Transsexuelle und "Männer"
ein paar ungeordnete Gedanken zur Situation in der Türkei
von Koray Ali Günay


Aus der Sicht der Europäer ist es eh klar: Die Bewohner des Mittelmeerraumes sind alle mindestens der Bisexualität gegenüber aufgeschlossen - und damit dem homosexuellen Mann aus dem Norden. Beziehungen mit ihnen sind leidenschaftlich; jeden "Südländer" ist entweder ein dominanter Macho oder eine Trine, die nur auf die OP wartet. (Im Mittelmeerraum - zumal im orientalischen - gilt genau das Gegenteil: Alles was mit Gleichgeschlechtlichkeit zu tun hat, ist eine westliche Zivilisationskrankheit, die viel mit Dekadenz zu tun hat. Aber das ist hier nicht das Thema.)

Wie verhält es sich nun mit dem mann-männlichen Sex, vor allem im türkischen Raum?

Es gibt in der türkischen Sprache viele (!) Ausdrücke, die Männer beschreiben, die sich von Männern ficken lassen. Andererseits gibt es kaum Bezeichnungen für Männer, die beim Analverkehr aktiv sind. Die einen (die Passiven) gelten als Frauen - mit allen negativen Konnotationen -, die anderen hingegen als Männer. Die sexuelle Identität verläuft also nicht über das Geschlecht der Partnerin/des Partners, sondern über die Rolle, die beim Geschlechtsakt eingenommen wird. (Wie "aktiv" Aktive sind und wie "passiv" die Passiven, ist sicher auch ein Thema, das eine Diskussion wert wäre.) Demnach sind passive Männer sozial in einer Reihe mit Frauen und Kindern (…) zu sehen, mit denen also, die nicht in die Kategorie des (be- )herrschenden "Mannes" fallen.

In Südeuropa und Nordafrika scheint es zumindest traditionell eine andere Art der Einschätzung von Homosexuellen und Homosexualität zu geben. Der Unterschied zu Nord- und Mitteleuropa manifestiert sich meiner Meinung nach vor allem in zwei Punkten: Zum einen gibt es in der Häufigkeit des Transvestismus einen signifikanten Unterschied; und zum anderen den (Mythos vom) "Mann", der wenigstens der Bisexualität nicht abgeneigt ist. Wiederum in vielen Mittelmeerländern stehen Transvestiten und Transsexuellen kaum andere Segmente des Arbeitsmarktes zu als die Prostitution. Ihre Kundschaft ist dann zum allergrößten Teil heterosexuell. (Begrifflich sind Transvestiten, Transsexuelle und Schwule - nicht nur im Türkischen - oft nicht getrennt.) Aber darüber hinaus gibt es in den meisten Ländern der Region auch - wie in Nord- und Mitteleuropa - kommerzielle schwule Subkulturen, die aber eine Neuerung der letzten Jahrzehnte sind.

Wie lässt sich dies erklären?

Wie in allen katholischen ist es auch in islamisch geprägten Kulturen so, dass die Gesellschaft am "Mann" orientiert ist. Es gibt klare Rollen, die Männer und Frauen erfüllen müssen, wenn sie sozial nicht deklassiert werden wollen, wobei die Rolle der Frau deutlich weniger geachtet wird. Wenn aber "Männlichkeit" hoch bewertet ist, trifft dies auch auf das zu, was den Mann zum "Mann" macht. Transvestiten haben ein männliches Geschlechtsteil, sind aber sozial "Frauen", bedrohen also die Position oder sexuelle Identität des Penetrierenden nicht. (Frau-zu-Mann-Transsexuelle haben es andererseits eventuell leichter, weil sie sich vom Minderwerten befreien und sich am sozialen Ideal orientieren wollen.)

Eine "schwule Identität" wie sie u.a. in Deutschland existiert ("Ich bin schwul "; "Ich habe eine Beziehung mit einem Mann"; "Wann hattest du dein Coming Out"…) ist mit einer solchen Handhabe nicht vereinbar. Männer, die mit Männern Sex haben, müssen in der Türkei nicht unbedingt von sich sagen, dass sie "homosexuell" sind.

Auch viele Migranten in Deutschland leben nach den Maßstäben, die sie (oder ihre Vorfahren) mitgebracht haben und entziehen sich demnach der "Szene" oder vorgefassten sexuellen Identitäten, die von Deutschen erwartet werden. Das macht interkulturelle Partnerschaften bisweilen etwas schwierig. Wollte man mit Migranten über sie selbst sprechen, müsste man versuchen, vollkommen neue Begriffe zu prägen, die all dem gerecht werden.