Wie die Regierung
den Polit-Hooligan erfand

warum das nett gemeint war, aber doch sehr beängstigend ist


Auch beliebte Stars der Medien und sogar der mittigen Linken sind schon auf McDonalds Filialen und derlei kapitalistische Symbole losgegangen. Man hatte sie als Globalisierungsgegner bezeichnet, und das klang bisher irgendwie glorreich. Respektierlich sogar. So schrieb Alan Posener in einem Kommentar in der Welt am 16. Juli: »Wenn der konservative Kommentator Roger Scruton im britischen Daily Telegraph die Krawalle von Göteborg als angemessene Reaktion auf die Entmachtung des Nationalstaats durch supranationale Bürokraten verteidigt; wenn Papst Johannes Paul II mahnt, die Globalisierung dürfe sich nicht im weltweiten Götzendienst am Profit erschöpfen...«.  Ja, der Globalisierungsgegner ansich verkörpert auch in den Augen der Konservativsten das Gute. Musste man dem Kind also einen anderen Namen geben, weil es ungezogen geworden war?

Bis vor einem halben Jahr waren Polit-Hooligans selten und dem Wortstamm entsprechend wurden ausschließlich Rechten so tituliert. Amnesty International bezeichnete 1998 die Äußerungen von CSU-Abgeordneten als »Entgleisungen von Polit-Hooligans«. Vier Jahre zuvor tauchte der Begriff des öfteren in einem internen Streit der rechts-konservativen STATT-Partei auf. Ein Flügel hatte sich von der Hauptpartei abgespalten und wollte den Vorsitzenden Mike Bashford nicht mitwählen. Bashford warf den Dissidenten daraufhin Rechtsextremismus vor und bezeichnete sie als Polit-Hooligans. Bis Januar 2001 bedeutete der Begriff also soviel wie: Du bist ein Nazi, aber weil du nicht mit Baseballschlägern herum rennst, häng ich noch ein Polit vor das Hooligan.

Sicher besteht die Möglichkeit, dass bei manchem Journalisten Verwirrung darüber herrscht, wer da eigentlich von einem Gipfel zum nächsten hoppt. Alan Posener beschrieb die Verwirrung in erwähntem Kommentar in der Welt: »"Stoppt die Globalisierung! Arbeit für Millionen statt Profit für Millionäre!" Eine Parole der Demonstranten gegen das G8-Treffen in Genuas? Nein, die letzte Mai-Losung der NPD.« Doch meist wissen Journalisten recht gut, mit wem sie es zu tun haben. Selbst Posener weiß das, auch wenn er den Papst da hinein mischt.

Vieles spricht dafür, dass andere das Wort als passend entdeckt haben. Zum ersten Mal in Bezug auf Linke taucht der Begriff im Fokus auf: »Die Polit-Hooligans um Fischer und Cohn-Bendit« heißt es dort am 29. Januar 2001. Das wird Josef nicht gepasst haben. Da wollte ihm sein früherer Parteifreund Schily schnell das Stigma vom Leib schaffen. Es musste also positiv gewendet werden. Das hat er aus den Identitätsdebatten der 80er und 90er gelernt. So ein Regierender kann sich jedoch schlecht selbst als Polit-Hooligan bezeichnen. Also schiebt man es dem Globalisierungsgegner in die Schuhe. Der ist mindestens so integer, wie der putztruppende Fischer es war.

Zudem mögen die Schröders und Schilys das Gipfel-Hopping selbst so gerne. Gerhard ist ohnehin beleidigt, weil die Globalisierungsgegner noch nicht begriffen haben, dass er als Führer der Arbeiterbewegung eigentlich an ihrer Spitze stehen müsste. Fragt sich nur, warum die Herren und Damen Redakteure noch nicht bemerkt haben, dass der Polit-Hooligan ein durch und durch positiv zu bewertendes Individuum ist. Ausgerechnet die Welt und die Financial Times Deutschland scheinen davon eine Ahnung zu haben. Deren Kommentatoren erlauben sich, ein bisschen zu analysieren. Wahrscheinlich weiß man dort, dass es spätestens in zwei Jahren massenproduzierte T-Shirts mit dem Aufdruck Polit-Hooligan geben wird. von Zynthia

etuxx
Krawalltourist: www.wissen.de - POLITIK: Gemeinschaftsgestaltung, die auf die Durchsetzung von Vorstellungen zur Ordnung sozialer Gemeinwesen und auf die Verwirklichung von Zielen und Werten gerichtet ist. HOOLIGAN: 1.Halbstarker, Rowdy, vor Gewalt nicht zurückschreckender Mensch (bes. bei öffentl. Großveranstaltungen wie Fußballspielen u. Popkonzerten auftretend) 2 jmd., der sich rücksichtslos über die Rechte u. Interessen anderer Personen hinwegsetzt.  
Krawalltourist: Und genau das machen wir, und zwar nicht aus Selbstzweck, sondern mit dem Anspruch, für eine bessere Welt zu kämpfen. Genau wie sich vorher Politikerhooligans und Wirtschaftshooligans rücksichtslos über unsere Interessen hinwegsetzen. Es kommt nicht auf den Begriff an, sondern auf die Bewertung (allerdings steckt in jedem Wort schon etwas Wertung). Würden wir friedlich demonstrieren, nähme uns kaum jemand war. Und ernst schon gar nicht.  
verzweifelte frage: ich wünsche mir, dass hier nicht schon wieder diese "gewaltdiskussion" aufgemacht wird, die die bürgerlichen medien uns aufzwängen wollen. angesichts der für mich als vorsätzlich zu sehenden tötung eines militanten demonstrierenden und des brutalen überfalls des indimediazentrum ist es für mich unerträglich, eine auf solche scheinmoralitäten aufbauende "differenzierung" zu betreiben.  
verzweifelte frage 2/3: was mich aber wirklich an dieser diskussion abschreckt, ist, dass es hierbei nie wirklich um die frage der wirksamkeit der aktionsformen geht. die "gewaltfreien" bilden sich viel auf ihr konsensgehabe ein, die militanten sehen auf jeden, der keine steine schmeisst, selbstherrlich herab. mein eindruck ist, dass die unterschiedlichen protestformen schon so weit von den bürgerlichen propagandaapparaten vereinnahmt sind, dass sich die frage stellt, ob solche herrschaftsinzenierungen wirklich eine geeignete angriffsstelle für den widerstand darstellen.  
verzweilte frage 3/3: die wirklichen entscheidungen werden zwischen den gipfeln, im "ganz normalen" politischen alltag vorbereitet, getroffen und umgesetzt. wie könnte darauf eingewirkt werden?  
anmerkung: Der zwanzigjährige Carabinieri hat - wenn man den Bildern/seriösen Medien/Erfahrung vertraut, in hysterischer Notwehr gehandelt, als er den zwanzigjährigen Genuapunk und Sohn eines kommunistischen Gerwerkschafters ins Gesicht schoß. Das entschuldigt nix. Ich weiß! Indimedia Berlin wiederum geht davon aus, dass der Schwarze Block sowieso nur aus Bullenprovokateuren bestand. Das ist natürlich Quatsch. Augenzeugen berichten dann, dass gefangene Demonstranten in italienischen Polizeistationen vor Mussolinibildern aufs schwerste3 mißhandelt worden sind. Tolles vereinte Europa - Hüterin der universellen Menschenrechte.  
anmerkung 2: Militär- und Polizeiapparat in Italien sind tradidionell faschistisch. Remember Bomben auf das rote Bologna mit Segen des Vatikans und der CIA. Die Gerichte und der Staatspräsident sind es nicht. Bella Ciao! Italien ist anders! Die feigen Schüsse in den Rücken in Göteburg im sozialdemokratischen, piefigen Schweden sind der Skandal. Das war feiger Mord und nix anders!  
nn: in der "anmerkung" purzelt zu viel durcheinander. womöglich damit diskutiert wird, also bitte: natürlich ist italien eine schöne gegend. und wenn es dort faschistische bullen gibt: die brd hat sie schon längst zu bieten. davon wird aber carlos erschießung nicht weniger schlimm als z.b. die in schweden. (habe ich falsch verstanden, wolltest du das gesagt haben?) beide male zeigt sich, wozu bullen da sind: ein repressiver staatsapparat, bewaffnet. solche bewaffneten kräfte umstellen den raum, in dem wir uns politisch äußern können. egal, in welcher staatsform und von welcher partei regiert. übrigens wurden auch hierzulande schon leute erschossen, die sich an spielregeln nicht halten wollten.  
nn: wer seine eltern waren und ob carlo manchmal gekifft hat, das ist für den schuss unerheblich. der bulle konnte davon nichts wissen, aber die meisten medien drucken es ab zur erklärung. und wie du auch, nennen sie da etwas "notwehr", also handeln in einer bedrohung, die groß genug ist zur trübung des urteils. hinter so einer wirklichen oder behaupteten angst verschwindet manches: der bulle hat gelernt, auf den kopf zu schießen (er muss schießen geübt haben); auch muss jemand ihm einen einsatzplan gemacht haben (mit notfalls vorgesehenen schüssen); die einsatzpläne wurden in auftrag gegeben, damit andernorts wichtige leute ungestört gemeinsame taten verabreden konnten; usw.  
mausebär: ein vorschlag zur lavabekämpfung am ätna: mehrere hundertschaften italienischer carabinieri bilden ein menschliches schutzschild! (...das wird sowieso gelöscht...)  
mausebär: ein paar bilder für den hass...  der tod von carlo giuliani
der tod von carlo giuliani: der obige link stimmt nicht mehr. - hier der neue.  
mb: s.o.  der tod von carlo giuliani
Sascha B.: Der Bericht von Christian Ströbele und Annelie Buntenbach:  hier.
Sascha B.: Habt Ihr Genua schon vergessen? Oder warum tobt nicht HIER die Debatte darüber, wie es weiter gehen kann und sollte?!  
nn: weil der artikel oben von journalismus und von bürgerlichen politikern handelt.  
Brenda: Als ob sich die Diskussionen nicht fast immer von der "eigentlichen" Fragestellung entfernt hätten, Liebste.  
Sascha B.: Da kann ich Brenda nur unterstützen: Diskussionen hier auf ETUXX sind noch selten den Texten, häufiger aber den Themen gefolgt. Bestes Beispiel dafür: der "Beckham-Punk-Foo", den CS und ich "aus Spass" hier reingesetzt hatten - und aus dem sich plötzlich eine ziemlich ausführliche Diskussion über Punk-Identität entwickelte...  
nn: eine solche debatte findet hier aber nicht statt und das hat gründe, über die zu reden vielleicht schwer ist. ich glaube einfach, aus wut und verzweiflung lässt sich kaum (gute) politik machen. das erklärt nicht viel. aber auf keinen fall will ich mich mit fragezeichen-ausrufezeichen anrempeln lassen, ob ich denn ein ereignis vergessen hätte, das erst vier wochen her ist.  
Sascha B.: "Anrempeln": nn, da warst Du nun wirklich nicht gemeint! Und die Gemeinten werden sich hier nicht äussern; das hätte mir eigentlich klar sein sollen, stimmt! (Wie bei den Männergruppen - da gehen vor allem die nicht hin, die eine solche soziale Selbsttherapie am nötigsten hätten...)  
Alan Posener: Vielen Dank fürs Zitieren meiner Artikel.