Homosexualität und Behinderung.
Ein Positionspapier.
von Ralf Buchterkirchen

Über Homosexualität darf jetzt gesellschaftlich gesprochen werden. In den eigenen vier Wänden darf sie auch praktiziert werden, aber bitte nicht zu offen und nicht zu öffentlich. Wer von dem heterosexuellen, schwulen, zum Teil auch lesbischen "Normalen" abweicht, hat dagegen weiterhin mit Diskriminierungen sowie psychischer und physischer Gewalt zu kämpfen.

Vorurteile, Benachteiligungen und Hass schlagen auch Menschen mit Behinderungen entgegen. Sexualität wird ihnen vollkommen abgesprochen. Verstärkt wird dies noch, wenn der/die Behinderte schwul oder lesbisch ist oder - schlimmer noch - überhaupt nicht in binäre Geschlechternormen passt.

Folgende Thesen wollen zur Diskussion über das Thema anregen. Sie sind eine stark gekürzte Fassung eines Thesenpapiers, welches für eine gemeinsame Tagung der BAG queer der PDS, gemeinsam mit der AG Selbstbestimmte Behindertenpolitik der PDS, vorgelegt wurde.
 
+++ gemeinsame Tagung der BAG queer der PDS und der AG Selbstbestimmte Behindertenpolitik der PDS +++ am 17.4. in Berlin Karl-Liebknecht Haus, Alexanderstr.28 11:00 +++ Kontakt +++ Wer den kompletten Text oder weitere Infos möchte: +++ bundessprecherinnenrat@pds-queer.de
 


1. Sexualität stellt einen wichtigen Lebensbestandteil dar. Hier ist es besonders einfach, Normalitäten, Hierarchien, Abhängigkeits- und Machtverhältnisse zu erzeugen.

2. Im Zusammenhang mit dieser Kategorisierung kommt es zu einer hierarchischen Anordnung von Individuen, bei denen man sich selbst an die Spitze stellt. Innerhalb einer lesbisch-schwulen Community werden Menschen diskriminiert, die von einem schematischen Schönheitsmuster abweichen. Menschen mit Behinderung sind davon besonders betroffen. Innerhalb einer Community behinderter Menschen kommt es zur Ausgrenzung von gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen. Behinderte Lesben und Schwule unterliegen damit einer doppelten Diskriminierung.

3. Behinderte Menschen gelten innerhalb des heterosexuellen und homosexuellen Mainstreams als sexuell neutral. Eine Gesellschaft, die ganz binär in allen Belangen zwischen "Mann" und "Frau" unterscheidet, tut dies bei behinderten "Männern" und "Frauen" nicht. Sie werden zu Menschen mit Behinderung zusammengefasst. Dies geschieht nicht aus einem Moment queerer Bewegung, sondern beruht auf dem Grundkonsens der Gesellschaft, Menschen mit Behinderungen eine Sexualität abzusprechen.

4. Andererseits besteht gegenüber Menschen mit Behinderungen die Vorstellung unkontrollierbaren Verhaltens, das sich auch auf die Sexualität erstreckt. Aus Ignoranz und vielleicht unterbewusstem Selbstschutz wird diese tabuisiert. Dieses Tabu hat schwerwiegende Auswirkungen. Behinderte Menschen werden nur unzureichend über Sexualität, Prävention und sexualisierte Gewalt aufgeklärt. Daraus folgend werden Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung häufig Opfer sexualisierter Gewalt und haben ein höheres Risiko für sexuell übertragbare Krankheiten.

5. Innerhalb der lesbisch-schwulen Szene existierende Vorurteile haben zu einem wirksamen Ausschluss von Menschen mit Behinderung geführt. Das wiederum verstärkt die Unsichtbarkeit dieser Gruppe. Barrierefreie Zugänge als Minimumvoraussetzung zur Teilhabe sowohl bei Projekten als auch innerhalb der Partyszene sind selten vorhanden.

6. Das existierende Ideal von Ästhetik und Schönheit und der übersteigerte Körperkult vor allem innerhalb der schwulen Szene grenzt alle nicht dem Ideal entsprechenden Menschen aus. In einer solchen Szene werden Behinderte häufig nur als Fetisch wahrgenommen.

7. Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem Anspruch von queer und der praktischen Umsetzung der Einbindung von Menschen ausserhalb der Norm. Queer ist derzeit eine Theorie des weissen Mittelstandes. Diesen Zustand gilt es zu überwinden.

Mögliche Ansatzpunkte zur Änderung der Situation:

1. Bildung und Aufklärung sind die wichtigsten Mittel, um Unkenntnis und Vorurteilen zu begegnen. Integrative Kindergärten, Schulen und weiterführende Bildungseinrichtungen unterstützen das gegenseitige Kennenlernen und ermöglichen allen eine gleichberechtigte Entwicklung, bei der Stärken und Schwächen Berücksichtigung finden. Wichtig ist das Abbauen bewusster Ängste und Vorurteile bei nicht behinderten Menschen.

2. Intensive Aufklärung unter Einbeziehung der Menschen mit Behinderung und der Pflegebedürftigen hilft, den eigenen Körper und die eigene Sexualität zu entdecken und zu akzeptieren. Gleichzeitig wird ein selbstbestimmter Umgang mit Sexualität gefördert und die Ohnmacht gegenüber sexuellen Übergriffen aufgebrochen.

3. Die lesbisch-schwule Community hat eine besondere Aufgabe sich zu öffnen und gleichberechtigt, wertfrei und akzeptierend auf lesbische und schwule Behinderte zuzugehen und diese in die Szene zu integrieren. Aus eigenen Diskriminierungserfahrungen sollten Probleme von Menschen mit Behinderung leichter zugänglich sein. Konkrete Ansatzpunkte sind:

- Barrieren in allen Bars, Kneipen, Beratungsstellen und Zentren müssen weg! Das bedeutet: Türen mit 80 cm Breite, keine Stufen, brauchbare Toiletten, im Idealfall elektrische Türen. Auch ein Zugang zu Darkrooms ist zu gewährleisten. Nicht rollstuhlgerechte Einrichtungen in Stadtführern und auf Internetportalen benennen. Das gilt auch für nicht rollstuhlgerechte Klappen und Parks.

- Informationen, Zeitungen, Zeitschriften und Bücher in Blindenschrift auf Kassette und Diskette übertragen. Internetportale, deren Aufbau und Informationsgehalt auf sehbehinderte Menschen orientiert ist.

- In lesbisch-schwulen Beratungseinrichtungen Schreibtelefone oder Faxe integrieren. Für alle Veranstaltungen sollte versucht werden, Gebärdendolmetscher zu organisieren. Nicht gehörlosengerechte Veranstaltungen müssen als solche im Vorfeld benannt und beworben werden.

- Aufklärung in Behindertenanstalten und Institutionen betreiben! Stellungnahmen gegen sexualfeindliche Massenunterbringungen, in denen Privatsphäre verhindert werden. In lesbisch-schwulen Beratungszentren könnten, sofern sich hier noch keine Änderung ergeben hat, Räumlichkeiten organisiert oder zur Verfügung gestellt werden.

- Beteiligung von lesbischen und schwulen behinderten Menschen an der medialen Präsenz von Lesben und Schwulen. Bekannte lesbische und schwule behinderte Menschen können eine Vorbildrolle übernehmen. Unter anderem werden dadurch positive Identifikationsmöglichkeiten geschaffen.

- Behinderung und Bildern von Behinderung in der lesbisch-schwulen Szene nicht unterschlagen! Durch Sichtbarkeit wird das Selbstbewusstsein behinderter Menschen gestärkt und die Realitätswahrnehmung nicht behinderter Menschen gefördert. Auch in Pornofilmen, Kalendern, Postkartenserien... sollten behinderte Menschen selbstverständlich vertreten sein.