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Lenins tolle Typen

oder: die Droge "links" kickt nicht mehr so gut wie früher


Ein kritischer und fragender Rückblick in mein Leben, weshalb die Sache mit den "neuen Menschen" einfach nicht klappen will.

Nicht die Linke ist pervers, sondern die Situation in der sie sich befindet!?— Ich befürchte, das ist nicht nur meine Meinung. Schon vor Jahren fragte ich mich, warum so viele Gesichter verschwinden, weshalb es so schwierig ist, für Aktionen Leute zu begeistern. Heute weiß ich einiges mehr. Es ist einfach auf Dauer frustrierend, wenn man kaum Erfolge hat. Ständige Niederlagen machen auch absolut keinen Spaß. Was nützt es einem, die "moralisch bessere Party" zu haben, wenn es niemanden interessiert bzw. kaum jemand kommt. Das Motto der Demo mag schön und gut sein, alle finden richtig, dass man was dafür macht, aber niemand geht hin. Linke Politik bewegt sich eben nicht im luftleeren Raum, sondern im Jetzt, jedenfalls muss sie sich im Jetzt messen lassen (Mit "Nach der Revolution wird alles schön" kann man vielleicht noch im Kindergarten Zuhörer finden!)

Linke Politik vermittelt meist den Eindruck, moralisch überlegen, menschlicher und gerechter zu sein. Das sind hehre Ziele. Natürlich klingt es verlockend, wenn die "Revolution" schon nicht naht, in seiner ganz unmittelbaren Lebensumgebung mit einer Politik kleiner Schritte, etwas verändern zu wollen, z.B. in selbstorganisierten (sagen wir mal kollektiven) statt vorgegebenen hierarchischen Strukturen zu arbeiten oder zu wohnen. Je größer die Gruppe oder das Projekt wird, bis hin zu eine ganzen Gesellschaft, um so nötiger wird die Schaffung von Entscheidungsinstanzen (die übergeordnet, dann der erste Schritt zu einer neuen Hierarchien werden). Und die Entscheidungen müssen auch noch durchgesetzt werden. Wer soll den "Rauswurf" eines bösen Menschen denn machen — und schon haben wir eine neue judikative und exekutive Macht. Auch diese Machtstellen werden wieder nur mit Menschen gefüllt, die subjektive Entscheidungen fällen und indem sie sich für etwas entscheiden auch immer gegen etwas entscheiden (z.B. gegen dich oder deine Vorstellungen). Daran ist dann wieder die Individualität Schuld. (Oder stell dir mal vor, alle wollten immer das Gleiche?) Für eine "gerechte" Entscheidung der Judikative und der Exekutive ist dann aber wieder hundertprozentige Informationsbeschaffung notwendig. Dafür gibt es nicht genug Zeit. Oder haben Sie schon mal eine "Vergewaltiger-Diskussion" bis zum Ende geführt?


Es fehlen weiterhin die "Menschen neuen Typus" (Lenin), die mit der Einsicht und den Blick fürs Ganze. Die fehlten schon im Sozialismus reichlich. Die tolle Initiative "Vom ich zum Wir" (DDR-Landwirtschaftskampagne aus den 50er, 60er Jahren des letztes Jahrhunderts) brachte landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (kollektive Strukturen + genossenschaftlicher Besitz im Gegensatz zu den VEB) hervor. Hört sich gut an. Doch je mehr die "Alten", die ihr privates Land in die Kollektive einbrachten/einbringen mussten, aus Altersgründen ausschieden und die Jungen übernahmen, die keine emotionale Bindung an das Privateigentum "Heimatscholle" hatten, desto weniger wurden auch die neuen Leninschen tollen Typen. Der Gedanke, dass das Kollektiv den Fehler Einzelner leichter behebt bzw. erträgt, oder dass die Summe der Individuen des Kollektivs den Fehler aufwiegt, ist insofern verkehrt, als der Fehler viel schlechter erkennbar wird: Irgendwer war es. Die Schuldfrage, "einer von uns war es — also wer?" wird selten gestellt. Die damit einhergehende Kritik gegen unbekannt, macht oft den Kritiker zum Miesepeter, einer der die kollektive Ruhe stört. Noch schlimmer wird es, wenn Unbekannt dann bekannt wird, der Schrei "Verhaltet Euch dazu!" laut wird. Als Teil des Getriebes namens Kollektiv sind auch ein Teil der Probleme seiner Mitglieder meine — aber wo ist die Grenze? Nach meiner Erfahrungen sind die einzelnen Erwartungshaltungen unterschiedlich hoch, aber dadurch eben auch sehr verschieden. Diffus-gleiche Vorstellungen sind im Detail dann eben doch differenziert, und werden bei Belastungsproben zum Spaltkeil. Das Benennen der Ansprüche an mich und an mein Gegenüber ist zwar hart, aber unumgänglich wie in jeder anderen zwischenmenschlichen Kommunikation, auch in nicht-kollektiven Strukturen. Das Ertragen eines anderen Anspruchs wird zur Kernfrage.

Mir bekannte selbstorganisierte Strukturen haben es nicht geschafft, die Komplexität solcher neuen Gesellschafts- und Umgangsformen zu erkennen, geschweige denn zu bewältigen. In Kollektiven und Kommunen, vorwiegend von "Jugendlichen" und "Jung-bleiben-Wollenden" ausprobiert, werden z.B. die Schwierigkeiten von Alter und Krankheit gern vergessen. Oder wo werden bei allem "schwarz" (an der herrschenden Steuer- und Sozialrechten vorbei) verdienten Geld ein Drittel der Einkommen in Sozialversicherungen gesteckt, wer zahlt die Betreuung von Aids-Kranken? Ich kenne auch nur sehr wenige tolle Typen, die mit ihren sechs- und mehrstelligen Erbschaften lieber der Gemeinschaft dienten als sich selbst. Ich unterstelle den meisten, auch dir!, dass sie lieber eigenen Interessen frönen würden (oder die Erbschaft mit nur sehr wenigen teilen würden), als das Geld einer diffusen linken Bewegung zu Verfügung zu stellen.

Warum? Ich habe eben nur wenig Vertrauen in alle, die ihre Opferrolle als Totschlagargument in jeder Diskussion missbrauchen und echte Auseinandersetzungen verhindern. Und in diejenigen, die jeden Krieg ohne Wenn und Aber ablehnen, und es "nur" damit begründen, dass dort Menschen sterben. (Dass gegen Nazideutschland ein Krieg geführt wurde, finde ich nämlich richtig.) Und in Leute, die Macht als etwas Schreckliches empfinden, statt darüber nachzudenken, wie man mit Macht umgeht und welche Macht sie selbst auch haben. In diejenigen, die von Utopien reden, aber nie darüber nachdenken, welchen volkswirtschaftlichen Beitrag sie erbringen möchten bzw. nach Einsicht in die Notwendigkeit für die gesellschaftliche Ökonomie erbringen müssten, denen nur die Sonne auf den Bauch scheinen soll.

Um gleich bei der aktuellen Diskussion um die NPD zu bleiben, natürlich möchte man etwas gegen die Nazis machen. Ganz real und nicht diffus. Als kleinster gemeinsamer Nenner taugt der Kampf gegen diesen Feind. Diffus und unterschiedlich hingegen sind alle weiteren Vorstellungen und Ansprüche. Und damit nicht genug, da man selten mit Erfolg diesen Kampf beendet, landen wir wieder bei der Frustration vom Anfang und beginnen erneut zu grübeln.





von Robert M.