ich habe meine Eltern schon immer lieben wollen, und habe sie schon immer geliebt. Das sind meine Eltern. Die haben mich geprägt. Stell dir eine kleine Pflanze vor. Die kann auch nur so aufwachsen, wie die Umgebung ist. Ob's Sonne gibt oder nicht, ob sie Platz hat oder nicht... Damals haben sie das nicht wahrgenommen, das war sehr schlimm für mich. Aber sie haben auch selber... also, die haben ihre Kindheit, ihre Jugend im Krieg verbracht. Das stell' ich mir auch nicht lustig vor. Das ist der Horror auf Erden, nachdem was sie mir erzählt haben. Das rechtfertigt nicht ihr Verhalten. Aber sie hatten auch keine Chance was anderes zu lernen. Das fängt damit an, das mein Vater als Kind seinen eigenen Vater aus der Kneipe holen mußte, wo er das Geld versoffen hat. Daß also mein Papa auch schon ganz früh erwachsen sein mußte. Meine Eltern haben mir was böses angetan, aber ich liebe sie trotzdem, ich kann ihnen verzeihen. Ich bin ganz froh diese Trennung hingekriegt zu haben.

Das war eine sehr schwierige und langwierige Geschichte. Aber sie lag mir eben am Herzen.

helmi: "..., nach 15 Jahren, mit meinen Eltern wieder versöhnt. Weil ich auch weiß, daß meine Eltern bald sterben werden. Ich finde es ganz wichtig, sich auch zu verzeihen." ab da hatte ich Tränen in den Augen. - Ist es eigentlich normal, dass so viele von uns, Probleme mit ihren Eltern hatten (ich auch), sich von allem Möglichen frei machen mussten, um dann später zu erkennen, dass man doch wieder nicht im Streit auseinander gehen mag, z.B. wenn der Tod der Eltern naht/ bei manchen auch eher.