Cubanischer S D
Ja ja, wahrscheinlich war es schon damals ein Irrtum. Auf meinem ersten CSD, in Hamburg, es war im Orwell-Jahr 1984, lief ich mit, weil ich tatsächlich noch glaubte, homo zu sein, bedeute, etwas ganz anderes zu sein, etwas das in die gesellschaftlichen Strukturen revolutionär hineinwirken werde, wenn es nur von möglichst vielen offensiv und machtvoll praktiziert würde.

Mein nur wenige Monate zuvor im privaten Kreis stattgefundenes Coming Out bekam dadurch auf der Mönckebergstraße zwischen Karstadt und Horten eine politische Dimension, die für mich durchaus revolutionär war. Die vielen bösen Bemerkungen und Blicke von Bürgers am Rande der Demo verstärkten mein Gefühl. Homosein war Provokation und mehr. Es war das Versprechen, das in den 70er Jahren der Franzose Guy Hocquenghem (allein dieser Name!) als homosexuelle Weltanschauung titulierte und in seinen Schriften über Die Schwulen und die Revolution im Detail ausführte.

Ich brauchte dann noch einige Jahre um mir sicher zu sein, daß sich der Franzose geirrt hatte, zugegebenermaßen nicht ohne schmerzvolle Erfahrungen. Daß es dann doch noch einige Jahre waren, lag sicher auch daran, daß es die alternativen homos gab, die Verknüpung von politisch linken Homos zum mehr oder weniger homo Autonomen, und daß es Homoland gab, diese lockeren Gruppierungen derselben innerhalb der großen Städte und zweimal im Jahr auf dem Land.

Nun aber ist der Irrtum amtlich. Auf seinem Prüfstempel steht der Name Wowereit. Daß ausgerechnet ein sich als selbstbewußt homo gebender Politiker zum Hoffnungsträger einer ganz und gar bankrotten Stadt wird, mag Ironie der Geschichte sein. Klaus Wowereit jedenfalls ist der erste Politiker, der nachdrücklich betont, er werde als homo auch keine andere Politik machen, als die seiner hetero Kollegen. Angepaßtheit ist damit endgültig zum Gütesiegel geworden. Wen wunderts da noch, daß selbst die Springer-Presse den homo aufs Tablett hebt. Denn mit ihm feiert der gesellschaftliche Zwang zum Konformismus seinen Endsieg, der -abermals eine Ironie der Geschichte- zeitgleich mit dem CSD einhergeht. Der schleichende Perspektivverlust ist auf dem Nullpunkt angekommen und ein CSD, der einen solchen Politiker als den ihren feiert, hat sich endgültig ad absurdum geführt - abgesehen vom Spaßfaktor natürlich. Stonewall was a riot!. Der vor wenigen Jahren durchaus noch als Provokation empfundene Imperativ an die community gerichtet ist nunmehr endgültig eine kaum mehr vermittelbare Erinnerung. Er ist, wenn nicht lächerlich, so doch zum Anlaß milden Lächelns geworden.

Ich lächle nicht. Jedenfalls nicht darüber. Meine Suche nach gesellschaftlichen Alternativen habe ich nicht aufgegeben. Stonewall - da war doch was? Nun findet -zeitgleich zum CSD, allerdings im Ostteil der Stadt Berlin- kein alternativer CSD statt, nein, sondern der Internationale Kuba-Solidaritätskongress. Da werde ich wohl hingehen. Denn da ist es Wunsch und Wille, über Perspektiven zu reden, gesellschaftlich, politisch. Schon werde ich mahnend darauf hingewiesen, wie schlecht es doch den Homos in Kuba ergangen ist und wie sehr sie auch heute noch unter dem sozialistischen Regime des alten Castro leiden.

Der Zeigefinger wird - wohlgemerkt - gerade in linken Homo-Kreisen gern erhoben. Und fast klingt es so, als solle man gerade deshalb die Veranstaltung besser boykottieren, ebenso wie den CSD, nur eben aus anderen Gründen. Nun, diejenigen, die an diesem Wochenende handlungsunfähig geworden sind und deshalb lieber zu Hause bleiben, lade ich zu einer Ost-West-Rundreise ein. Wie wäre es, sich dabei was Nettes anzuziehen? Es muß ja nicht immer ein Khaki sein.

-- von OnAn OnAir

Cuba
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Rebecka: Kann mich mal jemand über den Bacardi-Boykott aufklären?  
Sascha B.: Es handelt sich um eine Unterstellung des Autors, mehr nicht. Ebenso wie im Falle Wowereit. Ich fand dessen Satz: "Ich bin ein schwuler Politiker, aber kein Schwulenpolitiker." sehr nachvollziehbar. Frag´ einen politisch engagierten Migranten, was er davon hält, immer nur und per se für "Ausländerpolitik" zuständig zu sein. Als Hetero wäre ich doch politisch nicht anders verortet als jetzt!  
OnAir: Sascha, hast Du zuviel Rum getrunken, oder was? Natürlich gibt es einen Baccardi-Boykott. (Mehr dazu demnächst.) Und was den Wowereit-Satz angeht: natürlich ist das nachvollziehbar, mehr aber leider auch nicht. Perspektivisch betrachtet hätte die Äußerung nicht langweiliger und stinomäßiger ausfallen können. Und sie mußte ja auch so ausfallen; sonst wäre Klaus ja nicht hoffähig oder stubenrein geworden.  
Sascha B.: Ich meinte gar nicht den Barcadi-Boykott, sondern Deine Unterstellung im letzten Absatz Deines Textes, es werde zum Boykott dieser von Dir empfohlenen Veranstaltung aufgerufen... Die Diskursebene "Hast Du zuviel getrunken, oder was?!" würde ich Dir dringend empfehlen, "unter den Tisch fallen zu lassen" (öhöm)! Ja, erzähl mal was von Deiner Perspektive ("perspektivisch gesehen" - was für eine Null-Phrase!)! Ich bleibe dabei: Für einen SPD-Politiker war es sehr in Ordnung, was Wowereit gesagt hat.  
OnAir: Was heißt denn "für einen SPD-Politiker..."? Dein Verständnis für SPD-Politiker in allen Ehren, es führt nicht weiter (und ist nicht einmal dialektisch, weil Deine eigentliche Meinung dadurch nicht transparent wird). Ich habe auch nie unterstellt, es sei zum Boykott der Veranstaltung aufgerufen worden (s.o.). Was die Frage zu meinen Perspektiven angeht, so kann ich das in dem Boxring, den Du da gerade aufmachst, schwer zum Besten geben.  
OnAir: Hola Rebecka, ich wollte eigentlich selbst noch was zum Bacardi-Boykott und der Geschichte dazu schreiben, die sich wie ein Krimi liest. Der Einfachheit halber verweise ich hier auf eine Seite, die ganz gut die Chronologie wiedergibt. Die Verflechtungen von Bacardi mit der US-Regierung (und deren anti-cubanischer Gesetzesregelungen) gehen aber noch weitaus tiefer als dargestellt. Vielleicht mehr dazu zu einem späteren Zeitpunkt. In Schottland ist gerade (am 27.6.) eine konkrete Kampagne angelaufen, über die ich noch zu berichten versuchen werde. Aber hier erst mal  einige Details
Nachrichten Teil 1: (afp/dpa/OA) US-Präsident Bush hat jetzt die umstrittene Klagemöglichkeit gegen ausländische Firmen als Teil der amerikanischen Kuba-Sanktionen weiter ausgesetzt. Konzerne aus Drittstaaten, die mit Kuba Handel treiben, sind damit zumindest bis Ende Januar 2002 vor Klagen in den USA sicher. Bush gab zu verstehen, daß er wie schon sein Vorgänger Clinton aus Rücksicht auf die europäischen Verbündeten vorgeht. Die anti-kommunistische Kubanisch-Amerikanische Nationalstiftung (Cuban American National Foundation) akzeptierte die Entscheidung. Das so genannte Helms-Burton-Gesetz von 1996 zielt auf die internationale wirtschaftliche Isolierung Kubas ab.  
Nachrichten Teil 2: Zum ersten Male werden Konzerne aus Drittstaaten, die mit Kuba Handel treiben, von den USA mit Strafmaßnahmen belegt. Bush hatte in der vergangenen Woche einen US-kubanischen «Falken», Otto Reich, zum Abteilungsleiter für lateinamerikanische Fragen im Außenministerium nominiert. Er hatte zugleich angekündigt, bestehende Kuba-Sanktionen zu verschärfen. Er will Reisen nach Kuba und Geldüberweisungen durch Exilkubaner an ihre Verwandten auf der Insel einschränken. Außerdem soll versucht werden, das Stören amerikanischer Radio- und Fernsehsendungen nach Kuba zu unterbinden.  
Nachrichten Teil 3: Jesse Helms, Ko-Autor des Sanktionsgesetzes, zeigte sich befriedigt über die «sehr harte Linie» gegen Kubas Staatschef Fidel Castro. Die kubanische Wirtschaft hat durch die Sanktionen der USA im vergangenen Jahr Einbußen in Höhe von 4,3 Milliarden Mark erlitten.