damals danach
Queer Adventure Tours nach Leipzig:
200 Lesben und Schwule protestieren gegen Nazi?Aufmarsch.
Bei Rückkehr Entführung der Busse durch die Polizei


Presseerklärung vom 2. Mai 1998, 18 Uhr, Berlin

CHARLEYS TANTEN an DONNA SUMMA: "Kreisch, wir werden entführt!"

Für den 1. Mai hatte eine größere Gruppe Berliner Lesben und Schwuler zu einer Bustour der dritten Art nach Leipzig eingeladen, um den angekündigten Aufzug der rechtsradikalen NPD mit zu verhindern. Zu bester Party?Zeit — um halb vier Uhr morgens — fuhren die Doppeldeckerbusse ‚Charleys Tanten‘ und ‚Donna Summer‘ gemeinsam mit sieben weiteren Bussen von Berlin in die Messestadt. Für musikalische Untermalung und Schnittchen war gesorgt. Obwohl in Leipzig ein breites Bündnis dazu aufgerufen hatte, die Nazis nicht in die Stadt zu lassen, und obwohl auch die Stadtverwaltung den Aufmarsch verboten hatte, konnte die NPD ihre Veranstaltung in aller Öffentlichkeit durchführen — das Verbot hatte vor Gericht keinen Bestand. Wie mittlerweile üblich räumte die Polizei den anreisenden Rechtsextremen die Straße frei. Mit Schlagstöcken wurden Protestierende vertrieben und verletzt. Wasserwerfer sorgten nicht nur für zerrüttete Frisuren, selbst auf den billigen Plätzen. Staatliches Handeln hat so verhindert, den Aufmarschplatz zu besetzen und die Naziveranstaltung unmöglich zu machen.

Wir hätten uns gewünscht, daß die 1. Mai?Veranstaltungen von DGB, IG Metall und der politischen Parteien näher am Ort des Geschehens stattgefunden hätten. Zum Beispiel fehlte uns Herr Tiefensee — frischgekürter Oberbürgermeister — dringend als Kandidatin für eine Wahl von ‚Miss Queer Leipzig‘. Nun, so standen wir selbst im Vordergrund und gaben uns selbst die besten B?Noten (für künstlerischen Gesamteindruck).

Böse Überraschung durch böse Polizei

Während der gesamten Rückfahrt nach Berlin wurde unser Buskonvoi per Hubschrauber beobachtet (was das wieder gekostet hat!). Unser Kaffeekränzchen mußte ausfallen, die Polizei hatte alle Raststätten abgesperrt. Zurück daheim erwartete uns eine Straßensperre an der Glienicker Brücke. Mürrische Polizisten drohten, die Scheiben einzuschlagen, kaperten die Busse und entführten uns ins Polizeihauptquartier am Tempelhofer Damm. Angelangt, wurde ein Teil von uns in Zellen verschleppt, der Rest im Hof unter freiem Himmel interniert. Wir wurden durchsucht, und unsere Ausweise abgeschrieben. Zwar haben wir uns die gute Laune davon nicht verderben lassen (Picknick, Show junger Talente, Polonaise tanzen und ein Kiss In) — es kam aber auch zu sexistischen und homophoben Übergriffen einiger Polizisten. Das finden wir zum Kotzen!

Die Aufnahme der Personalien von einer deutlich erkennbar lesbisch?schwulen Gruppe ruft bei uns ungute Erinnerungen an ‚Rosa Listen‘ hervor. Die Leibesvisitationen waren zum Teil auf Demütigung hin angelegt und von entsprechenden Äußerungen begleitet. Wir können auch unsere Gefangennahme nur als einen Versuch zur Einschränkung der Demonstrationsfreiheit verstehen: Wir sollten bestraft werden für unseren Protest gegen die Neonazis.

Gesetze wie das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) und ein Vorgehen wie uns gegenüber dienen dazu, politische Grundrechte zu beschneiden. Dabei ist es ziemlich egal, ob einzelne Polizistinnen und Polizisten sich menschlich oder sogar freundlich präsentieren (wie erlebt) oder ob sie beleidigend und erniedrigend vorgehen (wie ebenfalls erlebt). Wir bitten alle Personen, die uns helfen können — im besonderen alle, die im Vorfeld der Leipziger Demonstration öffentlich ihre Unterstützung erklärt haben — um Hilfe bei den folgenden Punkten:
    Die von der Polizei aufgenommenen Daten müssen unter Aufsicht des Berliner Datenschutzbeauftragten vernichtet werden.
    Für die Internierung und die Übergriffe soll sich die Polizei offiziell entschuldigen.
    Es muß geklärt werden, wer für das Vorgehen der Polizei die Verantwortung trug, und dann müssen Konsequenzen gezogen werden.
    Der Protest gegen die neonazistische Gefahr verdient Unterstützung und nicht Behinderung!
Im übrigen versichern wir, daß wir auch weiterhin bestrebt sind, den Demonstrationstourismus auf ein gehobenes Niveau zu bringen. Die Reisesaison hat erst begonnen!

Queer Adventure Tours
Tuntentinte Nr.14