NACHHOLBEDARF?
Deutsche Kinder auf Abwegen.

Deutschsprachiger HipHop ist authentisch - gar keine Frage. Solange ihn die Kids ernst nehmen, und das tun sie, sollten ihn auch seine Kritiker ernst nehmen. Es gab einmal die "Hoffnung", aus den türkischen Communities hierzulande könnte etwas ähnlich "ghettomäßiges" kommen wie aus der South Bronx. Aber "Cartel" blieben ein nahezu singuläres Phänomen.

Die jungen Türken in Deutschland sind allerdings in vielerlei Hinsicht "näher dran" am US-HipHop als die meisten Blankeneser, Zehlendorfer oder Schwabinger Rapper. Eine zur Zeit stärker werdende Fraktion deutscher MCs versucht aber offenbar, das amerikanische Schisma Eastcoast vs. Westcoast zu adaptieren und sich hart, härter, am härtesten als "Gangsta" darzustellen. In's Deutsche übersetzt, heißt "Gangsta" hier: Prolet.

Darüber kann man sich lustig machen (darüber sollte man sich auch lustig machen, unbedingt!), aber wem am HipHop gelegen ist, der wird sich doch eingehender damit befassen müssen (und Sorgen machen dürfen). Frauenfeindlicher und homophober Rap ist auch dann nicht progressiv, wenn er sich auf schwarze amerikanische Vorbilder beruft.

Das Missbehagen daran, dass es dem deutschsprachigen HipHop bisher an "Roughness" und "Toughness" und "Realness" fehlte, ist sogar nachvollziehbar. Aber den Proletrappern fehlt etwas Entscheidenderes: Mut nämlich und Denkvermögen. Sie wenden sich nicht gegen politische, soziale und ökonomische Missstände. Da gäbe es Gegner genug, die ihnen offenbar aber zu mächtig sind. Sie gehen, wie alle Rechten, den einfacheren Weg: sie greifen Schwächere an, ohnehin schon Diskriminierte. Der erste Rap, in dem körperlich und geistig Behinderte "gedisst" werden, wird nicht lange auf sich warten lassen (oder es gibt ihn schon).

"Hatespeech" hat in den aggressiveren Teilen emanzipatorischer Bewegungen durchaus eine (immer problematische) Tradition. Aber für die Emanzipation welcher Minderheit stehen vierzehnjährige weiße deutsche Sackhosenträger, die, angeheizt von schlechten DJs und noch schlechteren MCs, "Fotzen müssen genagelt werden!" und "Schwule Sau, ich töte dich!" brüllen?

Oder sollten wir dankbar dafür sein, dass die deutschen Proletrapper auch musikalisch tatsächlich so schlecht sind, dass eigentlich niemand sie hören kann, der - tja - schon einmal amerikanischen Gangsta-Rap gehört hat?

 

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