Versuch über
Ulrich, Irmgard und die Knef


Zweiter Teil: Der ontotheologische Aspekt

Leseversion



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Baella:: Meine liebe Irm, darf ich dich da kurz unterbrechen, das fällt mir nun grad ein. Vielleicht können wir das tatsächlich mal wagen. Dieser Ulrich Michael Heissig, der da so im Hintergrund steht, von dem du auch selbst auf deiner Webseite schreibst, dass es dich ohne ihn gar nicht geben würde, was sehr viel doch zum Ausdruck bringt. Wäre das eigentlich möglich, Irm, wenn du einfach mal in diese Rolle schlüpfst, nun?

Irmgard: Du verlangst wahnsinnig viel von mir, weißt du, ich bin ja hier jetzt überhaupt nicht dressed up, nich? Und meine Maske, es dauert ja Stunden, bis ich mir diese falsche Glatze aufgeklebt habe und bis ich mich also im Badezimmer um Jahrzehnte jünger geschminkt habe. Es ist schon eine wahnsinnige... Und normalerweise ist es so, erst wenn ich in der Maske bin, im Kostüm bin, dann kann ich auch so agieren, wie ich ich es damals an der UFA gelernt habe, in Babelsberg.

Baella: Ja. Eben. Aber wir sind ja im Radio. Insofern brauchst du dieses alles, dieses ganze Visuelle vielleicht auch gar nicht. Also ich kann auch weggucken, vielleicht...

Irmgard: ...ich muss mich konzentrieren, Bella, meine liebe, es ist nicht so einfach...

Baella: Ja also ich fände es schön, wenn wir jetzt diese Interview-Situation etwas abändern, wollte ich sagen und wenn du vielleicht.... Ich stell dir jetzt einfach mal drei vier Fragen als Ulrich Michael Heissig.

Irmgard: Da muss ich erst reinkommen, das dauert vielleicht ein bisschen, bis sich das verschleift hat, bis ich meine Rolle, meinen being-in-character gefunden habe...



Baella: Ulrich, hast du schon immer ein Faible für das andere Geschlecht gehabt, für den Rollentausch, für das Transidentische, wie man es neudeutsch auch gerne nennt?

Ulrich: Ja, ich habe als Kind mir oft überlegt, wie das eigentlich wäre, wenn ich ein Mädchen wäre und hab mich auch oft verkleidet und hab mich anders angezogen, sehr zum Missfallen meiner Eltern, die das dar nicht so toll fanden. Ich habs dennoch gemacht, und hab dann aber spätestens mit der Vorpubertät dann davon abgelassen.
Also in der Kindheit war das sehr viel unbeschwerter dieses Denken. Ich hab auch meine besten Freundinnen gehabt. Ich hatte überhaupt keine Freunde. Ich hatte nur Freundinnen. Ich war dann später auch in meiner Schule, wo ich mit zwei anderen Jungs in der absoluten Minderheit war, in der Klasse. Also ich hatte eine sehr - wie soll ich sagen? - weibliche Sozialisation um mich herum. Das hat schon ein bisschen abgefärbt.


Baella: Kräftig männlich zu sein. Also ich bin gerade sehr irritiert, wie unglaublich überzeugend du deine Rolle als Mann einnimmst; ich muss meine eigene Rolle überdenken. Gibt es eigentlich Vorläuferinnen der Irmgard Knef, wenn es denn eine weibliche Person noch gab, eine weibliche Identität deiner selbst, was weiß ich, bevor du zu Irmgard Knef fandest.

Ulrich: Du meinst jetzt einen Prototyp, oder so was? Das gibt es nicht. Was es gibt, und da sind wir jetzt wieder bei Hilde, das ist eine schon sehr lange Verehrung. Schon in der Jugend habe ich angefangen, als Kind eigentlich, dass ich Hilde so toll fand. Dass ich Hilde absolut irre fand mit ihrer dunklen Stimme, ihren schwarzumrandeten Augen, mit dieser Löwenmähne. Und dann die Schlagzeilen, die sie produziert hat, und damals schon, als ich sechs, sieben Jahre alt war, gab´s schon die diversen Todeskämpfe in diversen Kliniken. Und wo ich erfahren habe, dass sie also, oder wo ich feststellen musste, dass man sich über sie zerstritt am sonntäglichen Mittagstisch. Das fand ich total spannend und das war eigentlich so ein Vorbild. Also es ging sogar soweit, apropos Vorbild, dass also Muttern sagt,: nimm dir mal ein Beispiel an der Knef, die ist so tapfer, und so.

Onair: Tatsächlich?

Ulrich: (lacht): Das hat sie tatsächlich gesagt. Ich erinnere mich daran. Insofern war das ein geistiges Vorbild. Es gab keine Prototypen, dass ich jetzt in eine andere Figur, erst mal in eine andere weibliche Rolle geschlüpft bin. Nein. Und die Irmgard hatte ja auch erst ein sehr spätes Coming Out, nämlich erst 1996 im Café Anal, da war ich immerhin schon ein Knabe von Jahren 30.

Onair: Die Weiterentwicklung der Figur Irmgard Knef, darüber haben wir schon gesprochen, das ist mir jetzt klar. Inwieweit würdest du sagen, entwickelt sich denn die Figur Ulrich Michael Heissig durch die Adaption der Irmgard Knef weiter?

Ulrich: Die muss aufpassen, dass sie nicht ganz aufgefressen wird, also jetzt durch die Darstellung der Irmgard Knef. Weil, es ist ja schon so, dass sehr viel verschütt geht, wenn eine etwas - ich möchte jetzt die Irmgard nicht beleidigen - aber doch eine etwas ältere Dame einen doch etwas wesentlich jüngeren Mann darstellt, da muss man natürlich schon Abstriche machen. Und dass da sozusagen die Authentizität der Darstellung weiterhin rüberkommt, also dass das Publikum auch wirklich glaubt, dass der bei sich ist und dass der Mitte Dreißig ist und dass der jetzt nicht per se zittert oder so, das ist ganz schwer, da muss man also wirklich aufpassen. Dann muss man auch sagen, ok, leg die Rolle anders an, weil das kriegst du nicht mehr hin.

Onair: Gibt es Momente, praktisch, wo du dich ertappst als Irmgard Knef und sagst "um Gottes willen, das möchte ich doch eigentlich gar nicht sein"?

Ulrich: (lacht): Also ich bin dann bei mir, wenn ich nicht mehr an Irmgard denke. Wenn die Irmgard mal sozusagen ihre Klappe hält und mich in Ruhe lässt und auch weder im Darkroom noch im Auto sagt, Kindchen fahr ab, sondern mich so reagieren oder agieren lässt, wie ich das in der Situation möchte.
Aber das wird zunehmend schwerer, weil die Irmgard natürlich schon sehr viel Raum in meinem Leben einnimmt. Und es kostet sehr viel Energie, sich von dieser starken Person - das hat sie ja mit Hildegard gemeinsam - sich davon auch zu emanzipieren, oder sich gegenüberzustellen. Das kostet unwahrscheinlich viel Energie, ne, das kennt man ja.




Baella: Ich muss ehrlich sagen, ich habe jetzt gerade wieder etwas Angst bekommen. Das klingt alles so überzeugend wie du gerade redest, Irm also...

Irmgard: Ja das ist alte Schule...

Baella: ... also dieser Rollentausch ist wirklich... (sie lachen)

Irmgard: Wir haben das ja damals an der UFA in Babelsberg gelernt, nich? Der UFA-Film-Nachwuchs. Die Bongers hat damals dermassen zugeschlagen und immer wieder wiederholt und immer wieder, es ging dermaßen. Sie sagte, eine Figur lebt erst dann, wenn sie auch eine völlig eigene Sprache hat, eine völlig eigene Diktion, einen eigenen Duktus, ein eigenes Denken, nich? Also das ist Stanislawski pur.

Baella: Nun sind wir Gott sei Dank wieder dort angelangt, wo wir starteten mit dem Interview. Ich fühl mich jetzt auch wieder etwas beruhigt. Irmgard, eine letzte Frage, die ich dir dann doch als Resumé noch stellen möchte: Was hältst du eigentlich von dieser ganzen linken Szene, mit der ich ja auch tagtäglich immer noch zu tun habe? Aus der du ja auch zu einem gewissen Grade kommst, und zu der du ja auch zu einem gewissen Grade auch noch Affinitäten besitzt. Gibt es eigentlich noch Berührungspunkte mit einer linken, schwulen, lesbischen, autonomen Szene? Hast du die noch?

Irmgard: Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte sie noch. Es ist so, dass ich mich doch davon sehr entfernt habe, weniger hier ideologisch. Oder weniger inhaltlich theoretisch als vielmehr praktisch. Und das habe ich vorhin schon gesagt, ich wohne ja in meinem Kreuzberger Seitenflügel, bin froh, wenn ich mal alle vier gerade sein lassen kann, nicht? Nach den anstrengenden Tourneen in meinem Alter. Andererseits vermisse ich auch nicht dogmatische Ränkespiele, und ich vermisse nicht irgendwelche unglaublich harten ideologischen Konfrontationen mit einer Lust am zerfleischen, sich das Leben schwer zu machen, wissen s.. weißt du?
Es ist ja so: wenn man am Ende des Lebens steht, man sich sehr genau überlegt, wie man noch seine Zeit verbringen soll und will. Und auf diese Dinge habe ich keine Lust mehr.

Links sein heißt für mich nach wie vor, in Bewegung zu sein, in Veränderung zu sein, lebendig zu sein, weiterhin an die Ideale der französischen Revolution zu glauben und für die zu kämpfen. Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit. Und ich denke, überall, wo das passieren kann, wo das geschieht, da bin ich nach wie vor dabei. Wenn es mir die Zeit erlaubt.

Baella: Irmgard, das war ein wunderschönes Schlusswort. Ich möchte dir ganz herzlich danken für dieses Interview.

Irmgard: Ich danke Dir, meine liebe Bella, vielen Dank.



Baella: Sie haben es selbst gehört, liebe Kulturhausbesucherinnen, Irmgard spricht hier nur von einem Rollentausch, was das Phänomen an sich aber nur vordergründig und scheinbar leicht erklärt. Natürlich war es die dritte Natur der Irm, die hier sprach, und die mit mir selbst in der Gesprächssituation Ungewöhnliches machte. Ich meinte plötzlich, in der Stimme meiner Fragen Onan Onair herauszuhören. Oder war es Monsieur Guillaume Le Trouve-Dusson? Ich konnte mir das nur so erklären, dass das Trinitarische der einen das Trinitarische der anderen zum Schwingen brachte. Resonanzen nennt man das glaube ich. Denn das Ontotheologische hat per se auch einen physikalischen Aspekt. Aber den lassen wir hier lieber.

Sollten Sie sich jetzt noch fragen, was das alles mit ALDI und diesen "Supermärkten der Armen" zu tun hat, tja, dann müssen sie doch mal reinhören.